Enjott Schneider ist – neben Wolfgang Rihm in stellvertrender Funktion – der einzige E-Musik Komponist, der nach der Wahl durch die GEMA-Mitgliederversammlung mit dem höchsten Ergebnis, nämlich zwei Dritteln der Stimmen, im GEMA-Aufsichtsrat verblieben ist. Ein Grund könnte die Sprachlosigkeit, oder das Desinteresse seiner E-Kollegen gewesen sein. Außer ihm hielt keiner ein Statement. Die neue musikzeitung druckt Schneiders Statement zur Aufsichtsratswahl mit leichten Kürzungen ab.
In meinem Selbstverständnis als „Integrationsfigur“ (Komponist jenseits einer Differenzierung von „E“- und „U“-Musik) empfinde ich es als kontraproduktiv, dass wir uns in der Komponistenkurie der GEMA ständig um Prozentquoten des Verteilungsplanes rangeln und uns dabei in Gruppen auseinanderdividieren, statt gemeinsam und solidarisch andere wichtigere Probleme (etwa mehr gesellschaftliche Wertschätzung von Musik in der gegenwärtigen Kulturpolitik, bessere Standpunkte gegenüber Verlegern und Musikindustrie) anzugehen. Deshalb hier ein analytisches Statement – sozusagen „von außen”.
: Die Problematik des Verteilungsplanes ist eine Problematik der E-Musik! Bislang wurde die GEMA von Vertretern der „E“-Musik dominiert. Durch die auf diesem Sektor rückläufigen Entwicklungen der letzten zehn Jahre (zeitgenössische „E”-Musik wird als Produktivkraft innerhalb der GEMA und generell im Musikleben zunehmend marginaler) ist eine Irritation eingetreten, die zu einer falschen Lösung führte: Man sucht den Fehler für ausbleibende GEMA-Tantiemen in dem fingierten Feindbild von „U”-Komponisten und prügelt nun den Hund – die „Werbekomponisten” – statt den Herrn. Kurz: Es wurde in den letzten Jahren nicht „zuviel Werbemusik“ gemacht, sondern zu wenig „E”-Musik gespielt und gesendet… Das ist das eigentliche Problem.
Deshalb sehe ich es als meine Aufgabe als „E“-Komponist an, mich für mehr zeitgenössische Musik im aktuellen Musikbetrieb (von Konzertsaal bis Radiosendung) einzusetzen. Das kann nur grundlegend und langfristig geschehen. In Punkten zur Diskussion:
- Die „Musealisierung“ des Konzertlebens und Rundfunkbetriebs hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht. Aktuell komponierte Musik in Konzert- und Rundfunkprogrammen nimmt gerade noch etwa drei bis fünf Prozent ein. „Neue Musik“ muss sich in ihrem Anspruch (Stilistik, Komplexität, Sprachgestus) so verändern, dass sie das Bedürfnis einer breiten Bevölkerungsschicht nach „Neuem” abdeckt und nicht nur das Bedürfnis eines spezialisierten Insiderpublikums.
- Der Begriff „Neue Musik” und „zeitgenössische Musik” muss aus dem Ghetto gelöst werden und nicht nur für einen bestimmten Avantgarde-Stil einer kleinen Komponistengruppe angewandt werden. Ich nenne diesen Stil die „Akademische Neue Musik“, da er meistens vertreten wird durch die Professoren von Musikhochschulen, Akademien, den Bürokratien von Rundfunk und Deutschem Musikrat, den musikwissenschaftlich ausgebildeten Schreibern der Feuilletons.
- Eine große Zahl von „E”-Komponisten werden im Raster von Rundfunk, Feuilleton, Akademismus und Musikrat nicht (nur wenig) erfasst: tonal schreibende Komponisten, Komponisten, die funktionale Musik, motorisch-tanzbare Musik, religiöse Musik (für Kirche oder freie Spiritualität) schreiben, Komponisten für Theatermusik, Hörspielmusik und Filmmusik. Vor allem die Rundfunkprogramme spiegeln in Sendestrukturen und Vergabe von Kompositionsaufträgen sehr deutlich diese Bevorzugung einer „Akademischen Neuen Musik“ wider.
- Ein delikates Problem ist die Frage der nationalen Identität. In der Pop-Branche wird ohne Verdacht auf Chauvinismus oder Nationalismus längst die „Quotenregelung“diskutiert. In der „Neuen Musik” ist das längst auch notwendig, weil hier eine unglaubliche Bevorzugung nicht-deutscher Komponisten zu verzeichnen ist.
Etwa: Im Programm der Musica-Viva-Reihe des BR wurden in der Spielzeit 2002/03 24 ausländische, nur aber sieben deutsche Komponisten gespielt. Dieser für mich nicht tragbare Zustand ist typisch für die gesamte „Neue Musik“-Szene an deutschen Rundfunkanstalten. Auch außerhalb der speziellen „Musica Viva“-Reihe hat diese Tendenz zur Bevorzugung ausländischen Repertoires Tradition: etwa in einem Kammermusik-Konzert des BR mit Musik aus der Zeit 1880-1930 werden ebenfalls sechs ausländische Werke eingespielt, deutsche Komponisten aus diesem Zeitraum nicht berücksichtigt. (In Frankreich, Italien oder England etwa wird weit mehr nationales Repertoire an „E“-Musik gespielt). - Öffnung der „E“-Musik zu neuen Technologien dürfte einer Verbreitung von „E“-Musik in der Gesellschaft dienlich sein: multimediale Kombinationen (das Konzept „Musik visuell”, wie ich es im Deutschen Musikrat schon vor drei Jahren als Mittel der Förderung darlegte), unbefangeneres Einbeziehen von Massenmedien (vor allem des Fernsehens)… „Komponieren ist Kunst“ contra „Fernsehen ist Masse“ steckt als Gleichung noch in vielen Köpfen. Wir leben in einer Massen-Mediengesellschaft (mit Strukturen der Öffentlichkeit, die von Fernsehen, Internet, CD und DVD bestimmt sind). In den Köpfen vieler „E“-Komponisten spukt noch eine bürgerliche Öffentlichkeitsstruktur, die nach wie vor von Konzertsaal, Kammermusiksaal und subventioniertem Stadttheater bestimmt ist… Strukturen, die heute ins zweite Glied gerückt sind und ein neues Öffentlichkeitsbild erfordern.
: „Neue Musik“ sollte sich attraktiver machen und statt eines 5-Prozent-Publikums jene weiteren 30 Prozent zurückgewinnen, die aus Frustration vor einem zu verengten Begriff zeitgenössischer Musik dann zu „musealen Musikformen“, zu Popmusik oder zu Crossover-Musik sich zurückgezogen haben. Ein großer Teil der Gesellschaft hat ein Bedürfnis nach nicht-komplexer, emotional leichter zugänglicher Neuer Musik. Unsere übertriebene, fast antagonistische Kontrastierung von „E“ (in mimotischer, hyperindividualistischer Tonsprache) auf der einen Seite und „U” (massenorientierte musikalisch schnell belanglose Tonsprache) auf der anderen Seite sollte aufgehoben und in ihrem Mittelfeld ausgebaut werden. Dies ist auch eine Aufgabe der Ausbildungsstätten wie Musikhochschulen, wo vorwiegend immer noch einseitig ein „Neue Musik”-Verständnis im Adorno’schen Sinne (die Linie Brahms-Schönberg, Webern… Darmstadt fortführend) gelehrt wird. Mehr Wirkungsästhetik statt selbstreflexive Werkstrukturen.
Man sollte deutschen Komponisten nicht unter den permanenten Druck dieses „elaborierten Kunstanspruchs“ stellen, sondern ihnen auch zugestehen, was zum Beispiel ausländischen Komponisten viel natürlicher zugestanden wird: naiv, tonal, spirituell, funktional, optimistisch, volksnah oder tänzerisch zu sein, einem Arvo Pärt, Terterjan oder Messiaen gesteht man spirituelle Dimensionierung bei einfachsten Sprachmitteln zu…. als deutscher Komponist gilt man sofort als im „Kunst“-Sinne nicht ernstzunehmender Kirchenkomponist; einem spanischen , südamerikanischen oder russischen Komponisten gesteht man das Recht auf „sinfonische Tänze“ zu… als deutscher Komponist komponiert man in solchem Falle sofort ,gehobene Unterhaltungsmusik’.
Würde sich „Neue Musik“ in ihrer gesellschaftlichen Fundamentierung wieder auf zirka 30 Prozent Anteil verbreitern und genügend deutschen Komponisten Raum in Konzert- und Rundfunkprogrammen geben, dann würden sich durch den drastisch angehobenen Teil der Ausschüttung von „E“-GEMA-Tantiemen an die E-Musik-Komponisten Streitereien um den GEMA-Verteilungsplan harmlos auflösen. Die Schaffung einer neuen deutschen „Zeitgenössischen Musik“ jenseits des Ghetto-Daseins (bei der das Attribut „E“ nicht unbedingt „ernst“ im Sinne von Dauer-larmoyant heißen müsste) müsste so vital sein, dass sie bei Zuhörern und Spielern genausoviel Lust & Spaß beim Zuhören und Musizieren bereitet wie die „museale” Musik, dann wäre allen gedient: den Berufsanfängern der „E“-Musik, den alten Hasen der „E“-Musik, den Verlegern… und auch den Werbekomponisten, auf die nicht länger unberechtigt geprügelt werden darf…
Siehe auch: Ausklang
Martin Hufner über den leisen Abschied der E-Musik-Komponisten aus der GEMA