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Nike Wagner. Foto: Charlotte Oswald
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„Mein Beethoven ist Avantgardist und Menschenrechtler“

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Ein Gespräch mit Nike Wagner über ihre Pläne für das Bonner Beethovenfest, das sie vom nächsten Jahr an leiten wird
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neue musikzeitung: Beim Schlusskonzert der diesjährigen, letzten Ausgabe der „Pèlerinages“ wurde allseits bedauert, dass Sie Weimar verlassen. Warum denn der Abschied?

Nike Wagner: Zehn Jahre sind genug im Kulturbetrieb. Diese schöne Erkenntnis stammt zwar von Pierre Boulez, aber ich kann sie bestätigen. Wenn man für eine kleine Stadt sehr angestrengt gearbeitet und gestaltet hat, auch gegen viele Widerstände, und sich endlich ein Klima des Wohlwollens einstellt – irgendwie hat man dann das Gefühl, die Zeit ist um, alles war richtig, man hat sein Bestes gegeben. Und ich würde jetzt auch ein anderes Konzept entwerfen wollen für Weimar.

nmz: Sie haben in Weimar praktisch am Punkt Null angefangen und innerhalb von zehn Jahren ein neues Festival aufgebaut. Das Bonner Beethovenfest, das sie nun übernehmen, ist ein seit langem bestehendes, gut funktionierendes Unternehmen. Sie können sich da sozusagen ins gemachte Bett legen. Wie werden Sie da nun vorgehen?

Wagner: Alles wird zunächst sehr anders sein. Als ich nach Weimar kam, war Tabula rasa. Das Kulturhauptstadtjahr war für Weimar 1999 zu Ende gegangen und dann herrschte Krise und Ratlosigkeit. Also konnte ich neu anfangen und das Kunstfest neu definieren, das war wunderbar.  Freilich war auch in praktischer Hinsicht Tabula rasa: keine Mitarbeiter, kein Büro und auch kein Geld dafür, obendrein undurchsichtige Überschuldung der vorigen GmbH. In Bonn wird das Gegenteil der Fall sein. Dort verlässt eine Intendantin nach zehn Jahren die Stadt in geordneten Verhältnissen, es ist ein großer Mitarbeiterstab da, es gibt perfekt ausgebaute Strukturen und die Bonner scheinen ihr Beethovenfest zu lieben, während man das Kunstfest immer gegen Weimar durchsetzen musste. Außerdem stehen dort, wie glaubwürdig versichert wird, zahlreiche Sponsoren bereit, man muss nicht das ganze Jahr betteln gehen. In Bonn falle ich in ein großes gemachtes Bett. Sollte man da einen Neuanfang machen können, wird es auf andere Weise geschehen müssen und vielleicht sogar schwieriger sein als in Weimar.

nmz: Weimar war ein Künstlerfestival, wo herausragende Interpreten als Artists in Residence mitwirkten. Nehmen Sie solche Künstler mit nach Bonn?

Wagner: Am liebsten sofort! Vor allem deshalb, weil die meisten von ihnen auch mit der zeitgenössischen Musik vertraut sind. Einen András Schiff nicht mitzunehmen nach Bonn, wäre ebenfalls undenkbar – er ist zwar in diesem Jahr mit den Beethoven-Sonaten schon dort, aber wir werden andere Programme erfinden mit ihm. Die Zusammenarbeit mit den Künstlern wird sich in erster Linie aber nach den Programmen richten, die für Bonn entstehen. Und da war mir zunächst  wichtig, wie ich denn „meinen“ Beet-hoven definieren wollte und wie ihn die Stadt Bonn definiert.

nmz: Und wie definieren Sie ihn?

Wagner: Ich möchte ihn näher an unsere Gegenwart heranholen, und dazu habe ich mir zwei Leitideen ausgedacht: Beethoven, der Avantgardist, und Beethoven, der Menschenrechtler. Das ist das eine. Dann habe ich den Bonnern und auch mir die Frage gestellt: Warum kommt man wegen Beet-hoven nach Bonn? Die großen Orches-ter, die hier Beethoven spielen, kann man doch auch in Paris, London oder Wien hören.
Also muss es noch andere Gründe geben, eigens nach Bonn zu kommen. Gewisse Glamourfaktoren, die sich bei jedem sponsorenabhängigen Festival unweigerlich einstellen, möchte ich inhaltlich so weit verändern, dass der Glanz mehr durch die Programmgestaltung als durch die „big names“ von Orchestern und Interpreten bestimmt wird. Da werde ich sicher noch Überzeugungsarbeit leisten müssen. Im Weiteren soll die musikgeschichtliche Wirkung von Beethovens
Musik, von Berlioz bis heute, hörbar gemacht werden.

nmz: Können Sie schon etwas über konkrete Programmpunkte sagen?

Wagner: Es wird verschiedene Programmschienen geben. Eine davon wird sein, einen Komponisten zu bitten, sein Lieblingsstück von Beethoven zu programmieren und mir dazu ein neues Werk zu schreiben. Im Jubiläumsjahr 2020, zum 250. Geburtstag des Komponisten, wird man dann alle diese neuen Werke noch einmal gebündelt hören können. Eine andere Idee, die bisher in Bonn wenig verfolgt wurde, betrifft die sogenannte historisch orientierte Aufführungspraxis, das ganz andere Klangbild. Dies auch im Hörvergleich zur Interpretation mit dem modernen Orchester und Klavier.

nmz: In Weimar haben Sie immer wieder ein Fenster zu den anderen Küns-ten hin geöffnet. Wird das in Bonn auch der Fall sein?

Wagner: Ich arbeite gern sparten-übergreifend und werde das auch in Bonn wieder tun. Den Avantgardisten Beethoven möchte ich sozusagen beim Wort nehmen und nicht nur Uraufführungen vergeben, sondern auch Projekte in der Stadt mit den dortigen Künstlern und Wissenschafts-Institutionen entwickeln. Man soll nach Bonn kommen wollen, weil bestimmte Dinge nur dort zu hören und zu erleben sind.

nmz: Volle Fahrt nach Bonn also. Aber wie steht es eigentlich mit Ihren Ambitionen in Bayreuth?

Wagner: In Bayreuth regieren die politischen Drahtzieher. Solange nicht eine sowohl für die künstlerische Seite wie für die Stifterfamilie befriedigende Lösung für die Zukunft gefunden wird, ist Bayreuth für mich keine Option mehr.

Interview: Max Nyffeler

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