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Freut sich auf eine Präsenzmesse: Oliver Zille. Foto: Leipziger Buchmesse
Freut sich auf eine Präsenzmesse: Oliver Zille. Foto: Leipziger Buchmesse
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Menschen zur Beschäftigung mit Musik anregen

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Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse, im Gespräch
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Erstmals nach drei Jahren findet vom 27. bis 30. April wieder die Leipziger Buchmesse in Präsenz statt. Der langen Tradition als Musikstadt verpflichtet, spielt auch Musik im Messegeschehen eine wichtige Rolle. Oliver Zille ist seit 2004 Direktor der Leipziger Buchmesse, schärfte das Profil des international renommierten Festivals jedoch seit 1993, damals noch als Projektleiter. Wie ist der Planungsstand, die Gefühlslage, einen Monat, bevor sich die Messehallen wieder mit Besucher*innen aus aller Welt füllen? Susanne Fließ sprach mit Oliver Zille über Lehren aus der Pandemie, Musik und Wort und den schönen Zufall.

neue musikzeitung: Herr Zille, nach drei Jahren Pause findet in wenigen Wochen die Leipziger Buchmesse wieder in Präsenz statt – wie ist die Stimmung unter den Ausstellern?

Oliver Zille: Es herrscht eine wunderbare Aufbruchstimmung. Man sucht die Messe als Forum des Austauschs und Kommunikationsplattform für Literatur, Musik, für Sprache und das Wort. Das gesamte Team der Leipziger Buchmesse hat sich sehr engagiert, um eine vielfältige und bunte Buchmesse anzubieten.

nmz: Und wie geht es Ihnen persönlich?

Zille: Ich bin voller Optimismus und freue mich ungemein, dass ich nicht mehr nur am Trockendock arbeiten muss. Wir haben ja seit 2020 dreimal eine Buchmesse vorbereitet und mussten sie dann doch kurz vorher absagen. Aber jetzt können wir unsere eigentliche Aufgabe wieder wahrnehmen, nämlich Dienstleister für die Buch- und Medienbranche zu sein. Das Publikum, das sehen wir als Reaktion auf unsere Kommunikation, ist genauso hungrig darauf, endlich wieder eine Buchmesse in allen ihren Facetten zu erleben. Seit 2020 haben sich große Erwartungen aufgebaut. Wir freuen uns darauf nun endlich all unsere Planungen wieder Realität werden zu lassen.

nmz: 2019 konnte die Buchmesse rund 290.000 Besucher*innen begrüßen, zeichnet sich beim Ticketvorverkauf 2023 eine ähnlich hohe Interessentenlage ab?

Zille: Der Vorverkauf für dieses Jahr läuft bereits sehr gut. Aber die Pandemiezeit hat auch hier das Verhalten des Publikums verändert. Wir spüren die Konsumflaute, die Kostensteigerungen in allen Lebensbereichen. Die Entscheidung für den Kauf eines Buchmesse-Tickets fällt immer kurzfristiger. Wie sich das alles in den Besucher*innenzahlen niederschlägt, wissen wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht, wir spüren nur die große Euphorie, die hoffentlich trägt und schiebt. Ich sage aber auch ganz offen, dass wir einen langen Weg vor uns haben, um zu „alter Schönheit“ zurückzufinden.

Das ist nicht mit einer gut gelaufenen Veranstaltung erledigt. Immer haben wir gemeinsam, im persönlichen Gespräch und im Kontakt mit unseren Kunden, die Buchmesse weiterentwickelt. Wenn man drei Jahre nur bedingt direkten Kontakt miteinander hat, dann liegt in den kommenden Jahren viel Arbeit vor uns. An Veranstaltungsorten und mit allen Zielgruppen werden wir während und nach der Buchmesse Befragungen durchführen, um uns ein Bild davon machen zu können, wie die Buchmesse 2023 ankam und wie die Wünsche und Erwartungen für künftige Buchmessen lauten.

nmz: Wie sehr spielte die große Musiktradition Leipzigs eine Rolle, als die Idee geboren wurde, die Musikverlage mit ins Messegeschehen einzubinden?

Zille: Formal gehören die Musikverlage von Anfang an dazu, zumal ja auch einige Verlage direkt in Leipzig sitzen. Dass die Musikverlage heute fester Teil der großen Messefamilie sind, ist aber einer kuriosen Geschichte zu verdanken. Bis etwa 2010 war es uns in Leipzig nicht möglich, den großen Bogen zu schlagen und die Musikverlage thematisch und mit eigenem Programm auf der Messe zu zeigen, weil zeitgleich mit Leipzig die Frankfurter Musikmesse stattfand. Als Frankfurt dann seinen Messetermin in den April verlegte, war das Interesse der Musikverlage, den Ausstellungsort Leipzig zu nutzen, wieder in hohem Maße vorhanden. So entschieden wir uns dann auch gleich für den großen Wurf, nämlich einen eigenen Musikbereich zu kreieren. Wir gründeten das Musik-Café, taten uns mit der Musikstadt Leipzig zusammen und erzeugten so über die Jahre einen großen Sog für die Musikverlage.

Neustart Buchmesse

nmz: Für 2023 hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von Neustart Kultur für die Leipziger Buchmesse ein Förderprogramm aufgesetzt. Wie wurde diese Initiative von den Ausstellern angenommen und wofür werden diese Gelder im Einzelnen verwendet?

Zille: Wir haben die Gelder in erster Linie erhalten, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzumildern. Konkret bedeutet das, dass das Geld in drei Bereichen eingesetzt wird: Der größte Anteil geht in einen Standrabatt von mindestens 15 Prozent für alle Standgrößen, bei kleineren Verlagsständen gibt es sogar 30 Prozent. So konnten sich viele Verlage nach drei Jahren Zwangspause eine Messepräsenz leis­ten und da wir viele kleinere Verlage zu Gast haben, hilft dieser Rabatt auch sehr vielen Ausstellern.

Zum Zweiten haben wir das Geld zur Ertüchtigung unserer digitalen Infrastruktur genutzt, beispielsweise wurde die Datenbank für das „Leipzig liest“-Programm neu aufgesetzt. Und nicht zuletzt haben wir die Messe in Organisation und Aufbau den Pandemiebedingungen angepasst. Die Förderung hat die positive Stimmung sehr befördert – bei Aussteller:innen und Programmmacher:innen, dafür sind wir sehr dankbar.

nmz: Was haben Sie denn aus der Sicht des Veranstaltungsmanagers aus der Pandemie gelernt?

Zille: Sagen wir es so: In der Vergangenheit konnte man unseren Messemitarbeitern noch bis kurz vor der Messe Wünsche für den Messestand zurufen und sie setzten das dann bis zum Eröffnungstag um. Nun ist es so, dass wir schon Mitte November einen Anmeldeschluss setzen mussten. Was bis dahin nicht feststand oder bekannt war, findet im April nicht statt. Der Grund ist die Berücksichtigung von Lieferketten und Personalplanungen unserer zahlreichen Dienstleister. Unsere Logistik­prozesse müssen immer weiter geschärft werden. Der Prozess ist nicht abgeschlossen und ist vor dem Hintergrund neuer Ereignisse wie der Wirtschaftskrise oder dem Krieg in der Ukraine weiterhin voll in Bewegung.

nmz: Den legendären Buchmesse-Chor gibt es 2023 nicht. Warum?

Zille: Den haben wir für 2023 aus rein pandemischen Gründen abgesagt und zwar schon im Dezember 2021, als wir nicht wissen konnten, wie sich die Pandemie wirklich entwickelt. Aber dieses schöne Projekt wollen wir unbedingt ab 2024 wieder ins Werk setzen. Denn der Geist der Leipziger Buchmesse, gemeinsam etwas Kreatives auf die Beine zu stellen, nimmt in diesem Format besonders eindrücklich Gestalt an. Die gesamte Buchmesse ist hier einbezogen, alle können mitmachen.

nmz: Die Musikverlage sind in der Messehalle 4 zu finden. Was gibt es dort zu entdecken und gibt es dort auch Musik zu hören?

Zille: Die Messehalle 4 ist der traditionelle Ort für die rund 40 Musikverlage, darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von ausstellenden Institutionen und Verbänden aus dem Bildungsbereich, und auch die Musikstadt Leipzig präsentiert sich dort. Auf Anhieb und vor dem Hintergrund, dass sich 1.900 Aussteller beteiligen, klingt die Zahl an Musikverlagen erst einmal gering, aber die Buchmesse hat sich über die letzten Jahre für die Vertreter dieses Branchenzweiges als vorteilhafter Präsentationsort erwiesen. Da die Halle 4 ein publikums- und aufmerksamkeitsstarker Bereich ist, ergibt sich daraus auch ein erweiterter Publikumszulauf für die Musikverlage. Wir freuen uns, dieses Jahr hier auch neue Aussteller zu begrüßen. Auf der Bühne im Musikbereich, dem Musik-Café, steht auch Musik im Programm. So präsentieren einige Aussteller ihre Neuerscheinungen mit musikalischer Begleitung, zum Beispiel am Flügel, mit Gitarre, Ukulele, Querflöte oder an der Harfe. Ein interaktives Programm mit Musikern des MDR entführt in die Welt der Musik mit minimalen Mitteln. Besucher können sich aber auch auf Kammermusik aus Mitteldeutschland und Lateinamerika freuen. Und nicht zuletzt verspricht auch der Messestand von MDR Klassik eine besondere Attraktion – mittels KI werden Besucher hier selbst zum „Virtual Conductor“ und bringen mit Taktstock die Wiener Philharmoniker zum Klingen – eine wunderbare Verknüpfung zu unserem diesjährigen Gastland Österreich

Sichtbarkeit schaffen

Was die Präsentation von Live-Musik betrifft, so müssen wir aber natürlich immer auch Autor*innen, Moderator*innen und Besucher*innen im Blick behalten, die sich eine konzentrierte, leise Atmosphäre wünschen. Deshalb haben wir auch diese typischen Hallen-Durchsagen zu falsch geparkten Autos abgeschafft. Wenn sich der Musikbereich jedoch gut entwickelt, könnten wir dieser Tatsache auch mit mehr Live-Musik Rechnung tragen und die entsprechenden Räume dafür bereitstellen, so dass das Publikum ungestört beispielsweise einer Lyrik-Lesung folgen kann, während auch die Musik-Fans auf ihre Kosten kommen. Als Bildungsmesse wünschen wir uns, dass Gespräche und Austausch über Musikliteratur, über musikpädagogische Konzepte möglich sind. Das ist für uns als Leipziger Buchmesse der sinnvollste Weg, um Menschen zur Beschäftigung mit Musik anzuregen.

nmz: In der Pressekonferenz Mitte Februar sprachen Sie davon, dass es zu den wichtigsten Aufgaben der Buchmesse gehöre, für Autor*innen und Ideen Sichtbarkeit zu schaffen. Das betraf zwar den politischen Diskurs. Trotzdem die Frage an Sie: Inwiefern, denken Sie, könnten sich auch die Musikverlage an dieser Idee beteiligen?

Zille: Ich bin davon überzeugt, dass es der tiefere Sinn der Beteiligung von Musikverlagen an der Leipziger Buchmesse ist, mit ihrem speziellen Angebot von einem interessierten Publikum wahrgenommen zu werden. Vom vorgebildeten und vorinformierten Teil unserer Besucher*innen abgesehen, gibt es immer auch ein zunächst allgemein interessiertes Publikum, das durch den Messebesuch zufällig mit Musikthemen in Berührung kommt und dann mit den Verlagen in Gespräche eintritt.

nmz: Zum fünften Mal gibt es den Musiklehrer*innen-Tag auf der Leipziger Buchmesse, am Freitag, 28. April, veranstaltet in Kooperation mit dem Bundesverband Musikunterricht und dem MDR: Wie hat er sich seit seinem Start aus Ihrer Sicht entwickelt?

Zille: Veranstaltungen für Musiklehrer­*innen und Erzieher*innen gibt es auf der Messe seit vielen Jahren. Zusammen mit MDR Klassik und seinem Jugendmusiknetzwerk „Clara“ haben wir vor einigen Jahren gemeinsam ein Konzept entwickelt, um auch Schulmusiker*innen, also Lehrkräfte, die an allgemeinbildenden Schulen unterrichten, vertieft einzubeziehen. Mit Hilfe des Bundesverbandes Musikunterricht konnten wir das Netzwerk zu diesem Themenbereich vergrößern. Die Veranstaltungen des Musiklehrer:innentags finden an drei Orten statt, in Halle 4, im Musikzimmer und im Musik-Café, und im Congress Center. Teilnehmende Lehrkräfte können sich für den Besuch der Veranstaltungen eine Fortbildungsbescheinigung ausstellen lassen.

Musiklehrertag

nmz: Wieviel Absprache und Steuerung gibt es zwischen der Messeleitung und dem BMU, was das Programm des Musiklehrer:innen-Tages betrifft?

Zille: Der Musiklehrer:innen-Tag ist eine bewährte Kooperation von Buchmesse, BMU und MDR Klassik, das Programm entstand in enger Abstimmung. Als Buchmesse koordinieren wir die Präsentationen unserer Aussteller, der BMU berät uns und trägt mit eigenen Podiumsgesprächen und Workshops zum Programm bei, auch in Zusammenarbeit mit der nmz. In der Gestaltung seiner Programmpunkte ist der BMU frei. Das diesjährige Motto lautet „Zukunft Musikunterricht“ und erhält nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Diskussion um den Fachkräftemangel ganz neue Strahlkraft. Auch im Segment „Musiklehrer:innentag“ werden wir übrigens anschließend die Besucherinnen und Besucher nach ihren Wünschen und Erwartungen befragen.

nmz: Sie haben sich sicherlich auch mit dem Programm der Musikverlage in Halle 4 befasst. Was hat Sie persönlich besonders neugierig gemacht?

Zille: Da ist zum einen das Jubiläumsjahr 2023 zu nennen, denn vor 300 Jahren hat Johann Sebastian Bach seine Stelle als Thomaskantor in Leipzig angetreten. Im Musik-Café wird das Jubiläum mit einem Programm des Bach-Archivs gemeinsam mit dem aktuellen Thomaskantor und der Musikstadt Leipzig musikalisch gefeiert, das wird sicherlich eine bewegende Veranstaltung.

Worüber ich mich sehr freue: Der Deutsche Musikverlegerverband wird dieses Jahr erstmals seine Preisverleihung „Best Edition“ auf der Buchmesse im Musik-Café durchführen. Und dann interessieren mich solche Themen wie KI und Ethik und Digitalisierung in der Musik sehr. Aber ich schätze es auch, auf den schönen Zufall zu hoffen, unversehens von einem Thema erfasst zu werden und es dann in meinen Kanon der „wichtigen Dinge im Leben“ einzubeziehen.

nmz: Werden Sie Gelegenheit haben, als interessierter Besucher die Angebote der Buchmesse anzusehen und sich bei Podiumsdiskussionen womöglich gar unters Publikum zu mischen?

Zille: Das wäre schön, aber insbesondere die ersten beiden Messetage sind protokollarisch durchgetaktet, da bleibt leider keine Zeit. Als guter Gastgeber muss ich vor allem darauf achten, dass sich alle wohlfühlen und die Akteur*innen ihre Ziele erreichen, das sind immerhin 2.500 Mitwirkende in 2.400 Veranstaltungen.

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