Im Juni 2022 wählte das Institut für Neue Musik und Musikerziehung Darmstadt (INMM) einen neuen Vorstand. Für die nmz hat Juan Martin Koch mit dem neuen Vorsitzenden, dem Komponisten Robin Hoffmann, gesprochen.
neue musikzeitung: Wann hatten Sie das erste Mal Kontakt mit dem INMM und wie kam es dann zu Ihrem Amt als neuer Vostandsvorsitzender?
Robin Hoffmann: Das Institut für Neue Musik und Musikerziehung und die Darmstädter Frühjahrstagung sind mir seit Studienzeiten ein Begriff und ich war immer wieder dort: als Referent, als Teilnehmer oder als Besucher einzelner Veranstaltungen. Die Idee, mich zu engagieren, war mir schon häufiger durch den Kopf gegangen. Mein direkter Vorgänger im Amt, Till Knipper, fragte mich schließlich, ob ich Interesse hätte, im Vorstand mitzuwirken. Der wurde dann im Juni letzten Jahres gewählt und ist – neben mir – auf weiteren drei Positionen neu besetzt: Die Musikwissenschaftlerin Marie-Anne Kohl und meine Komponistenkollegin Charlotte Seither sind ganz frisch hineingewählt worden, außerdem ist Wolfgang Rüdiger, der früher schon einmal im Vorstand war, wieder dazugekommen. Wiedergewählt wurden Christa Brüstle, Wolfgang Lessing und Karolin Schmitt-Weidmann. Unabhängig davon, wer jetzt nun den ersten Vorsitz macht, lebt dass INMM davon, dass es eine bunte Mischung ist aus künstlerisch Kreativen, also Komponierenden, aus Personen aus dem musikwissenschaftlichen Bereich, aber eben auch aus Pädagoginnen und Pädagogen. Das sind die drei Säulen dieses Instituts, die auch im Vorstand vertreten sein sollten.
nmz: Welchen ersten Akzent wollen Sie mit der kommenden Frühjahrstagung setzen?
Hoffmann: Der Impuls war, die Musik wieder stärker in den Fokus zu rücken. Wenn man eine Tagung macht, ist es oft so, dass man ein Thema mit gesellschaftlicher Relevanz wählt und dann überlegt, wie man die Musik dazu einbinden kann. Diesmal haben wir aber bei der Musik begonnen und aus dem Erlebnis des Hörens und Reflektierens eine Thematik abgeleitet. Mit Iris ter Schiphorst und Milica Djordjevic haben wir zwei Komponistinnen aus verschiedenen Generationen und mit unterschiedlichem Background gewählt. Im Zusammenhang mit der Klanglichkeit eines Stückes von Milica Djordjevic kamen wir auf den Begriff des Rauen und so entstand das Tagungsthema „Raue Zeiten“. Bei Iris ter Schiphorst haben wir den Begriff so interpretiert, dass da teilweise Klanglandschaften sehr rau nebeneinander gestellt werden, sodass man von rauen Zeitkonstellationen in der Musik sprechen könnte. Dass wir in „rauen Zeiten“ leben, war gar nicht der erste Impuls, aber es liegt natürlich nahe, das miteinzubeziehen. „Raue Zeiten“ ist ja kein pessimistischer Begriff – norddeutsch könnte man auch „steife Brise“ sagen, was bedeutet, dass man sich durchmanövrieren kann. Es ist keine apokalyptische Vorstellung; es knarzt im Gebälk, aber es gibt die Möglichkeit, damit zurechtzukommen. Auf unserer Tagung wollen wir die soziale Konnotation dieses Begriffs und dessen ästhetische Transformation auf unterschiedlichsten Ebenen untersuchen.
nmz: Aus welchen Blickwinkeln wollen Sie das Thema angehen?
Hoffmann: Der Einstieg in die Tagung ist interdisziplinär. Wir wollen wissen, wie es mit den rauen Oberflächen in den Bereichen Architektur und Bildende Kunst aussieht. Und es wird sich herausstellen, dass hier rau auch nicht gleich rau ist, wir müssen also aufpassen, dass dieser Begriff nicht zu einer Plattitüde verkommt. Weitere Perspektiven kommen aus der Philosophie, aus der Medien- und aus der Musikwissenschaft, außerdem wird es natürlich Porträts der beiden Komponistinnen geben. Was die Pädagogik betrifft, so arbeiten wir intensiver als bisher mit der Akademie für Tonkunst zusammen, wobei auch Studierende als Komponisten und Interpreten auftreten. Auch der Schülerworkshop wird in ein Konzertprogramm integriert sein. Vor dem Eröffnungskonzert werde ich außerdem eine schulpraktische Einführung in die Tagungsthematik anbieten. Ziel der Tagung ist es ja vor allem auch, den Musikunterricht an Schulen mit neuen Impulsen zu füttern. Hier gibt es übrigens auch Stipendien für Studierende und die Tagung ist wie eh und je im offiziellen Lehrerfortbildungsprogramm verankert.
nmz: Welche weiteren Aktivitäten über die Tagung hinaus hat das INMM vor?
Hoffmann: Wir waren durch die Verschiebung der Tagung und damit auch der Wahl im vergangenen Jahr spät dran mit der Planung für 2023, sodass weitere Aktivitäten erst einmal hintangestellt werden mussten. Das werden wir aber natürlich angehen. Dazu gehören auch die Pflege unseres Archivs, die im Moment brach liegt, und die Kooperation mit den anderen Darmstädter Institutionen. Die gibt es während der Tagung mit dem Jazzinstitut und der Akademie für Tonkunst. Wir arbeiten auch im Kuratorium des Darmstädter Musikpreises zusammen. Wer dieses Jahr den Preis erhält, steht inzwischen fest und wird am 23. Februar in einer Pressekonferenz des Darmstädter Förderkreis Kultur bekannt gegeben.
nmz: Werden Sie auch mit dem Internationalen Musikinstitut zusammenarbeiten?
Hoffmann: Ja, auch die sind im Kuratorium des Musikpreises mit dabei. Aber es werden sicher darüber hinaus noch Gespräche stattfinden. In jedem Fall kennen wir uns bestens, tauschen uns regelmäßig aus, es gibt sozusagen einen kurzen Dienstweg zwischen uns.
nmz: Die Frühjahrstagung 2022 war die 75. Ausgabe, in diesem Jahr wird das Institut nun 75 Jahre alt. Wie blicken Sie zurück und nach vorne?
Hoffmann: 75 Jahre sind eine beachtliche Zeit. Kontinuierliche Arbeit, das ist nicht nur eine Phrase, sie hat ihren großen Wert. Ähnlich wie die Darmstädter Ferienkurse wurde das INMM ja mit erstaunlich wenigen Jahren Abstand nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und diese Geschichte ist auch eine Verpflichtung, für die Region und darüber hinaus. Wenn man zurückblickt, fällt vor allem auf, wie ideologisch aufgeladen die Musikpädagogik in den 1950er Jahren noch war. Das waren Grabenkämpfe, deren Ursprünge weit zurücklagen: Laienmusik gegen Profis – da wurde auf der einen Seite die gemeinschaftsbildende Kraft der Musik betont und dass die starken Künstleregos sich gefälligst dem Dienst an der Gemeinschaft unterordnen sollten und diejenigen, die dem subjektiven Kunstwollen verhaftet waren, waren zu vornehm, um sich auf Pädagogik einzulassen. Das ist in dieser Form Gott sei Dank passé, das heißt aber auch, dass es neue Standortbestimmungen braucht: Wie sind die Verhältnisse zwischen Musikwissenschaft, Musikpädagogik und Musikpraxis, zwischen Komponieren und Musizieren? Wie verhält sich das zueinander vor dem Hintergrund der Geschichte? Und was bedeutetet das für eine Institution wie das INMM?
nmz: Wie ist es mit den Finanzen? Steht das INMM stabil da?
Hoffmann: Das Institut steht dank langjähriger, ausgesprochen solidarischer Förderer im Prinzip solide da. Gleichzeitig muss man aber auch darauf hinweisen, dass es jedes Jahr von Neuem eine Kraftanstrengung ist, die Gelder für die Tagung und für die weiterhin geplanten Tagungsbände zusammenzubekommen. Das kostet sehr viel Arbeit, was die einzige feste Stelle, unsere Geschäftsführerin Margret Poore, hier voll in Anspruch nimmt. Aber wir können das stemmen und ich sehe uns mit neuen Impulsen und interessanten Ansätzen gut aufgestellt, sodass wir weiterhin das Kulturleben der Region hier bereichern und darüber hinaus international ausstrahlen werden.
„Raue Zeiten“ – 76. Frühjahrstagung des INMM, 12. bis 15. April 2023
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