Was weg ist, ist weg. Weg sind 37 Kulturorchester seit 1990, weg ist ein flächendeckender Musikunterricht an der allgemeinbildenden Schule, weg sind 10 Prozent der öffentlichen Musikschulen seit 1995, weg sind angemessene Gagen und üppige Lizenzausschüttungen der Verlage wie im „Golden Age“ der Nachkriegszeit. Weg ist auch ein großer Teil des jungen Publikums in den Konzertsälen. Dass Strukturen wegbrechen ist eine leidvolle Erfahrung, die viele Musiker, Kulturschaffende und Kulturlobbyisten in den vergangen Jahren machen mussten. Das Berufsziel „Künstlerfürst“ gehört einer anderen Epoche an, aus Kreativen drohen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen zu werden und reiche Kulturlandschaften verarmen nach und nach. Über allem schwebt die neue Bedrohung der internationalen Freihandelsabkommen, die unser System der öffentlichen Kulturförderung mehr als in Frage stellt.
Die Rahmenbedingungen fürs Musikleben in Deutschland haben sich seit Jahren in vielen Regionen erheblich verschlechtert. Düstere Szenarien zu zeichnen ist eine Möglichkeit, der Deutsche Musikrat ging dagegen im März dieses Jahres mit seinem Grünbuch „Was ist uns Musik wert? Die öffentliche Förderung in der Diskussion“ einen konstruktiven Weg. Ziel war es, eine breit angelegte Diskussion zur Zukunft der öffentlichen Musikförderung zu initiieren. Auf der Mitgliederversammlung Ende Oktober in Berlin wurden die Themendiskurse dieses Grünbuches in Gesprächen mit Abgeordneten der im Bundestag vertretenen Parteien vertieft und Konsequenzen für die zukünftige Kulturpolitik formuliert.
Als Gesprächspartner waren anwesend Sigrid Hupach, kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Hiltrud Lotze, stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der SPD-Bundestagsfraktion, Ulle Schauws, kulturpolitische Sprecherin von Bündnis 90/DIE GRÜNEN und Marco Wanderwitz, kulturpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Die größte Übereinstimmung der vier Foren fand parteiübergreifend die Forderung nach der Abschaffung des so genannten Kooperationsverbotes, das seit 2006 eine gleichzeitige Förderung durch Bund, Land oder Kommune verhindert.
Andere Forderungen aus den Foren waren der Couleur der jeweiligen Parteien geschuldet: So legten die Teilnehmer des CDU/CSU-Dialogforums vor allem Wert auf die allgemeine Förderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Musik sowie auf Kultur als Wirtschaftsfaktor. Die SPD-Runde forderte den überfälligen, flächendeckenden Musikunterricht und legte Wert auf soziale Sicherheit von Musikern, explizit Altersvorsorge, Künstlersozialkasse und Mindesthonorare. Die Grünen setzten sich für die Qualitätssteigerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein und wiesen auf die Bedeutung der kulturellen Teilhabe hin. Das Forum mit Sigrid Hupach von der Partei DIE LINKE wies darauf hin, dass sich die soziale Situation in Musikberufen zunehmend verschlechtere, und dass insbesondere Frauen davon betroffen seien. In einer abschließenden Runde wurden die Ergebnisse vorgestellt, jedoch nicht weiter vertieft.
Es wird sich zeigen, inwieweit die Dialogforen das Grünbuch substantiell ergänzen können und ob es selbst als probates Mittel der Politikberatung taugt. Noch ist nicht erwiesen, ob es bei einem Fragenkatalog bleibt, dessen Substanz sich streckenweise in lupenreinem „Kupo-Sprech“ erschöpft, oder ob es ähnlich relevant werden kann, wie die letzte große Veröffentlichung des Musikrates, „Musikalische Bildung in Deutschland. Ein Thema in 16 Variationen“ vom Oktober 2012.
Von allen Berliner Dialogforen kritisch angemerkt wurde der Trend zur Projektförderung. Ein aktuelles Beispiel dafür, dass diese auch strukturelle Impulse geben kann, zeigt unser Bild auf S. 1 (samt Bericht auf S. 26). Während der Donaueschinger Musiktage startete der Doppeldeckerbus des Netzwerks Neue Musik Baden-Württemberg auf seine erste Vermittlungsmission durch den Südwesten. Nicht nur er, sondern rund fünf Dutzend Kultureinrichtungen profitieren von einem neuen, kulturfreundlichen Klima im Südwesten. Die grün-rote Landesregierung hat den Kulturhaushalt 2015/16 um 60 Millionen Euro erhöht. Eine Million davon ist der Stärkung des Musiklands Baden-Württemberg gewidmet, neben Festivals und Ensembles etwa der verbesserten Unterstützung des Jazz, aber auch einem Förderprogramm Neue Musik.
Heruntergebrochen auf die einzelnen Fördernehmer bleiben in der Regel mittlere fünfstellige Beträge – das Leid der Projektförderung. Dennoch: Das einstige Kultur-Musterland Baden-Württemberg, das bekanntlich in jüngerer Zeit eher negative Presse hatte, etwa mit der Debatte um die Zukunft seiner fünf Musikhochschulen oder die (zugegebenermaßen vom SWR initiierte) Zwangsfusion der beiden Rundfunkorchester in Baden-Baden und Stuttgart, ist offensichtlich bemüht, eine Wende einzuleiten. Höchste Zeit, denn was weg ist, ist weg.