Es ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen für Musikpädagogen, Kinder zum gemeinsamen Singen zu motivieren. Viele Grundschüler haben ihre angeborene Singfähigkeit bereits vor dem Schuleintritt wieder verloren, weil mit ihnen falsch oder eben gar nicht mehr gesungen wurde. Wie können Lehrer und Erzieher die Freude am Singen wecken? Was kann getan werden, damit im Alltag wieder mehr gesungen wird? Diesen Fragen ging eine Fachtagung am 4. und 5. Februar in Hamburg nach.
Singen macht nicht nur Spaß, sondern ist auch gesund. Passend zum Untertitel der Tagung hatte der Landesmusikrat Hamburg in Kooperation mit dem Verband deutscher Musikschulen seine Referenten und die 160 Teilnehmer in die Räume der Techniker Krankenkasse (TK) eingeladen. Auf dem abwechslungsreichen Programm standen Vorträge, Workshops und ein Konzert. Nach der Begrüßung durch den Präsidenten des Landesmusikrats, Wolfhagen Sobirey, und den Vorstandsvorsitzenden der TK, Norbert Klusen, begann die Veranstaltung gleich mit einem furiosen Auftakt.
Dabei ging es zunächst einmal um die Frage, wie Kinder lernen. Der bekannte Neurobiologe Gerald Hüther veranschaulichte in seinem faszinierenden Vortrag, wie immer neue Informationen im Gehirn gespeichert und vernetzt werden, wenn die geeigneten Voraussetzungen dafür gegeben sind. Er kritisierte, dass die Lernsituationen im Schulalltag in vielen Fächern leider oft mehr hinderlich als fördernd sind. Beim gemeinsamen Singen dagegen erlebt ein Kind, in einer Gemeinschaft über sich hinauszuwachsen. Durch diese Erfahrung wird das Gehirn in ganz besonders hohem Maß positiv stimuliert.
Aus Sicht der Hirnforschung hat die scheinbar nutzlose Tätigkeit des freien, unbekümmerten Singens den größten Nutzwert auf die Entwicklung von Kindergehirnen. Es lohnt sich also in vielfacher Hinsicht, bei Kindern die Begeisterung für das Singen wachzurufen. Andreas Mohr und Thomas Holland-Moritz zählen seit Jahren zu den profiliertesten Fachleuten auf diesem musikpädagogischen Gebiet. Sie gaben in Workshops ihr fundiertes Wissen und viele praktische Anregungen weiter.
Zu den wichtigsten Grundlagen in der musikalischen Arbeit mit Kindern gehört die Kenntnis über den altersgemäßen Gebrauch der Singstimme. Andreas Mohr schilderte, welche negativen Auswirkungen das weit verbreitete laute Singen im Bruststimmenregister auf die Kinderstimme hat. Dieses falsche Singen schädigt langfristig die Stimmen und ist eine der Ursachen für das zahlreiche Auftreten der berüchtigten „Brummer“. Er demonstrierte mit speziellen Übungen, wie Musiklehrer diesem Problem sinnvoll begegnen können.
Singend probierten dann die Teilnehmer der Workshops von Thomas Holland-Moritz, mit welchen Liedern die Kinder lustvoll und spielerisch ihre eigene Singstimme wiederentdecken und weiterentwickeln können.
Praktisch umgesetzt wurden alle diese Erfahrungen und Ideen der beiden Professoren bereits im Osnabrücker Projekt zum vokalorienterten Musikunterricht in der Grundschule. In allen Klassen der ausgewählten Pilotschule erhalten die Schüler einen erweiterten Musikunterricht, in dem von Anfang an der Schwerpunkt auf die Ausbildung der kindlichen Singstimme gelegt wird.
Dies ist lediglich eine von zahlreichen Initiativen bundesweit, die sich zum Ziel gesetzt haben, so vielen Kindern wie möglich ihre Singstimme wieder zu geben. Ob JEKISS in Münster, „SMS – Singen macht Sinn“ in Detmold oder „Primacanta“ in Frankfurt – seit einigen Jahren wird nicht nur geklagt, sondern konkret gehandelt. Der Erfolg gibt den Initiatoren Recht. Die Kinder lernen mit Freude und erhalten nachhaltig nicht nur musikalische Kompetenzen.
Vertreter von neun unterschiedlichen Projekten stellten auf dieser Tagung ihre engagierte Arbeit vor und animierten die Teilnehmer mit viel Schwung und Begeisterung zum Mitmachen. Im abendlichen Konzert war dann ein breites Spektrum musikpädagogischer Arbeit zu erleben: Der Hamburger Knabenchor St. Nikolai und der Mädchenchor der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg zeigten, zu welchen enormen Leistungen Kinder und Jugendliche in der Lage sind, wenn sie professionell angeleitet werden. Eindrucksvoll geriet auch der Auftritt des Stadtteilchors Hamburg Süd vom Projekt The Young ClassX, einer dieser beschriebenen Initiativen zur Förderung des Singens an der Basis. Obwohl das Repertoire weit weniger anspruchsvoll war, zeigten diese Kinder mit großer innerer Anteilnahme und Leidenschaft, wie sie beim gemeinsamen Singen über sich hinauswachsen.
Die anregende Fachtagung in Hamburg gibt berechtigten Anlass zur Hoffnung, dass diese grundlegende Erfahrung in den kommenden Jahren immer mehr Kindern ermöglicht werden wird.