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Musik, die ungebremste Wachstums-Branche?

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Anmerkungen zur diesjährigen Generalversammlung der GEMA in München – und Geschehnissen rundum
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Die aktuelle Nachricht paßt zur grundsätzlicheren: Zunächst bestätigte die Schiedsstelle des Deutschen Patentamtes die Lizenzansprüche der GEMA für das Konzert der drei Tenöre José Carreras, Plácido Domingo und Luciano Pavarotti. Und jetzt geht es ernsthaft vor Gericht. Die Begründung der Schiedsstel-le enthält beachtliche Formu- lierungen: „Der Schau-Charakter und der Umfang des Konzertes sprächen gegen eine Einstufung als reines Konzert der Ernsten Musik im Sinne des Tarifes E“ – meinte das Patentamt. Und weiter: „Bei E-Musik-Konzerten stünde der Gedanke des Musikgenusses und der Musikverbreitung im Vordergrund, bei den Konzerten der Drei Tenöre die Musikvermarktung“. Und im schönsten Juristendeutsch heißt es dann, daß „bei dem sogenannten E-Musik-Tarif die Wahrung der kulturellen Belange maßgebend sei, diese Wahrung der kulturellen Belange aber von der Antragsgegnerin, der Hoffmann-Konzerte-GmbH, gar nicht als Argument in Anspruch genommen würde“. Jetzt folgt auf den Schiedsspruch die gerichtliche Auseinandersetzung. Es geht um einen beachtlichen Streitwert. Während Hoffmann-Konzerte nach dem E-Tarif abrechnen wollte und zur Zahlung von ca. 40.000,- Mark wohl bereit gewesen wäre, fordert die GEMA gemäß ihrem Tarif für Großveranstaltungen knapp 1,5 Millionen Mark. Bei einem behaupteten Gewinn der Hoffmann-Konzerte von über 22 Millionen Mark wirkt diese Lizenzgebühr gar nicht so unangemessen. Sie hätte beim Treffen der Komponisten und Verleger, Textdichter und Erben von Urheberrechten letzten Monat in München sicher gespaltene Begeisterung ausgelöst. Die GEMA, Gesellschaft für Musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte lud zur Mitgliederversammlung. Bei einer Bilanzsumme von gut 1,2 Milliarden Mark fällt eine Ertragssteigerung von 30 Millionen im Vergleich zum Vorjahr vielleicht gar nicht so sehr ins Gewicht. Bedeutsamer ist das Signal: Auch in Zeiten der Rezession, des allgemeinen Abbaus kultureller Einrichtungen, wächst die Branche weiter. Musik liegt in der Luft und klingelt kräftig in den Kassen. Grund zur ungetrübten Freude? Die Paragraphen-Landschaft für Urheber ist bislang ein unübersichtliches Biotop. Im Tarifdschungel und in den Auslegungs-Nischen lauern geschickte Beutemacher. Und von außen rollen via Internet und Euro-Pisten die mächtigen Planierraupen der Major-Companies heran, um solide Betonfundamente für ihre Tresore vor Ort zu schaffen. Gemeinsames Ziel der Begehrlichkeiten ist die Phantasie. Genauer gesagt das Geld, das Komponisten und andere Kreative mit ihrer Phantasie verdienen. Phantasie schafft geistiges Eigentum. Dessen Schutz und gerechte Bewirtschaftung hat sich für den Musikbereich die GEMA zur Aufgabe gemacht. Seit Jahrzehnten leistet sie – finanztechnisch gesehen – vorzügliche Arbeit. Was ihre Grundlage, nämlich die Ton-Kunst betrifft, hat sie ihr Licht lange unter den Scheffel gestellt. Die meisten ihrer kulturellen Fördermaßnahmen, ihre Stiftungen zum Beispiel oder Finanzhilfen für Konzerte mit zeitgenössischer Musik – sind so gut wie unbekannt. Das hatte seinen Grund. Schließlich ist die GEMA eine Inkasso-Gesellschaft, als deren Aufsichtsbehörde das deutsche Patentamt fungiert und nicht der Deutsche Musikrat. Kulturelle Überlegungen spielen in diesen Kreisen doch allenfalls die zweite Geige, möchte man meinen. Und auch die GEMA-Mitgliedsstruktur hat sich dem Zeitgeist längst angepaßt. Rechte-Händler treten an die Stelle traditioneller Musikverleger. Gebrauchsmusik-Komponisten bringen deutlich mehr Stimmen und vor allem Tantiemen in die Mitgliederversammlung als ihre Tonsetzer-Kollegen aus dem Neutöner-Winkel. In diesem Ambiente gilt doch wohl die klare Banker-Sprache als angemessener Umgangston. Kein Platz für soziale oder kulturelle Randgedanken. Der Kapitalist kassiert und schweigt. Seit dem zweiten Juli ist das alles anders. GEMA-Vorstand Reinhold Kreile lieferte vor der Mitgliederversammlung einen Geschäftsbericht ab, der ein kulturpolitisches Manifest war. Ein unerwartet klares Plädoyer für die Gleichberechtigung von geistigem und materiellem Eigentum. Ein Appell an die wirtschaftlich Starken, in die Kräfte der musikalischen Innovation zu investieren. Offen benannte Kreile die aktuellen Bedrohungen unseres Urheberrechtes, der Komponisten und Textdichter: * Ausländische Verwertungsgesellschaften, die den Inkasso-Job nur als solchen verstehen, keinen Blick vergeuden auf Herkunft oder Zukunft von Kunst. Die deshalb besonders billig arbeiten – in Konkurrenz zur GEMA. * Medienriesen, die zwischen ihren Schallplatten- und Verlagsabteilungen Milliardenbeträge direkt abrechnen und so die objektive Kontrollinstanz der Urheber vermeiden. * Eine Bundesvereinigung der Musikverbraucher, die Komponisten am liebsten gleich enteignen würde. * Aber auch schwarze Schafe in den eigenen Reihen: Tantiemenjäger, die für Konzerte Öffentlichkeit herstellen, indem sie ihr Wohnzimmerfenster öffnen. Und ihr dreijähriges Wunderkind als Super-Mozart mit optimal kalkulierten Kompositionen ins Inkasso-Rennen schicken. Skeptiker mögen diese klaren Worte als Flucht nach vorn werten. Viel wichtiger ist, daß Reinhold Kreile Perspektiven entwickelte, die eine sinnvolle und effektive Arbeit der Gema für die Zukunft erwarten lassen. Dabei benutzte er altmodische, moralische Begriffe wie „Solidarität“ ausgesprochen glaubwürdig. Und sogar das in unserer Event-Society so abgewirtschaftete Berufsfeld der Pädagogik bekommt einen zusätzlichen Sinn: Als Mittler-Instrument für den Wert geistigen Eigentums, sozusagen von Kindesbeinen an. Im Stil wird sich die Arbeit der GEMA von der jahrelang gepflegten, überflüssigen Geheimpolitik verabschieden. Die Bilanzen sind schließlich bekannt. In der Sache kann sie sich auf ihr kundiges Personal und ihre wirkungsvolle Logistik verlassen. Dazu bezieht sie jetzt eine kulturzentrierte Position. Das ist eine wiederentdeckte Stärke, die ihr beim Verteilungskampf im Haifischbecken der multinationalen Verwerter spätestens mittelfristig zugute kommen wird. Die GEMA hat an Glaubwürdigkeit gewonnen, weil sie sich den Gegenstand ihres Geschäftsbetriebes wieder bewußt gemacht hat. Musik ist eben etwas mehr als Registrierkassen-Geklingel.

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