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Christoph-Hellmut Mahling bei der Ausstellung „Musik und Sport – Sport und Musik“ des Landesmusikrats Rheinland-Pfalz. Foto: LMR Rheinl.-Pf.
Christoph-Hellmut Mahling bei der Ausstellung „Musik und Sport – Sport und Musik“ des Landesmusikrats Rheinland-Pfalz. Foto: LMR Rheinl.-Pf.
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Musik ist keine Privatsache

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Christoph-Hellmut Mahling im nmz-Gespräch
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Die Mitgliederversammlung des Landesmusikrates Rheinland-Pfalz wählte am 15. Juni 2011 Christoph-Hellmut Mahling wieder einstimmig ins Amt des Landesmusikratspräsidenten. Es ist damit seine dritte Amtsperiode. Mahling wurde am 25. Mai 1932 in Berlin geboren. Er studierte nach Ablegung der Privatmusiklehrerprüfung 1957 bis 1962 an den Universitäten Tübingen und Saarbrücken bei W. Gerstenberg, G. Reichert, J. Müller-Blattau und W. Salmen. 1962 promovierte er zum Dr. phil. an der Universität des Saarlandes, 1972 folgte die Habilitation ebendort. Von 1980 bis 2000 hatte er eine C4-Professur für Musikwissenschaft an der Universität Mainz inne und leitete in dieser Zeit das Musikwissenschaftliche Institut. Die nmz sprach mit ihm über Kulturpolitik in Rheinland-Pfalz.

neue musikzeitung: Was motiviert Sie nach 18 Jahren Amtszeit als Landesmusikratspräsident weiterzumachen?

Christoph-Hellmut Mahling: Ich habe an der kulturpolitischen Arbeit noch sehr viel Freude. Es gibt eine Anzahl von „Baustellen“ im kulturpolitischen Bereich dieses Landes, die ich noch in möglichst geordnete Bahnen bekommen möchte. Mein Alter ist hier geradezu ein Vorteil, denn ich brauche keine Rücksicht auf meine Karriere mehr zu nehmen, besonders wenn ich etwas tue, was den Politikern nicht gefällt.

nmz: Nennen Sie uns bitte Ihre wichtigsten Baustellen.

Mahling: Zum Beispiel die unterschiedliche Trägerschaft der Jugendmusikensembles teils beim Landesmusikrat und teils beim Ministerium. Kein Sportministerium käme auf die Idee, eine U18 Fußballnachwuchsmannschaft im eigenen Hause anzusiedeln. Gleiches gilt für den Landeswettbewerb „Jugend musiziert“, der ebenfalls beim Ministerium verortet ist und von einem Kollegen mehr oder weniger privat betreut werden muss. Weiter gibt es Fragen im Zusammenhang mit der sogenannten „Orchesterstrukturreform“, da im Jahr 2013 wieder neue Verhandlungen anstehen. Das Staatstheater Mainz sollte von Stadt und Land um sechs Millionen Euro gekürzt werden, wogegen wir uns vehement gewehrt haben. Die Sparte „Ballett“ war gefährdet. Zum Glück hat sich die Lage jetzt wieder entschärft.

nmz: Warum diese Kürzungswut?

Mahling: Land und Stadt sind verschuldet, und zusätzlich macht sich die „Schuldenbremse“ bemerkbar. Wie überall glauben die Politiker auch in unserem Land, am ehesten bei der Kultur ungestraft den Rotstift ansetzen zu können.  

nmz: Wie „funktioniert“ der Landesmusikrat?

Mahling: Wir sind ein e.V. mit relativ geringem Landeszuschuss: Die Grundfinanzierung beträgt ca. 22.000 Euro. Darüber hinaus bekommen wir Zuschüsse für Projekte, wie beispielsweise für den Landeschor- und den Landesorchesterwettbewerb. Aber auch hier müssen wir derzeit um den Erhalt und vor allem um die bisher gewährte Subvention in Höhe von jeweils 10.000 Euro kämpfen. Es steht eine Kürzung um 50 Prozent ins Haus. Dabei bezahlt der Landesmusikrat aus Mitteln der Glücksspirale bereits 27.000 Euro für diese Wettbewerbe. Irgendwo ist dann die Schmerzgrenze bezüglich der Eigenmittel, aber auch hinsichtlich weiterer Subventionen, zum Beispiel in diesem Jahr von der BASF und der Strecker-Stiftung, erreicht. 

nmz: Der Landesmusikrat erlebt eine finanziell instabile Situation. Was tun?

Mahling: Wichtig ist für uns, Planungssicherheit wenigstens für drei Jahre zu bekommen. Hier stellt sich natürlich die Frage, bleiben die Zuschüsse überhaupt oder in welcher Höhe bleiben sie erhalten. Gegebenenfalls müssten zum Beispiel die Laienmusikwettbewerbe wegfallen. Dies wäre für die Musikerinnen und Musiker aus Rheinland-Pfalz fatal, da diese zugleich die Ausscheidungen für die Bundeswettbewerbe sind. Kooperationen, auch unter den Verbänden, werden eine immer größere Bedeutung erhalten. 

Meine Wiederwahl hängt sicher auch damit zusammen, dass es in den vergangenen Jahren gelungen ist, alle musiktreibenden Verbände mit allen ihren Eigeninteressen unter dem Dach des Landesmusikrates zu vereinigen. 

Im Sinne der Kooperation wollen wir versuchen, zum Tag der Musik im Jahr 2012 in Mainz mit allen im Lande vorhandenen Berufsorchestern ein gemeinsames Event durchzuführen, bei dem sich die einzelnen Orchester durchaus auch individuell darstellen, aber vor allem auch gemeinsam vorstellen und so verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit treten können. 

nmz: Welche Vorhaben bringen Sie und der Landesmusikrat Rheinland-Pfalz derzeit auf den Weg?

Mahling: Das Orchesterprojekt habe ich genannt. Außerdem haben wir eine ganze Anzahl weiterer besonderer Projekte, auf die wir sehr stolz sind, da sie im Moment nur von uns mit unseren Partnern, zum Beispiel der „Landeszentrale für Gesundheitsförderung“ oder dem Landessportbund betrieben werden. Begonnen haben wir mit „Musik 50+“, einem Thema, um das sich dann auch der Deutsche Musikrat gekümmert hat. 

Es folgten weitere Projekte wie „Musik und Demenz“, „Musik und Hospiz“ und gemeinsam mit dem Landessportbund ganz aktuell „Musik und Sport – Sport und Musik“, eine Ausstellung im Landtag Rheinland-Pfalz. Ziel dieser Projekte ist, die Möglichkeiten, die die Musik in diesen Bereichen bietet, den betroffenen Kreisen bewusst zu machen und ihnen auch „Anleitungen“ für den Umgang mit Musik zu geben. So gibt es jetzt zum Beispiel Kurse für Betreuer von Demenzkranken, solche für im Bereich der Hospiz Tätigen sind eingerichtet worden. 

nmz: „Musik und Sport – Sport und Musik“, ein gemeinsamer Auftritt gegenüber der Politik? 

Mahling: Die Idee war in der Tat, einmal die vielfältigen Parallelen auch optisch aufzuzeigen. Verfolgen doch beide Disziplinen beispielsweise in der Erziehung, in der Aus- und Weiterbildung sowie in der Freizeitgestaltung dieselben Ziele. Dies gilt aber auch etwa für den Bereich der Drogenbekämpfung. Vielleicht kann diese Dokumentation – ein entsprechender Ausstellungskatalog liegt vor – dazu beitragen, dass Musik von der Politik nicht überwiegend als „Privatsache“ angesehen wird.  

nmz: Fortbildung als ein zentrales Thema des Landesmusikrates?

Mahling: Fortbildung ist für uns eine sehr wichtige Aufgabe. Dies gilt vor allem für Erzieherinnen und Grundschullehrer. Kinder sollen von Anfang an mit der Musik vertraut werden, und dafür müssen auch die notwendigen personellen Voraussetzungen geschaffen werden. Solche Fortbildungen finden zu einem beachtlichen Teil in unserer Landesmusikakademie in Neuwied-Engers, die wir kürzlich durch einen Neubau erweitern konnten, statt. Hier gibt es auch Kooperationen mit den Lehrerfortbildungsinstituten. 

nmz: Warum spielen länderübergreifende Netzwerke eine immer größere Rolle für Sie? 

Mahling: Weil manche wichtigen Aufgaben alleine nicht mehr zu erfüllen sind. So wurden uns beispielsweise die Landeszuschüsse für unser Jugend-

ensemble für Neue Musik und für den Wettbewerb „Jugend komponiert“ gestrichen. Dankenswerterweise konnten wir hier eine Kooperation mit dem Landesmusikrat Saar eingehen und teilen uns beim Jugendensemble die Kosten für die beiden jährlichen Arbeitsphasen, die einmal in unserem Bundesland und einmal im Saarland stattfinden. Bei „Jugend komponiert“ arbeiten wir inzwischen mit dem Saarland, mit Hessen und Luxemburg zusammen. Auch bei „Jugend jazzt“ wird es eine Kooperation mit dem Landesmusikrat Saar geben. 

nmz: Im Moment geht es also weniger um mehr Geld, sondern um Bestandserhaltung

Mahling: Das ist richtig. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht totgespart werden. Wir werden froh sein, wenn wir, wie gesagt, den derzeitigen Stand auch künftig erhalten können. Das prägt in der Tat zur Zeit unsere politische Arbeit. Bei allem Verständnis für Sparmaßnahmen dürfen wichtige Projekte, wie zum Beispiel „Jugend musiziert“, nicht beeinträchtigt werden. Gleiches gilt auch für die Landesorchester- und Landeschorwettbewerbe. Wenn weiter gespart werden muss, müssen gegebenenfalls auch eingefahrene Strukturen verändert werden. 

nmz: Die Kommunen haben nun mal massive Finanzprobleme ...

Mahling: … die sich vor allem auf die Musikschulen auswirken. Drei Musikschulen wurden in der Vergangenheit schon geschlossen. Hier sind vor allem auch die Kommunalpolitiker in der Verantwortung. Das Land Rheinland-Pfalz hat mit immerhin 2,7 Millionen seinen Anteil erbracht. Dieser Zuschuss soll dankenswerterweise auch in Zukunft erhalten bleiben. 

nmz: Und ohne Sponsoren geht nichts mehr?

Mahling: Nichts mehr ist vielleicht zu viel gesagt, aber Sponsoren werden immer wichtiger, nicht nur um das „Alltagsgeschäft“ abzusichern, sondern eben auch, um neue Projekte und Ideen umzusetzen. Vorbildlich hat sich beispielsweise die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Jazz mit Skoda Auto Deutschland entwickelt, wovon auch der Deutsche Musikrat profitiert. 

nmz: Der Landesmusikrat Rheinland-Pfalz stellt auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats am 21./22. Oktober 2011 in Berlin einen Antrag. Um was geht es?

Mahling: Wir haben der Tagesordnung des DMR e.V. zur nächsten Mitgliederversammlung entnommen, dass es unter anderem um die Modalitäten einer geplanten Erhöhung der Mitgliedsbeiträge geht, die im letzten Jahr beschlossen wurde. In diesem Zusammenhang lautet unsere Frage: Wenn der Deutsche Musikrat e.V. jetzt mehr Geld bekommt, was soll damit geschehen? Der Landesmusikrat Rheinland-Pfalz hätte großes Interesse daran, die Geschäftsstelle des e.V. zu stärken und damit auch zu erreichen, dass der DMR e.V. auf bestimmte tagespolitische Geschehnisse stärker und schneller reagiert.

Weitere Fragen sind: Können zum Beispiel – etwa durch Konzentration – Reisekosten gespart werden? Die Geschäftsstelle muss besonders deswegen gestärkt werden, um nicht nur zu reagieren, sondern auch agieren zu können. Der DMR muss vor allem auch musikpolitische Konzepte erarbeiten. Hinzu kommt die Sicherung von Finanzmitteln nicht nur für den Musikwirtschaftsbereich, sondern auch für die Laienmusik. Die Wettbewerbe müssen nicht nur auf Länderebene, sondern auch auf Bundesebene gesichert werden. Dies gilt auch für alle Projekte der Deutsche Musikrat GmbH in Bonn. 

Bei immer knapper werdenden Mitteln wird man auch über neue Strukturen nachdenken müssen. Macht es wirklich Sinn, den Wettbewerb „Jugend musiziert“ immer noch weiter auszudehnen? Sollten nicht schon bei den Landeswettbewerben strengere Auswahlmaßstäbe angelegt werden? So könnte die Qualität des Wettbewerbs gesteigert und es könnten auf Kosten der Quantität Mittel zur Qualitätssicherung umgeschichtet werden. Zugleich würde damit auch eine finanzielle Entlastung der betroffenen Eltern möglich sein. 

Der DMR sollte auch weiterhin darauf drängen, dass wie beim Sport außerschulische Leistungen in Musik als Bonuspunkte beim Abitur und bei der Zulassung zum Studium bundesweit anerkannt werden. Dies wäre ein zusätzlicher Anreiz für den musikalischen Nachwuchs. 

nmz: An was liegt es, dass Ihnen der DMR zu ineffizient erscheint?

Mahling: Wir vermuten, dass die Geschäftsstelle einfach überfordert ist, beziehungsweise dass Präsident und Generalsekretär auf zu vielen „Nebenschauplätzen“ tätig sind und dann die wirklich wichtigen Fragen unerledigt bleiben müssen, sie haben möglicherweise auch zu wenig Unterstützung seitens des Präsidiums, das häufig auch eher Eigeninteressen verfolgt, als das Ganze im Auge zu behalten. Der DMR ist für die ganze Breite des Musiklebens und für dessen Wohl verantwortlich. Es entsteht der Eindruck, dass dem Präsidium eine klare Zielorientierung fehlt. Wie nachhaltig sind die bisher verabschiedeten Appelle? Auch für den wirtschaftlichen Bereich sind klare Zielvorstellungen notwendig. Vor allem sollten die Strategien bei Gesprächen mit der öffentlichen Hand überdacht und vielleicht auch nicht bei Verhandlungen allzu schnell nachgegeben werden. Es ist eigentlich unmöglich, dass den geldgebenden Institutionen in Gremien des DMR ein Vetorecht eingeräumt worden ist. Wo bleibt da die Autonomie? Dass Präsidiumssitzungen wegen mangelnder Beteiligung der Mitglieder ausfallen müssen, ist schon sehr merkwürdig. 

nmz: In den vergangenen Monaten war viel von der Gründung eines Bundesjugendchores die Rede. Welche Rolle sollte der DMR da spielen?

Mahling: Ein solcher Bundesjugendchor sollte zur Projekt-GmbH gehören, genauso wie das Bundesjugendorchester oder Bundesjazzorchester. Derzeit wird der Bundesjugendchor sehr stark von der ADC forciert. Ich halte einen solchen Alleingang für verfehlt. Unser Vorschlag – und übrigens auch der der Landesmusikräte – ist, dass der DMR einen solchen Bundesjugendchor in engster Kooperation mit allen Chorverbänden ins Leben ruft. Auf diese Weise könnte auch eine Finanzierung längerfristig gesichert werden. Wie gesagt, die „Federführung“ sollte beim DMR liegen. Übrigens könnte dies auch ein Modell für andere Kooperationen darstellen: zum Beispiel DMR und Deutscher Harmonika-Verband im Hinblick auf ein Bundesjugendakkordeonorchester.

nmz: Wie steht der Landesmusikrat zum Thema Ganztagsschule? 

Mahling: Insgesamt bewerten wir die Ganztagsschule sehr positiv, zumal wir von Anfang an klare Vereinbarungen mit unserem zuständigen Ministerium getroffen haben. Musikalische Betätigung ist auch in den Betreuungszeiten auf vielfache Weise möglich.

Der Verband der Schulmusiker und der Musikschulen haben jetzt jedoch auf die Gefahr der Beeinträchtigung der außerschulischen Musikbetätigung von Jugendlichen durch die Ausweitung der Ganztagsschule hingewiesen. Es bleibt immer weniger Zeit zur freizeitlichen Betätigung, wozu letztlich auch das Musizieren in Verbänden oder Vereinen gehört. Dieses Problem teilen wir im übrigen auch mit den Sportverbänden. Auch der Beirat Chor des Deutschen Musikrates schließt sich diesen Bedenken an, da er vor allem Gefahren für die Existenz von Kinder- und Jugendchören sieht. In Rheinland-Pfalz gibt es verstärkt Kooperationsverträge zwischen Schulen, Musikschulen und Musikverbänden, um dieser Situation entgegenzuwirken. 

nmz: Was ist Ihr Hauptkritikpunkt am Deutschen Musikrat e.V.?

Mahling: Ich würde mir wünschen, dass er in der Öffentlichkeit präsenter wäre und effizienter arbeiten könnte. Er sollte sich verstärkt dort einmischen, wo es kulturpolitisch dringend notwendig erscheint und dies immer möglichst zeitnah. Der DMR sollte auch vor schwierigen Situationen nicht zurückschrecken und gelegentlich Zivilcourage beweisen. In diesem Sinne wünsche ich den derzeit Verantwortlichen alles Gute und eine glückliche Hand.

Das Gespräch führte Andreas Kolb

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