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Helmut Kaltenhauser. Foto: Abgeordnetenbüro Kaltenhauser / N. Hornung
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„Musik muss eine besondere Rolle im Unterricht spielen“

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Helmut Kaltenhauser, der kommissarische Präsident des Bayerischen Musikrates, im Gespräch
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Helmut Kaltenhauser ist seit Ende Januar 2022 kommissarischer Präsident des Bayerischen Musikrates, nachdem sein Vorgänger, Dr. Marcel Huber, das Amt aus privaten Gründen überraschend niederlegte. Kaltenhauser ist Mitglied des Landtags seit 2018 und dort unter anderem Mitglied im Haushalts- und Finanzausschuss. Wie dem promovierten Mathematiker die Liebe zur Chormusik den Weg ins neue Amt bahnte, darüber sprach er mit Susanne Fließ.

neue musikzeitung: Herr Dr. Kaltenhauser, seit knapp drei Monaten sind Sie neuer Präsident des Bayerischen Musikrates, in einer außerordentlichen Präsidiumssitzung einstimmig und zunächst kommissarisch gewählt. Wann wird daraus eine reguläre Präsidentschaft?

Helmut Kaltenhauser: Die Satzung schreibt vor, dass das Präsidium, wenn der bisherige Präsident oder Vizepräsident vorzeitig aus dem Amt scheidet, einen kommissarischen Präsidenten bestimmt, der bis zur nächsten Hauptversammlung im Amt bleibt. Die nächs­te Hauptversammlung wird im November sein, in deren Rahmen dann ein neues Präsidium gewählt wird. Ich habe die Wahl gerne angenommen und möchte das Amt auch über die nächste Hauptversammlung hinaus ausüben. Denn auch wenn ich dem Präsidium erst ein Jahr angehöre, erkenne ich doch, dass es für solch eine Arbeit einen langen Atem braucht. Auch habe ich mich als aktives Mitglied des Landtags davon überzeugen lassen, dass es sehr viel sinnvoller ist, das Präsidentenamt zu bekleiden, solange ich noch im politischen Leben stehe und nicht erst, wenn meine politischen Aktivitäten beendet sind.

nmz: Wie ist Ihr eigener musikalischer Weg bis zu diesem Amt verlaufen?

Kaltenhauser: Nach dem Abitur war ich unentschlossen, ob ich Mathematik oder Musik studieren soll. Ich habe mich dann für Mathematik entschieden, weil ich doch den Eindruck hatte, dass es ein paar begabtere Musiker gegeben hätte als mich. Musik habe ich aber immer nebenbei betrieben, ich war seit meiner Schulzeit in mindestens einem, manchmal sogar in zwei Chören. Darüber hinaus habe ich ganz passabel Gitarre gespielt und für das Vorhaben meines Musikstudiums musste ich Fähigkeiten auf einem Tasteninstrument vorweisen. Da habe ich zum Leidwesen meiner Nachbarn sehr intensiv Klavier geübt. Aber als ich merkte, dass ich das Üben als Zwang empfand und mir dann vorstellte, dass dieser Zwang ständiger Begleiter meines Berufsleben als Musiker sein würde, habe ich mich von der Idee eines Musikstudiums verabschiedet.

nmz: Was war Ihr erstes „Ehrenamt“ im musikalischen Kontext?

Kaltenhauser: Mein Weg in die Funktionärsebene begann ganz klassisch als Schriftführer und Vorstandsmitglied in meinem Gesangsverein. In Bayern gibt es vier Sängerbünde, den bayerischen, den schwäbischen, den fränkischen und den Maintal-Sängerbund. Diese vier Sängerbünde sind wiederum in Sängerkreise untergliedert, in denen je 30 oder 40 Chöre aus den Landkreisen zusammengeschlossen sind. In einem der Sängerkreise, der dem Maintal-Sängerbund angehörte, habe ich begonnen, mich aktiv einzumischen, dann begann ich im Präsidium des Maintal-Sängerbundes mitzuwirken. Der Vorsitzende des Maintal-Sängerbundes war lange Zeit auch im Präsidium des Bayerischen Musikrates, und als der vor gut einem Jahr aufhören wollte, fragte er mich, ob ich mich um seinen Sitz bewerben wolle.

nmz: Mit Ihrem Vorgänger im Amt, Marcel Huber, sprach die nmz vor etwa einem Jahr, in der Hochphase der Corona-Pandemie. Damals formulierte der viele Vorhaben, konkrete Umsetzung war aber wegen der Corona-Lage nicht möglich. Nun haben Sie das Amt ja relativ kurzfristig angetreten. Welche Schwerpunkte haben Sie sich vorgenommen?

Kaltenhauser: So wie ich die Lage einschätze, muss es unsere wichtigste Aufgabe sein, den Laienmusikbereich wieder zum Laufen zu bringen. Man muss ja die verschiedenen Musikbereiche sehr unterschiedlich bewerten. Die festangestellten Orchestermusiker und -sänger hatten vor allem damit zu kämpfen, dass es keine Auftrittsmöglichkeiten für sie gab. Aber sie hatten keine Existenzängste. In der freien Musikszene dagegen sah die Lage ganz anders aus. Hier herrschte und herrscht echte wirtschaftliche Not. Im Laienmusikbereich endete Anfang 2020 ein reges Musikleben, nach dem Motto „Nun hören wir erstmal auf und fangen wieder an, wenn es wieder möglich ist.“

Fakt ist aber, dass einige Aktivitäten und Initiativen wohl für immer aufgehört haben. Vor allem in den Schulen und Ausbildungsstätten fehlen zwei Jahre Jugend- und Nachwuchsarbeit. Hier funktioniert es eben nicht so, dass dann, wenn alles wieder erlaubt ist, auch alle wieder vor der Tür stehen und musizieren wollen. Dieses Loch, dessen Größe gewaltig ist und das hier gerissen wurde, wird noch lange klaffen. An dieser Stelle wird auch meine Arbeit als Musikrats-Präsident ansetzen. Es wird eine große Kraftanstrengung kosten, das alte vielfältige Laienmusikleben in Bayern wieder zu aktivieren. Erst wenn der Neustart gelungen ist, werde ich meine Energie für die Formulierung weiterer Vorhaben einsetzen.

nmz: Kurz nach Ihrem Amtsantritt hat ja auch der Staatsminister für Wissenschaft und Kunst gewechselt. Hat  sich Markus Blume denn schon positioniert, was Ihre Anliegen betrifft?

Kaltenhauser: Ich habe vor kurzem im Rahmen der Präsentation der #MachMusik-Kampagne mit ihm gesprochen und in ihm einen sehr aufmerksamen Zuhörer vorgefunden. Ich bin also zuversichtlich, dass er mit uns am selben Strang ziehen wird. Am Rande der nächsten Plenarwoche sind wir zu einem vertieften Gespräch verabredet. Ich finde seine Gesprächsbereitschaft sehr erfreulich, denn unter Corona-Bedingungen spielte das Thema Musik im politischen Raum eine sehr nachgeordnete Rolle. Das haben wir als Bayerischer Musikrat offen moniert. Insofern hat Markus Blume nun Gelegenheit, den Restart aktiv zu unterstützen.

nmz: Das Gespräch mit Ihrem Vorgänger, Marcel Huber, 2021 in der nmz drehte sich auch um den Moment, in dem Corona überwunden sein würde und dass man so lange die Strukturen des Laienmusizierens aufrecht erhalten müsse, bis wieder Normalbetrieb möglich sei. Ein Jahr später scheint in fast allen anderen Branchen außer dem Kulturbetrieb wieder der Normalzustand zu herrschen. Welche Position haben Sie zu dieser gefühlten Ungleichbehandlung?

Kaltenhauser: Zunächst einmal ist zu sagen, dass die Vorlaufzeiten für eine Kulturveranstaltung andere sind als beispielsweise in der Gastronomie. Im Laienbereich muss ja erstmal wieder gemeinsames Proben möglich sein, bis man sich aufführungsreif auf eine Bühne traut. Man kann Konzertveranstaltungen nicht von einem Tag auf den anderen anbieten. Den Gesprächen mit Veranstaltern entnehme ich aber auch, dass das Publikum noch immer sehr zurückhaltend ist. Selbst bei völliger Aufhebung aller Beschränkungen oder der Maskenpflicht zögern die Menschen noch immer, sich wieder in eine voll besetzte Halle oder einen Konzertsaal zu begeben. Der natürliche leise Schwund in einem alternden Konzertpublikum ist zusätzlich sichtbar, wo sich Türen von Konzertsälen nach zwei Jahren nun wieder weit für alle öffnen.

nmz: Nach zwei Musikrats-Präsidenten mit einem CSU-Parteibuch, Dr. Thomas Goppel und Dr. Marcel Huber, gehören Sie als FDP-Mitglied einer Oppositionspartei an. Wie viel Parteipolitik steckt eigentlich im Amt des Musikratspräsidenten?

Kaltenhauser: Überraschenderweise steckt sehr viel Politik im Amt. Ich habe in den letzten Monaten viel Lob erhalten, für Positionen, die ich bezogen und Vorhaben, die ich angestoßen habe. Auf das Lob habe ich immer wieder mit dem Satz gekontert: Ich habe es einfacher, denn ich kann viel direkter und offener sagen, was mir nicht passt, beispielsweise was die Coronapolitik der Landesregierung betrifft. Da waren die Kollegen der CSU eindeutig eingeschränkter in ihrer Meinungsäußerung und sind ihre Parteifreunde deshalb nicht so hart angegangen. Zur Ehrenrettung von Marcel Huber und auch Thomas Goppel möchte ich aber sagen, dass beiden mitunter die Musik wichtiger war als die Parteipolitik. Sie haben sich da durchaus in vollem Bewusstsein in Konflikte mit ihrer Parteiführung begeben. Die Vorteile, nicht der Regierungspartei anzugehören, überwiegen. Der Nachteil ist, dass ich nicht an Regierungsentscheidungen beteiligt bin, wenn beispielsweise Gelder verteilt werden. Allerdings braucht sich die Musik aus meiner Sicht in Bayern nicht über die Höhe der Zuwendungen zu beklagen, wenn ich das mit anderen Bundesländern vergleiche. Da sich jede Regierung, auch die bayerische, gerne mit Musik und Kunst schmückt, haben wir gute Voraussetzungen, für nachhaltige und kluge Ideen finanziel-le Unterstützung zu erhalten.

nmz: Zurück zu den Musikvereinen im BMR, wie sind da die aktuellen Mitgliederzahlen?

Kaltenhauser: Wir tragen derzeit Zahlen aus den diversen Laienmusikverbänden zusammen. Beispielsweise verzeichnen wir einen Verlust bei den aktiven Bläsern von 4 bis 5%, aber in der Altersgruppe unter 18, da liegt der Verlust in den letzten beiden Jahren bei 10%. Bei den Sängern liegen die Zahlen noch nicht vollständig vor, von einem Sängerbund weiß ich aber bereits, dass dort ein Schwund von 10% bei den aktiven Sängern dokumentiert ist. Bei den unter 18-Jährigen reden wir jedoch von bis zu 25%. Das sind besorgniserregende Zahlen. Ob es gelingt, diesen Verlust mit jungen Sängerinnen und Sängern wieder aufzufüllen, bleibt abzuwarten. Die Laienchöre haben ihre Aktivitäten vor Corona schlichtweg eingestellt und viele exis­tieren faktisch nicht mehr. Das konnte auch der immer versierter werdende Umgang mit digitaler Technik nicht kompensieren. Es ist einfach nicht dasselbe, in seinen Computer zu singen oder ob man nebeneinander steht und gemeinsam singt.

nmz: Anfang April riefen Sie die Initiative #MachMusik ins Leben. Was steckt hinter der Idee?

Kaltenhauser: Wir haben uns im BMR an der Initiative „MachMit“ des Sportministeriums orientiert. Damals übernahm die bayerische Staatsregierung den Jahresbeitrag für alle bayerischen Grundschulkinder des Schuljahres 2021/2022 bei einem Neueintritt in einen gemeinnützigen Sportverein von 30 Euro pro Kind. Diese Idee, im Kinder- und Jugendbereich für einen Neustart der Musikkultur ebenfalls staatliche Förderung zu erhalten, hat uns dann auf die Idee gebracht, #MachMusik ins Leben zu rufen. Wir hatten sehr schnell die Unterstützung des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst. Der Bayerische Musikrat erhielt für die Umsetzung der Kampagne den Betrag von 150.000 Euro staatliche Unterstützung. Mit der Initiative sollen Kinder die Hemmschwelle überwinden, ein Instrument oder das Singen zu erlernen. Flankiert wird #MachMusik mit Aktionen in den diversen social media-Kanälen, wo wir zielgruppengenau für aktives Musizieren werben. Wichtig war für uns, dass #MachMusik keine zentrale Werbung für Musik in Bayern ist, mit der der BMR von oben herab ganz Bayern beglückt. Ganz bewusst sollte die Initiative heruntergebrochen wer-den auf lokale Anbieter, die Werbemittel sollten an lokale Bedürfnisse angepasst werden, um vor Ort auf sich aufmerksam zu machen. Dazu gehörte auch, bei der Aufnahme der Einrichtungen in die Plattform auf Qualität und Qualifikation der ausbildenden Personen zu achten.

nmz: Wen konnten Sie als Partner gewinnen?

Kaltenhauser: Schirmherrin ist Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Co-Schirmherrin ist BR-Intendantin Dr. Katja Wildermuth. Finanziellen Support erhalten wir vom Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Begleitend zur Aktion bietet BR-KLASSIK im Programm ein Forum für die Amateurmusikszene und wirbt dafür, wie großartig und bereichernd das Singen und Musizieren ist.

nmz: Wie läuft die Sache an?

Kaltenhauser: Durchaus vielversprechend. Viele Verbände haben das Motto bereits übernommen, haben eigene Initiativen entwickelt, nutzen die vom Bayerischen Landesmusikrat vorgefertigten Werbemittel wie Plakate, die mit eigenen Infos ergänzt werden können. Auch freie Einrichtungen, die nicht in einem Verband organisiert sind, haben schon angefragt. Mit Beginn des neuen Schuljahres wollen wir eine erste Auswertung starten und die Wirkung untersuchen.

nmz: Hatten Sie schon Gelegenheit, als Mitglied der Konferenz der Landesmusikräte deren Gremienarbeit kennenzulernen und sogar eigene Themen zu platzieren?

Kaltenhauser: Ich war bisher bei einer Konferenz kurz zugeschaltet, die nächste Sitzung findet in Kürze statt, da werde ich dann von Anfang an teilnehmen. In der kurzen Zeit, die ich bisher im Amt bin, standen tatsächlich so viele drängende Themen auf der Agenda, dass die politische Arbeit auf Bundesebene hinten angestellt werden musste. Themen werde ich dort sicherlich noch nicht prominent platzieren, zunächst heißt es für mich zuzuhören und die Positionen kennenzulernen.

nmz: Welche Themen möchten Sie als Präsident des Bayerischen Landesmusikrates wirksam werden lassen?

Kaltenhauser: Für mich ist der Neustart das allerwichtigste, aber ich habe auch diese Vorstellung, oder sollte ich sagen Vision, von einem ganzheitlichen Menschenbild. Kinder sollen in der Schule nicht nur Wissen anhäufen, als Vertreter eines MINT-Fachs darf ich das ja sagen, sondern eine ganzheitliche Bildung erfahren. Dass da die Musik eine besondere Rolle im Unterricht spielen muss, ist ja vollkommen klar.

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