Ein Theater, zwei Orchester, eine Rundfunkanstalt, eine Musikhochschule, eine Universität, eine Kunsthochschule, unzählige private Vereine, die sich der Kultur im weiteren und der Musik im engeren Sinne widmen: Das alles ist im Saarland vorhanden. Dass mal mehr, mal weniger bewusst aneinander vorbei, auch gegeneinander gearbeitet, programmiert und gelehrt wird, war und ist nichts Ungewöhnliches. Es wäre doch wunderbar, wenn alle zusammenarbeiten könnten, miteinander etwas schaffen, was einzeln aus den unterschiedlichsten Gründen nicht machbar wäre!
Seit einigen Jahren gibt es einen in Saarbrücken ansässigen Verein, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, all diese Organisationen, Vereine und Gruppen zu bündeln und zu koordinieren, kurzum: zu vernetzen: „Netzwerk Musik Saar e.V.“. In dieser Saison hat er nach einigen erfolgreichen kleineren Versuchen erstmals ein komplettes Jahresprogramm vorgelegt, in dem viele Kulturinstitutionen gemeinsam ein Thema näher beleuchten. Jeder trägt etwas bei und nimmt damit auch teil an der Erkundung und Entdeckung von Luigi Nonos Musik und Denken – denn dem großen Italiener ist das Programm des Netzwerkes in dieser Saison gewidmet.
Der Verein sieht sich in der Position eines Mittlers. Bewusst will er sich mit seinem Programm gegen den Trend der Popularisierung und Verflachung wenden, indem er mit anspruchsvoller Thematik den Kulturschaffenden und den Rezipienten etwas abverlangt. Da, wo gerade öffentlich-rechtliche Kulturträger ihrem Bildungsauftrag nicht mehr nachkommen, will der Verein sich umso nachdrücklicher dafür einsetzen, dass der Anspruch nicht verloren geht. Und das nicht nur im musikalischen Bereich: „Grenzüberschreitung“ wollen die Programmmacher erreichen, andere Künste ausdrücklich mit ins Boot nehmen. Ganz besonders, – wenn auch noch nicht verwirklicht –, sollen dabei in Zukunft Klangkunst und Klanginstallationen auch einen Schwerpunkt der Arbeit bilden; der Kammermusik als ohnehin nicht gerade von einer breiten Zuhörerschaft wahrgenommener Gattung gilt ein besonderes Augenmerk. Im vorliegenden Programm ist eine Vortragsreihe einbezogen, in der es nicht nur um den Aspekt Musik und Politik, sondern auch um die Verbindungen zwischen Musik und Kunst bei Nono gehen wird. Diesen Anspruch an den Mann zu bringen, ist im Saarland, wo eine im besten Sinne „bildungsbürgerliche“ Schicht nicht eben stark ausgeprägt ist, kein einfaches Unterfangen. Dennoch hoffen die Verantwortlichen, auf Interesse und Resonanz zu stoßen.
Aus der Arbeit des Vereins resultieren Synergieeffekte, die man vor einiger Zeit noch nicht für möglich gehalten hätte, und das nicht nur auf dem Gebiet der Darbietung, sondern auch auf dem Gebiet der Lehre und Forschung: Dank der Arbeit des Vereins kooperieren die Musikwissenschaftler der Universität des Saarlandes inzwischen stärker als in der Vergangenheit mit der Hochschule für Musik Saar, und im gerade angelaufenen Semester ließ sich erstmals eine Kooperation des bei der Musikhochschule ansässigen Instituts für Neue Musik und der Hochschule der Bildenden Künste Saar realisieren. Vernetzung soll umfassend versucht werden, gerade auch in der Ausbildung. So lässt sich nicht nur Potential nutzen, das bisher brach lag, sondern so lässt sich auch Geld einsparen, ohne dass die kulturelle Landschaft dabei leidet.
Ein dritter Vernetzungseffekt ergibt sich beim Publikum: Jeder Veranstalter, der etwas zum Netzwerk beiträgt, bringt auch ein eigenes Stammpublikum mit – und das gilt es, auch für die anderen Veranstaltungen zu interessieren. Durch die Programme, die gemeinsam mit dem Netzwerk entstehen, werden auch Publikumsschichten, die mit aktueller Musik nicht oder nur geringen Kontakt hatten an diese Musik herangeführt und möglicherweise dafür begeistert. Auch deswegen versuchen viele der Konzerte des aktuellen Programms den Brückenschlag zwischen der „neuen“ Musik Nonos und älterer Musik: Da stehen Werke Gabrielis und Vivaldis neben solchen von Malipiero, Maderna und Nono und aus der Verbindung ergeben sich nicht nur interessante Aspekte in Bezug auf Nonos Biografie: Im Konzert kann die „neue“ Musik plötzlich auf eine unerwartete Art fesseln und begeistern.
Doch: Das alles braucht auch Zeit. Damit die Arbeit des Vereines Erfolg zeigen kann, reicht ein Programm sicher nicht aus, muss das Netzwerk nach und nach weiter geknüpft werden. So ist es zum Beispiel kaum zu verstehen, warum das gerade auf dem Gebiet der Neuen Musik seit der Ära Zender bundesweit anerkannte Sinfonieorchester des Saarländischen Rundfunks nicht ein Stück beiträgt. Da liegt Potenzial brach, das genutzt werden müsste – ,aber das ist nicht immer einfach: Denn der Verein kann niemanden zwingen, sich zu beteiligen. Er muss darauf bauen, dass sein Anliegen mit offenen Ohren aufgenommen und begeistert übernommen wird, wie es etwa der Saarländische Rundfunk mit Radiofeatures und der Aufzeichnung der Konzerte und Vorträge tut, wie die Saarbrücker Kammermusiktage, die Nonos Streichquartett ins Programm nahmen, wie das Saarländische Staatstheater, das ein Orchesterkonzert und die Aufführung von „Intolleranza 1960“ beisteuert, und wie viele andere. Ohne die bereitwillige Mitarbeit der Kulturorganisationen kann der Verein nicht arbeiten. Und derzeit ergeben sich viele Zusammenarbeiten, Netze auch aus den persönlichen Kontaktnetzen der Verantwortlichen.
Womit ein weiteres Problem angesprochen ist: Ohne ehrenamtliche Arbeit gäbe es den Verein nicht. Ohne den Einsatz der Mitglieder, der Verantwortlichen gäbe es kein Programm, keine Vernetzung – und das ist doch auch ein Aspekt, der nachdenklich stimmt: Es muss jemand zur Verfügung stehen, der diese Arbeit ehrenamtlich macht. Und es muss gleichzeitig gesichert sein, dass der Verein finanziell auf festen Füßen steht. Gleichzeitig kann ein Erfolg des Vereins, der aus der Not heraus, dass öffentliche Kulturträger ihren Bildungsauftrag nicht mehr wahrnehmen, keine Entschuldigung für staatliche Stellen sein, sich aus der Kulturförderung weiter zurückzuziehen, wenn der Verein erfolgreich arbeitet. Denn sollten sich eines Tages keine Freiwilligen mehr finden, die diese anspruchsvolle Kulturarbeit machen können und wollen, wäre eine anspruchsvolle kulturelle Versorgung möglicherweise nicht mehr garantiert.
Eine Gratwanderung für den Verein, zugegeben. Aber seine Arbeit sollte Grund zu einer offenen Diskussion der Problematik sein – gerade für die Förderung der Kultur zuständige Stellen, aber auch öffentliche Kulturträger sollten die Arbeit des Vereins zum Anlass nehmen und das Ergebnis der Vereinsarbeit nicht als sanftes Ruhekissen zur Gewissenberuhigung bei weiteren Mittelkürzungen nehmen. Denn die wirtschaftliche Situation des Vereins ist nicht unbedingt einfach zu nennen: Derzeit hat der Verein zwölf zahlende Mitglieder, wovon alleine acht im Vorstand sind.
Damit finanziert sich seine Arbeit nicht und so müssen Drittmittel geworben werden – Arbeit, die auch nicht einfacher ist als die programmatische und für die sich auch Freiwillige finden müssen.
Dennoch ist der Verein ein Schritt in die richtige Richtung. Er kann zeigen, dass sich Anspruch und Publikumsresonanz nicht ausschließen müssen, wenn man versucht, vorhandenes Potential sinnvoll zu koordinieren. Für die weitere Arbeit gilt sicher der Satz, der Nono in seinen letzten Jahren umgetrieben hat: „Non hay caminos hay que caminar“ – „Es gibt keinen Weg, man muss nur gehen“.
Weitere Informationen und Kontakt zum Netzwerk unter http://www.netzwerk-musik-saar.de. Die Konzertreihe des Vereins wird von einer auf drei Bände angelegten Publikationsreihe des Pfau-Verlages flankiert, deren erster Teil, „Luigi Nono – Dokumente, Materialien“ gerade erschienen ist (ISBN 3-89727-240-7).