Hauptbild
Mit ungewöhnlichen Aktionen soll der Tag der Hausmusik im Musikland Niedersachsen neu belebt werden.  Foto: Katharina Bauer
Mit ungewöhnlichen Aktionen soll der Tag der Hausmusik im Musikland Niedersachsen neu belebt werden. Foto: Katharina Bauer
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Musikkampagnen zwischen Dachboden und Keller

Untertitel
Das Musikland Niedersachsen stellt den Tag der Hausmusik vor
Publikationsdatum
Body

Der dreitägige Tag der Musik ist zumindest Musikern ein Begriff. Die Fête de la Musique aus Frankreich am 21. Juni auch. Doch der 22. November, Tag der Hausmusik? Kennt und feiert niemand. Die Musikland Niedersachsen gGmbH will das ändern.

Kein Wölkchen trübt das Blau überm Braunschweiger Kohlmarkt. Die Sonne scheint behagliche 23 Grad Celsius, es geht ein leichter Wind. Drei Mädchen spannen Regenschirme auf. Vor einem improvisierten Wohnzimmer mit Sofa und goldener Stehlampe stampfen sie mit den Füßen auf den Boden, setzen schließlich Querflöten an.

Das, was auf den ersten Blick ein wenig skurril anmutet, hat auf den zweiten Methode: Man entdeckt das Schild, das neben dem Sofa an einem älteren Wohnwagen lehnt. Heimvorteil steht da, Tag der Hausmusik, 22. November 2014. Und: Musikland Niedersachsen.

Die gleichnamige gemeinnützige Gesellschaft aus Hannover steckt hinter diesem Wohnzimmerkonzert unter freiem Himmel. Vor allem aber steckt das vierköpfige Team um Markus Lüdke hinter der Idee, den bundesweiten Tag der Hausmusik neu zu beleben. In Niedersachsen zunächst, später vielleicht im ganzen Land. Es soll Hauskonzerte geben, Balkontheater, spontane Jamsessions im Treppenhaus. „Wir bringen selber viele Anregungen, Tipps, Ideen und sogar ein Handbuch für Gastgeber mit, wollen uns aber auch von der Kreativität der Niedersachsen überraschen lassen“, erläutert Lüdke das Konzept: „Zwischen Dachboden und Keller passt viel Musik, nur selbstgemacht sollte sie sein.“

Mit Kampagnen wie diesen hat die gGmbH Erfahrung. Ob es unter dem Stichwort „SoundScape“ um die akustische Vermessung Niedersachsens geht, um den Begriff „Musikland“ selbst oder eben: um Hausmusik. Dieser Ausdruck, den man ins 20. Jahrhundert steckt, vielleicht ins 19. Der altbacken klingt, staubig, verbraucht. Der Kampagnentitel „Heimvorteil“, erzählt Lüdke, sei auch ein Versuch, sich von genau diesem Image zu lösen. Zu zeigen, dass Hausmusik mehr ist als das Streichtrio, dass seit 40 Jahren den immer gleichen Beethoven verarztet; grüß’ dich, Loriot. Dass Hausmusik auch die Arien sind, die man unter der Dusche singt. Die Band, die in der Garage im Innenhof probt. Das Trommeln aus dem Kinderzimmer.

Das Thema ist nicht neu. Vor drei Jahren widmete die Zeitschrift „Das Orchester“ den Spielarten von Hausmusik eine ganze Ausgabe. In Weimar integrierte man im selben Jahr eine „Lange Nacht der Hausmusik“ in die Thüringer Bachwochen. Und in Bayern gibt es seit 2012 den Hausmusikwettbewerb „Heimspiel“. Umso erstaunlicher ist es, dass ein Datum wie der 22. November trotzdem so selten in den Agenden auftaucht. Braucht es diesen Termin am Ende nicht, weil es eben auch ohne Anlass klappt? Unter der Überschrift „30625MUSIK“ fand im Spätsommer 2013 in Hannovers Stadtteil Kleefeld beispielsweise zum zweiten Mal ein Musikfestival statt, das fast ausschließlich von Musikerinnen und Musikern aus dem Viertel bestritten wurde – mit Hauskonzerten, öffentlichen Proben, musikalischer Nachbarschaftlichkeit. In Hitzacker unterrichten Profis im Rahmen der „Sommerlichen Musiktage“ regelmäßig Laien. Und in Braunschweig erzählt Annette Berrymann, Mutter einer der drei Querflötistinnen: „Wir machen zu Hause immer mal wieder gemeinsam Musik. Vor allem an Feiertagen oder vor Konzerten der Kinder.“ Sie und ihr Mann sind beide Musiker, spielen Blockflöte und Barockoboe, manchmal laden sie auch Kollegen ein. Alles prima. Bloß: Lüdkes Team will mehr. In der einen Hand ein Eis, in der anderen eins der Kazoos, die Volontärin Ulrike Eberle verteilt hat, bleiben Passanten vor dem Wohnwagen stehen. „Do you Kazoo?“, steht auf der Pappe, die Lüdke hochhält. Auf der nächsten ist eine Linie gemalt. „Ich bin gespannt, ob Sie es schaffen, einen Ton auf dem Kazoo ganz gerade auszuhalten“, animiert der Geschäftsführer den kleinen Trupp mit den bunten Plastikröhrchen. Augenblicke später tröten sie „Smoke on the water“, inklusive Soli. „Wir möchten den Menschen zeigen, dass es nicht viel braucht, um Musik zu machen“, erklärt Lüdke. „Und dass es das eigene Leben auf eine Art bereichert, die über den bloßen Musikkonsum hinausgeht.“ Darum gibt es ein Starterkit aus Kazoo, Nasenflöte, Maultrommel und Rassel-Ei bei Musikalienhändlern in ganz Niedersachsen zu kaufen. Darum wird im Herbst eine Tauschbörse eingerichtet: Musiker sucht Wohnzimmer und umgekehrt. Ein Hauskonzert des A-cappella-Quartetts „DreiVierUnd“ mit Mitgliedern des Braunschweiger Staatsopernchors ist an diesem Freitag vor Pfingsten bereits verlost worden.

„Eine grundsätzliche Aufmerksamkeit für den Tag und das Thema mag in Fachkreisen vorhanden sein“, argumentiert Lüdke, „in der breiten Bevölkerung ist sie es aber nicht.“

Aus diesem Grund steht der charmante Wohnzimmerwohnwagen Baujahr 1968 dieser Tage nicht nur in der Fußgängerzone von Braunschweig, sondern auch im benachbarten Wolfenbüttel, und zur Fête de la Musique am 21. Juni in Hannover. Darum stampfen und flöten Franka, Yina und Keti davor ihren „Regentanz“, weil es sich vor so einem Wohnwagen eben fast genauso stampft und spielt wie zu Hause. Stube bleibt Stube bleibt Stube. Vielleicht ist das auch die entscheidendere Beschwörungsformel. Denn geregnet hat es nicht.
 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!