Warum immer die Ambitioniertesten? Und auch dies fällt auf: Weshalb muss es eigentlich stets zum Äußersten kommen? – Gerade erst die Offenen Briefe von 160 Dirigenten und 148 Komponisten, die sich gegen die Zerschlagung des SWR-Orchesters wenden, jetzt ein Offener Brief von 60 Künstlern aus dem In- und Ausland, die für den Erhalt der Kammerphilharmonie Amadé eintreten. Zwei Klangkörper, unterschiedlich nach Struktur und Repertoire. Dort ein der zeitgenössischen Moderne verpflichtetes Rundfunksinfonieorchester, hier ein auf „freiwillige Leistungen“ der öffentlichen Hand angewiesenes Orchester ohne institutionelle Bindung mit einem Schwerpunkt erste bis zweite Wiener Schule.
Und doch, in diesem Punkt sind die Expertisen ausgewiesener Sachverständiger ganz klar: Hier wie dort zielt der Angriff auf Klangkörper, die hinsichtlich ihres künstlerischen Anspruchs und Rangs Spitzenplätze einnehmen. Es dürfte einmalig sein, dass Mitglieder der Wiener und Berliner Philharmoniker, dass Interpreten von Weltruf sich mit ihrem Namen für ein freies Ensemble aus Nordrhein-Westfalen einsetzen.
Woran man zunächst erkennen kann, dass ein ambitioniertes künstlerisches Konzept aufgegangen ist. Nichts weniger als die exzeptionelle Streicherkultur der Camerata Salzburg unter Sandor Vegh hatte Frieder Obstfeld im Ohr und im Sinn, als er 1997 ein Orchester aus der Taufe hebt, das ganz und gar seinem Ideal der Transparenz und Eleganz des Klangs verpflichtet sein sollte. Angekommen ist dieses Zusammenwirken von Spielkultur und Klangsinn nicht zuletzt bei den „Sommerlichen Musiktagen Soest“, dem Festival-Beitrag der Kammerphilharmonie Amadé zur Musiklandschaft in Nordrhein-Westfalen.
Und: Es sind ja nicht wenige Spitzensolisten der internationalen Konzertszene – Martin Stadtfeld, Anatol Ugorski, Jörg Widmann, Vesselina Kasarowa, Ida Haendel, Natalia Gutman –, die das Musizieren mit einem Ensemble schätzen, das immer wieder kreist um die Musik seines Namenspatrons, dem, so Obstfeld, „Dreh- und Angelpunkt einer menschlichen Musik für Menschen von heute“. Mit dem Ziel, über das Historische hinaus, die Zeitgenossenschaft Mozarts offenzu legen. Einer Musik, die „aus der Zukunft kommt“, hätte Joseph Beuys gesagt – ein anderer Visionär aus Nord-rhein-Westfalen.
Liegt es am Geld, dass dies alles jetzt zur Disposition steht? Man kann es sich nicht richtig vorstellen. Immerhin hatte die Förderung der Dortmunder Residenz des Mahler Chamber Orchestra mit jährlich 600.000 Euro (zur Hälfte aus Mitteln des Landes und der Kunststiftung NRW) gezeigt, was so geht in der Musiklandschaft Nordrhein-Westfalen. Mit einer jährlichen Fördersumme von 60.000 Euro rangiert die Kammerphilharmonie Amadé ausweislich des NRW-Kulturförderungsberichtes 2011 zudem noch deutlich hinter ähnlichen Kammerorchestern in Essen und Det-mold. Doch selbst dieser Förderrahmen hat sich in der zurückliegenden Konzertsaison noch einmal dramatisch verringert.
Wobei die entscheidende und, wie sich jetzt herausstellt, existenzbedrohende Wende darin besteht, die übliche Praxis des pauschalen Gesamtförderbetrages aufgegeben zu haben. Stattdessen hat man das Orchester damit konfrontiert, jedes einzelne Projekt gesondert zu beantragen, was den bürokratischen Aufwand in einer Weise steigert, dass ein selbstverwaltetes Künstlerensemble seine personellen Grenzen erreichen muss.
Das „Erschrecken“, das der Offene Brief zum Ausdruck bringt, ist insofern ein Erschrecken über eine kunstverwaltende Praxis des Hinhaltens, Gängelns, zur Ader lassens, von der man das Gefühl nicht los wird, dass hier eigentlich die politische Aufsicht gefordert ist. Was da seit geraumer Zeit an Nachrichten über eine benachteiligende, intransparente Verwaltungsführung nach außen dringt, scheint letztlich nur diesen Schluss zuzulassen, dass das Orchester als unerwünschte Konkurrenz empfunden wird und weggemobbt werden soll. – Was ist zu tun? Zunächst wäre mit den demokratischen Grundsätzen Gleichbehandlung und Transparenz eine Selbstverständlichkeit wiederherzustellen. Im zweiten Schritt sollte der Kammerphilharmonie Amadé eine „Konzeptförderung“ angeboten werden: ein festgesetzter Betrag auf wenigstens drei Jahre mit der Option auf Verlängerung.
Eine Grundlage, auf der das Orchester aufbauen kann – mit erwartbarem Umkehr-Effekt für das Land. Immerhin, soviel scheint klar: „Nordrhein-Westfalen entwickelt sich zu einer der kreativsten Regionen Europas.“ Nur zu gern möchte man beipflichten, was die nordrhein-westfälische Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport auf der Website ihres Minis-teriums konstatiert. Und nicht weniger dem, was sie über die „Musiklandschaft in Nordrhein-Westfalen“ sagt: dass nämlich dieselbe „reichhaltig“ ist. – Sie sollte es bleiben.