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Netzwerker im Flächenland:  Johannes Münter. Foto: Moritz Küstner
Netzwerker im Flächenland: Johannes Münter. Foto: Moritz Küstner
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Musiklehrermangel mit Nachwuchsförderung bekämpfen

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Johannes Münter, Präsident des Landesmusikrats Niedersachsen, im Gespräch
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Seit Mai 2017 ist Johannes Münter Präsident des Landesmusikrats Niedersachsen. Der 64-Jährige, der nicht nur als Musikschullehrer und Dozent, sondern auch als Sänger und Komponist tätig war, hat mit Markus Kilian über musikalische Bildung, die Eigenheiten Niedersachsens und ein mögliches Bühnen-Comeback gesprochen.

neue musikzeitung: Herr Münter, auf welche Kontakte und Netzwerke aus Ihren früheren Tätigkeiten können Sie zurückgreifen?

Johannes Münter: Durch meine früheren Tätigkeiten pflege ich insbesondere Kontakte in die Hochschulszene, nicht nur in Osnabrück, wo ich einen Lehrauftrag hatte, sondern auch etwa zur Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Mit Professor Dr. Roland Hafen von der Universität in Vechta habe ich zehn Jahre lang berufsbegleitende Lehrgänge durchgeführt – davon sind natürlich noch Kontakte da. Durch meine siebenjährige Tätigkeit im Landesverband der niedersächsischen Musikschulen, davon vier Jahre als sein Vorsitzender, pflege ich außerdem sehr gute Verbindungen in das niedersächsische Netzwerk hinein.

nmz: Wenn Sie nach knapp eineinhalb Jahren Präsidentschaft Bilanz ziehen – was verbuchen Sie als Erfolg, wo muss noch nachgebessert werden?

Münter: Ich bin mit vier wesentlichen Zielen angetreten, die auch momentan noch immer in unserem Fokus stehen: die Weiterentwicklung der musikalischen Bildung in Niedersachsen, die Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Laienmusizieren, die Profilbildung der Landesmusikakademie Wolfenbüttel (die ja eine 100-prozentige Tochter des Landesmusikrates ist) und die Betreibung der Netzwerkbildung. Für mich ist das Netzwerk insofern von sehr großer Bedeutung, weil ich denke, dass wir unsere Anliegen gemeinsam wesentlich deutlicher nach außen hin vertreten können, als jeder allein. Da wir uns mit unseren Wünschen auch begrenzen müssen, fallen dadurch manchmal zwar speziellere Fragen raus, gemeinsam haben unsere Anliegen aber eine ganz andere Wirkung. Genauso ist es, wenn wir in regelmäßige Gespräche mit den beiden Ministerien gehen, sowohl mit Björn Thümler (niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur) als auch mit Kultusminister Grant Hendrik Tonne. Als Erfolge sehe ich unseren starken Rückhalt sowohl bei der Landesregierung als auch bei den eigenen Mitgliedsverbänden in Bezug auf die Landesmusikakademie, wo wir unser Profil umgestellt haben und dort auf einem sehr, sehr guten Weg sind. Mit Markus Lüdke [s. nmz-Interview 10/18] haben wir einen hervorragenden neuen künstlerischen Leiter gefunden im Sinne einer Intendanz und nicht nur einer Verwaltungsleitung einer solchen Akademie. Auch der Generalsekretär des Landesmusikrats, Hannes Piening, arbeitet wirklich visionär und ist gut vernetzt. Außerdem konnten wir mit dem Niedersächsischen Kultusminis­terium eine Rahmenvereinbarung zur Ganztagsschule abschließen, sodass wir nun nicht nur Lehrkräfte dort einsetzen können, sondern auch Mitglieder, die bei uns dafür qualifiziert worden sind, wie etwa Musikschul- und Privatmusikerzieher.

Musikalische Bildung

nmz: Damit sind wir schon beim Thema der musikalischen Bildung: Wie gehen Sie den Musikschullehrermangel im Land Niedersachsen an – Stichwort: Quereinsteiger – und wie möchten Sie den Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen verbessern?

Münter: Wir haben bei der halbjährlichen Konferenz der Landesmusikräte gemeinsam mit dem deutschen Musik­rat und der Bertelsmann-Stiftung ein Monitoring zur Versorgung der musikalischen Bildung in Auftrag gegeben – Ergebnisse haben wir noch keine. Die momentane Situation in der gesamten Republik ist nicht befriedigend. Laut den Zahlen, die uns bis jetzt vorliegen, fehlen in Niedersachsen etwa 25 Prozent Musiklehrer an den Schulen, wodurch auch viel Unterricht ausfällt. Weitere 25 Prozent des Unterrichts werden fachfremd – heute sagt man „fachnah“ – erteilt, also von engagierten Lehrkräften, die aber nicht dafür ausgebildet worden sind. Auf der einen Seite brauchen wir aktuell händeringend Lehrkräfte, die in der Lage sind, diesen Mangel zu kompensieren, auf der anderen Seite müssen wir aber auch darauf achten, dass wir einen Berufsnachwuchs ausbilden können, der später fachlich dazu in der Lage ist, die zukünftigen Aufgaben zu bewältigen. Im Landesmusikrat sind auch die Lehrerverbände Mitglied, in Niedersachsen sind das sogar noch zwei verschiedene: der Bundesverband Musikunterricht und der Landesverband des Verbandes Deutscher Schulmusiker. Beide vertreten den Standpunkt, dass es gerade beim Thema Quer- respektive Seiteneinsteiger unerlässlich ist – und das kann ich auch sehr gut teilen –, eine fundierte Grundausstattung in Form eines vorangehenden Grundstudiums für diesen Beruf mitzubringen. Wir müssen da ganz deutlich unterscheiden: Seiteneinsteiger besitzen eine musikalische Ausbildung aus einem anderen Bereich, kommen aber aus der musikalischen Bildung, während Quereinsteiger nicht unbedingt die Profession für die musikalische Bildung mitbringen. Wir haben eine Menge hochqualifizierte, staatlich geprüfte Musikschullehrer/-innen, die aber nicht für den Bereich der allgemeinbildenden Schule ausgebildet sind. Da stecken wir momentan in einem Dilemma: Auf der einen Seite müssen wir schnell Aushilfe schaffen, auf der anderen Seite aber die Qualität der Ausbildung sichern. Zudem müssen wir auch im Blick behalten, wie sich der Lehrerbedarf in der Zukunft entwickelt. Wenn immer weniger Kinder mit Musik in Berührung kommen, entsteht auch keine Affinität zur Musik. Deshalb ist es so wichtig, dass wir gerade die Grundschulen versorgen. In den weiterführenden Schulen ist dieser Musiklehrermangel nicht so eklatant. Allerdings sieht die Stundentafel in Niedersachsen von der achten bis zur zehnten Klasse oft nur eine Wochenstunde Musikunterricht vor. Ab der elften Klasse gibt es nur noch sogenannte Wahlfächer, die sich Musik im künstlerischen Bereich mit Kunst und darstellendem Spiel teilen muss. Da kann man sich vorstellen, dass darstellendes Spiel, was fast ohne Vorkenntnisse gewählt werden kann, auf 50 Prozent kommt, während Musik bei 10 Prozent liegt. Anders als bei den Geistes- oder Naturwissenschaften kann man aber keinen Musikberuf ergreifen, wenn man erst mit 18 oder 19 Jahren damit anfängt. Wenn uns ab der achten Klasse also der musikalische „Mittelbau“ wegbricht und immer weniger Kinder zur Musik hingeführt werden, ist das eine Abwärtsspirale, sodass wir auf Dauer immer weniger junge Menschen haben, die überhaupt bereit sind, Musik zu studieren und später zu unterrichten.

nmz: Ist Musikschullehrer überhaupt noch ein Beruf mit Zukunft und wen würden Sie ermutigen, diese Berufsausbildung zu ergreifen?

Münter: Zur musikalischen Bildung gehört natürlich auch die Begabungsförderung. Dort entdecken wir immer sehr viele junge, engagierte Menschen, die vor allen Dingen bei den Wettbewerben „Jugend musiziert“ und „Jugend jazzt“ gute Leistungen zeigen. Wir haben in unseren Musikschulen – und das ist ein Alleinstellungsmerkmal – die studienvorbereitende Ausbildung, die auf ein Berufsstudium vorbereiten soll, genauso bieten wir Kurse oder die Musikmentoren-Ausbildung an, wo sich begabte Jugendliche etwa in Chor- oder Ensembleleitung weiterbilden können. Darüber hinaus ist der Landesmusikrat Träger der sechs Landesauswahlensembles, in denen die begabtesten jungen Musikerinnen und Musiker spielen und singen. Zu unserer Aufgabe der musikalischen Bildung zählt nicht nur, die Breitenarbeit zu gewährleisten, sondern auch die Förderung und Qualifikation des Nachwuchses, dem wir häufig raten, einen musikpädagogischen Beruf zu ergreifen. In den Beratungsgesprächen machen wir immer darauf aufmerksam, dass es für Solisten und Orchestermitglieder im Exzellenzbereich sehr schwierig ist, sich gegen die Konkurrenz aus aller Welt durchzusetzen.

Laienmusizieren im ländlichen Raum

nmz: Der Deutsche Musikrat traf sich unter dem Motto „Stadt, Land“, die Kulturstiftung des Bundes hat ihr Programm „TRAFO“ – wie möchten Sie das Laienmusizieren insbesondere im ländlichen Raum vorantreiben?

Münter: Nicht nur in den Schulen, auch im ländlichen Raum bricht das Personal sehr stark weg, das in der Lage ist, andere Menschen etwa als Chor- oder Blaskapellenleiter anzuleiten. Gerade das Laienmusizieren bildet im ländlichen Raum aber den Rückhalt für musikalische Kultur, hat jedoch den Nachteil, dass sie nicht ins­titutionell gefördert wird – zumindest in Niedersachsen. Während andere Mitgliedsverbände eine Geschäftsstelle unterhalten und Lobbyarbeit betreiben können, sind die Laienmusikverbände auf die sogenannten Weiterleitungsmittel angewiesen. Das Land stellt jährlich Mittel zur Verfügung, um Chorleiter- und Übungsleiterausbildungen finanzieren zu können. Würde man alles nur dem Ehrenamt überlassen, wäre man auf sehr engagierte Menschen angewiesen, die aber auch irgendwann an ihre Grenzen stoßen werden – entweder fachlich oder zeitlich. Momentan haben wir im Laienmusikbereich eine Förderung von jährlich 1,18 Euro pro Kopf. Das ist nicht viel. Davon suchen wir Abhilfe zu schaffen und stoßen auch bei der Landesregierung auf offene Ohren, allerdings gibt es dort natürlich viele Interessenten aus anderen Bereichen und die Konkurrenz bei der Verteilung der einzelnen Mittel ist sehr groß. Das ist auch in Ordnung, wir sind ja nicht die Einzigen, die am gesellschaftlichen Leben beteiligt sind.

nmz: Wie fördert man in Niedersachsen Musik, wenn man mit Hannover nur eine Großstadt und mit Braunschweig nur eine halbe Großstadt hat?

Münter: Niedersachsen ist mit acht Millionen Einwohnern ein bevölkerungsreiches Bundesland und das zweitgrößte Flächenland in Deutschland. Aber es hat eine eigene Struktur: Wir haben eine sehr große Stadt mit Hannover, eine mittelgroße Stadt mit Braunschweig, dann kommen aber schon Osnabrück und Oldenburg mit je etwa 160.000 Einwohnern. Also haben wir vier Großstädte, wovon zwei kleine Großstädte sind. In Nordrhein-Westfalen oder Hessen etwa gibt es Ballungszentren, die einen gewissen Kosmos, einen eigenen lebensfähigen Organismus auch im kulturellen Bereich besitzen, weil dort einfach viel angeboten wird.

Im „tiefsten Moor“ gibt es das allerdings nicht – da ist man auf Kulturträger angewiesen, die vor Ort das hochhalten, vertreten und anbieten, was in großen Städten häufig ein Selbstläufer ist. Das ist ein spezielles Problem in Niedersachsen. Hier leisten aber die ehrenamtlich geführten „Kontaktstellen Musik“ eine hervorragende Arbeit im ländlichen Raum.

nmz: Als Präsident des Niedersächsischen Musikrats arbeiten Sie an mehreren Fronten parallel – wieviel Zeit bleibt Ihnen da noch, um selbst wieder zu musizieren oder zu komponieren?

Münter: Viel Zeit bleibt da nicht, das muss ich ganz ehrlich sagen. Da ich neben meinem Hauptberuf in der Musikschule zehn Jahre verstärkt berufsbegleitende Lehrgänge gemacht habe, einen Lehrauftrag am Institut für Musikpädagogik in Osnabrück zur Didaktik des Klassenmusizierens und eine Funktionärstätigkeit im Verband deutscher Musikschulen und im Landesmusikrat hatte, ist meine eigene Bühnenpräsenz mehr oder weniger auf null gefahren.

nmz: Keine Chance auf ein Comeback?

Münter: Ob ich noch einmal auf die Bühne gehe, weiß ich nicht. Seit einem Monat bin ich mit meiner Leitungstätigkeit in der Musikschule im Ruhestand, von dem ich allerdings wenig merke, weil ich nun natürlich verstärkt für den Landesmusikrat im Einsatz bin. Aber ich setze sehr viel daran, dass auch wieder Kapazitäten fürs Musizieren frei werden. Ich freue mich darauf, wieder die Gitarre in die Hand zu nehmen und mehr Musik zu machen. 

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