Wie attraktiv ist Hamburg als Musikstadt – kann es der Konkurrenz der deutschen Großstädte noch standhalten? Wie sehen es seine eigenen Bewohner und – nicht zuletzt – kann Hamburg noch auf die Unterstützung der Kulturpolitik bauen? Es galt, den Standort Musikstadt Hamburg zu klären. Zu diesem Anlass lud das Hamburger Kulturforum am 30. März in der Freien Akademie der Künste zu einer Podiumsdiskussion ein. Unter der Leitung Theo Geißlers (nmz) diskutierten der Staatsopernintendant Louwrence Langevoort, der Komponist und Professor Peter Michael Hamel, Konzertveranstalter Karsten Jahnke sowie die Journalisten Werner Burkhardt (Süddeutsche) und Christoph Twickel (Szene HH). Das im November 2000 gegründete Kulturforum setzte damit seine Reihe „Glänzende Aussichten?“ fort, in der Perspektiven für Hamburgs Kunst und Kultur erörtert werden.
Provokant eröffnete Theo Geißler den Abend mit der Feststellung, dass man in der Reflektion über Musikstädte sofort an München, Köln oder Berlin denke – der Name Hamburg jedoch eher in die hinteren Ränge abtauche. Ein Statement, das Protest erweckt, aber auch den Handlungsbedarf aufzeigt. Hamburg erlebt derzeit eine starke öffentliche Diskussion über die Kulturpolitik, die Kritik an Hamburgs Kultursenatorin Dana Horakova macht auch vor bundesweiten Medien keinen Halt mehr. Der Kulturetat wurde um 100.000 Euro gekürzt, ein Fehlbetrag, den die Kultur in allen Bereichen zu spüren bekommt. Wichtige Musikfirmen wie Universal haben der Stadt den Rücken zugekehrt, es folgen die IFPI und der Deutsche Phonoverband – ganz zu schweigen von den zahlreichen Musikern, die in eigenen Worten gesprochen, „die Schnauze voll haben“ von Hamburg – einer der größten Städte Deutschlands, die jedoch Musikschaffenden wenig Unterstützung bietet.
Bei allen Kritikpunkten waren sich die Beteiligten schnell einig – das Problem der Musikstadt Hamburg als Standort ist weit vielschichtiger, als dass man den schwarzen Peter einfach der Kultursenatorin unterschieben könnte. So spricht Werner Burkhardt seine Eröffnungsrede „in a-Moll und nicht in strahlendem Dur“: Die Probleme liegen in der Überalterung des Publikums – vom Silberlockenmeer der Opernbesucher war gar die Rede.
Hinzu komme die Eventgeilheit der Jugendlichen, die Fantasielosigkeit der klassischen Programme und nicht zu vergessen das Phänomen „Crossover“, eine Mischung aus E- und U-Musik, von der sich manch Veranstalter Massenpublikum erhoffe, in dem beide Musikstile verlören und der Zuhörer letztendlich nur Leere zu hören bekäme.
Klar ist, dass es in Hamburg – wie in jeder anderen Stadt auch – zwei Seiten der Medaille gibt. Die Unterhaltungsbranche boomt vergleichsweise mit ihren Musicals oder Megakonzerten in der Colorline-Arena sowie im Stadtpark. Ein Faktum, weshalb Hamburg in Karsten Jahnkes Urteil als beste Musikstadt im bundesweiten Vergleich abschneidet. Auch die Clubszene Hamburgs scheint kommerziell und ideell gesund dazustehen. Christoph Twickel spricht gar von einer hohen Identität der Popkultur. Die Stadt ist voll von Rappern und HipHoppern, Bands wie „Die Sterne“ und „Tocotronic“ locken viele Zuzügler in die Hansestadt.
Anders sieht es da im Bereich der sogenannten Kunstmusik wie Neue Musik oder Jazz aus. Zeitgenössische Musik hat es naturgemäß schwerer, Publikum zu ziehen – hier fällt jedoch die städtische Förderung im bundesweiten Vergleich weit hinten ab. Bietet die Hochschule eine hervorragende, breitgefächerte Ausbildung für den Nachwuchs, werden die Künstler anschließend jedoch kalt auf die Strasse entlassen. Der Humus der Stadt wird geradezu ausgetrocknet – Peter Michael Hamel erklärt Hamburg gar als Nullstadt für die Avantgarde.
Sieht man einmal von der Kulturpolitik ab, liegt ein großes Problem für den Standort Hamburg im Marketing der Stadt. Das interessierte Publikum ist existent, nur die Kommunikation scheint zu fehlen. Die Medien berichten wenig über die eigenen Künstler – 90 Prozent dessen, was in Hamburg veranstaltet wird, findet beispielsweise im Radio keine Resonanz. Die freie Plakatierung wurde abgeschafft, Werbung für die Konzerte ist für viele schlicht unerschwinglich geworden. Ferner hat Hamburg zu lange stillschweigend zugeschaut, anstatt seine Probleme nach außen zu kommunizieren, zu lange jeder für sich still in seinem eigenen Bereich gejammert.
Das Kulturforum hat zu Beginn des Jahres mit seinem offenen Brief an den Bürgermeister der Hansestadt die Diskussion unter den Kulturschaffenden losgelöst, was nicht zuletzt das immense Echo der Presse zeigt. Unumstritten bleibt der Fakt, dass Hamburg ein großes Potenzial in sich birgt. Die Auftrittsmöglichkeiten für Musiker sind in den letzten Monaten wieder stark gestiegen – allein im Bereich der Jam-Sessions haben sich sieben neue Spielorte erschlossen. Was Hamburg fehlt, ist neben der Kulturpolitik die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Kulturschaffenden und die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen. Große Konzerte laden keine lokalen Künstler ins Vorprogramm – der Nachwuchs wird eher sträflich behandelt. Wenn die Kulturschaffenden der Stadt erreichen, ihre hanseatische Vornehmheit beiseite zu schieben und gemeinsam für die Kultur der Stadt zu arbeiten, schafft Hamburg es vielleicht wieder, in der ersten Liga als Musikstadt mitzuspielen.