Bereits 2006 hat dm-drogeriemarkt einen Beitrag zur musisch-kulturellen Bildung von Kindern geleistet. Mehr als 32.000 Kinder durften im Rahmen von „Zukunftsmusiker“ über den Zeitraum von sechs Wochen Instrumentalunterricht erhalten, den dm für die Kinder finanziert hat. 2009 startete das Projekt „Singende Kindergärten“. Was zunächst als Pilotprojekt in 25 Kindergärten im Stuttgarter Raum begann, weitete sich im Jahr 2010 auf zehn Städte aus. 2011 sollen 320 Kindergärten in 13 Ballungsräumen involviert werden.
Die Teilnahme ist für die Erzieher/-innen kostenfrei. Ziel des Projekts ist es, das Singen in Kindertagesstätten nachhaltig zu etablieren. Die Freude der Kinder am Singen soll gefördert und erhalten werden. Dabei stehen die Erzieher/-innen der Kindergärten im Mittelpunkt. Das Projekt möchte ihnen helfen, dass sie sich trauen, ihre Stimme in der Arbeit mit den Kindern selbstbewusst einzusetzen und in den täglichen Ablauf viel Singen zu integrieren. Der Schwerpunkt liegt auf der unmittelbar praktischen Anwendung des Singens im Kindergarten und baut auf den eigenen Erfahrungen, dem Erleben der eigenen Stimme und ihrem Potenzial auf.
Über einen Zeitraum von acht Monaten nehmen je zwei Erzieher/-innen pro Kindertagesstätte teil. Fünf Kindertagesstätten, die in der Nähe liegen, also zehn Erzieher/-innen werden von einer Musikpädagogin oder einem Musikpädagogen sowie Mitarbeitern eines dm-Marktes betreut. In einem ersten zentralen, achtstündigen Workshop werden die Erzieher/-innen in Kinderstimmbildung, Liedauswahl, Liedgestaltung und Einführung von Liedern fortgebildet.
In den folgenden Wochen vor dem nächsten Workshop erfolgen je zwei Besuche pro Kindertagesstätte durch die Musikpädagogin oder den Musikpädagogen. Diese/r zeigt innerhalb einer Stunde, wie mit den Kindern vor Ort singend getanzt und bewegend gesungen werden kann. In einem anschließenden Gespräch mit den Erzieher/-innen wird das Erlebte reflektiert. Im zweiten Workshop bekommen die Erzieher/-innen individuellen Stimmbildungsunterricht von 15 bis 20 Minuten, und die angesprochenen Themen werden vertieft. Ein zusätzlicher Workshop in jeder Kindertagesstätte, an dem alle Erzieher/-innen der Einrichtung teilnehmen können, dauert vier Stunden. Weitere Besuche in den Kindertagesstätten folgen, bevor der dritte Workshop die Fortbildung abschließt. Hier geht es um kreative Spiele mit der Sprache, der Stimme und wiederum individuelle Stimmbildung. Die Erzieher/-innen haben nun Erfahrung mit ihrer Kopfstimme gemacht und ein Repertoire an Rhythmus- und Bewegungsliedern, Fingerspielen und Stimmbildungsgeschichten erlernt, das sie in ihrem Kindergarten sofort einsetzen können. Sie haben von den Besonderheiten der Kinderstimme gehört und die Wichtigkeit, mit den Kindern in angemessener Stimmlage zu singen, ist ihnen nahegelegt worden. Auch die Verbindung von Singen und Bewegung ist ins Bewusstsein gerückt worden.
Die von dm gesuchten Musikpädagog/-innen müssen bei ihrer Bewerbung bereits Erfahrungen im Bereich Fortbildung von Erzieher/-innen, in der Arbeit mit Kindern sowie Erfahrungen im Bereich Stimmbildung mitbringen. Ein eintägiger Workshop weist sie in das Konzept und die Inhalte ein. Mit großem Respekt ist hier zu beobachten, wie ein Unternehmen ausschließlich zur Kulturförderung und in Verantwortung einem Bildungsauftrag gegenüber ein eigenes Konzept entwickelt, um das Singen zu fördern. Grundgedanke der Arbeitsgemeinschaft ist, vorbildlich im sozialem Umfeld zu wirken. Engagement im Bildungssektor und die Unterstützung von kulturellem Schaffen sind wichtige Voraussetzungen für die erfolgreiche Existenz des Unternehmens. Ein wichtiges Anliegen von Unternehmenschef Götz Werner ist, praktisches Denken zu fördern, zu helfen, dass Kreativität sich entfalten kann und durch Beschäftigung mit Kunst und Kultur sich das Bewusstsein erweitert. Seit zehn Jahren bereits ist Kultur in Form von Theaterspielen und Ähnlichem ein Bestandteil in der Ausbildung der Lehrlinge im Unternehmen.
Die Idee von Frau Beatrice Werner, in Kindergärten nachhaltig kulturell zu wirken, lässt sich die Drogeriekette einiges kosten. Man mag meinen, dass die Benutzung der Kinder als Werbeträger vielleicht ein Hintergedanke sein mag, aber Werbung für das Projekt ist – außer auf der Homepage – nicht zu finden. Es ist dm ein Anliegen, die Maxime des Unternehmens auf die Gesellschaft auszuweiten. Also geht es um die Sache selbst – eben das Singen mit Kindern zu fördern, Lieder lebendig werden zu lassen. Das ist sehr lobenswert, und man könnte das alles nun einfach so stehen lassen.
Und dennoch – in der Frage nach der Nachhaltigkeit, die für dm ein wichtiges Thema ist, ist es legitim, das Projekt genauer zu betrachten und die Tragfähigkeit und Wirkung des Modells zu überprüfen. Ist es wert, nachgeahmt zu werden, und wenn ja: genau so oder etwas anders? Das fordert einen genauen Blick auf die Struktur, den organisatorischen Rahmen und die Inhalte. Die Musikpädagog/-innen arbeiten in fünf Kindergärten je zwei Stunden, alle zehn Erzieher/-innen dieser Gruppe schauen zu. Das sind zehn Stunden Arbeit mit Kindern. Ist eine Nachhaltigkeit mit immer wieder neuen Kindern überhaupt erreichbar? Bleibt die Arbeit mit den Kindern mit immer wieder neuen Gruppen nicht auf dem Niveau einer Materialschlacht hängen? Zehn Stunden mit einer festen Gruppe lassen vertiefendes Arbeiten zu. Wäre ein beobachteter Lernfortschritt bei den Kindern nicht auch ein Lernfortschritt für die Erzieher/-innen?
Des weiteren ist die Arbeit mit der Stimme immer eine Frage des eigenen Muts. Reicht es, Erzieher/-innen mit unendlich vielen Liedern und Reimen auszustatten erst auf Workshops, dann auch noch durch exemplarisches Vorunterrichten in der Praxis? Wäre eine vertrauensvolle Begleitung in der Anleitung zum Singen mit den Kindern im Wechselspiel mit den Musikpädagogen nicht sinnvoller?
Musikpädagogen helfen Erzieher/-innen in der Praxis, die im Workshop gelernten Elemente in die Praxis umzusetzen – das klingt nach Brückenbau. Musikpädagogische Supervision also für die Erzieher/-innen, die ja bereits Musikerziehung in ihrer Ausbildung als Unterrichtsfach hatten und für die die Inhalte der Fortbildung nicht wirklich neu sind. Und die mitten im Beruf stehen, täglich mit Kindern arbeiten und sich zur Fortbildung angemeldet haben, um ihre Arbeit zu verbessern.
Ein weiterer Blick auf die Ausbildung der Erzieher/-innen, die in einem der anspruchsvollsten Sprechberufe arbeiten, bestätigt, dass keine einzige Stunde Einzelstimmbildung vorgesehen ist. „Singende Kindergärten“ gewährt jedem Teilnehmer/jeder Teilnehmerin 15 bis 20 Minuten Einzelstimmbildung. Gut! Andererseits – was können zweimal 20 Minuten Einzelstimmbildung wirklich bewegen? Immerhin vielleicht das Bedürfnis, sich selber einen Gesanglehrer, Stimmbildner oder Chor zu suchen, um sich weiter zu bilden. Immerhin das Bedürfnis nach mehr „kitzeln“ – das wäre ja schon etwas.
Ein Erzieherchor ist aus diesem Impuls in München entstanden. Einmal im Monat werden sich die Erzieher/-innen, die bei „Singende Kindergärten“ mitgewirkt haben, zum Singen treffen. Eine länger anhaltende Wirkung lässt sich hier also beobachten. Die Erzieherin aus einem Kindergarten in München ist sehr glücklich über die Fortbildung. Sie hat schon viele mitgemacht, aber diese hat bewirkt, „... dass wir schwingend aus den Workshops kamen. Eine Kollegin hat sogar in der S-Bahn weiter gesungen, bis sie merkte, dass andere Fahrgäste sie komisch anschauen.“ Es war keine verschwendete Zeit. Die Inhalte waren nicht neu, gesungen wurde auch in der Ausbildung, aber sie habe sich jetzt daran erinnert, und einige Aspekte der Stimmbildung setzt sie nun mit den Kindern in der Praxis um. Was sie sich anders gewünscht hätte? Nichts, außer mehr Einzelstimmbildung. Auf jeden Fall sprüht sie voller Ideen und singt gleich das eine oder andere Lied vor. Dass zwei Kolleg/-innen ihrer Einrichtung nun den Zuschlag bekommen haben, wieder teilzunehmen, freut sie sehr.
Danke, Frau und Herr Werner, dass Sie uns Anlass geben, über Fortbildungsmodelle für Erzieher/-innen nachzudenken. Danke, dass Sie einen Beitrag leisten, Impulse in der musikalischen Bildung zu setzen. Im Anspruch an Nachhaltigkeit ist es wünschenswert, die Erfahrungen der Erzieher/-innen zu evaluieren. Vielleicht wäre das Projekt ein nachhaltigerer Beitrag zur musikalischen Bildung von Kindern, weniger Kindertagesstätten über einen längeren Zeitraum individueller zu begleiten – das ließe sich aus einer Evaluation herauslesen. Diese ist sogar in Auftrag gegeben. Eine Doktorandin der Universität Bremen verfasst ihre Promotion über „Singen mit Kindern“ und ermittelt dabei, wie „Singende Kindergärten“ den Kindergartenalltag im Hinblick auf das Singen in den Einrichtungen verändert. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse.