Stuttgart - Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht so stark wie schon lange nicht mehr in der Kritik. SWR-Intendant Kai Gniffke ist jetzt der neue ARD-Vorsitzende - ein Jahr früher als ursprünglich geplant. Wie wird er den Senderverbund steuern?
Hohe Gehälter in Führungsetagen, Filzvorwürfe beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), Reformstau-Kritik: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland ist unter großen Druck geraten. Jetzt muss der Intendant des Südwestrundfunks (SWR), Kai Gniffke, als neuer ARD-Vorsitzender und damit oberster Repräsentant Antworten geben. Im Antrittsinterview der Deutschen Presse-Agentur sprach der 62-Jährige in seinem Büro in Stuttgart über sein Gehalt und Amazon. Und es ging um die Frage, ob ARD und ZDF fusionieren sollten.
Frage: Warum verdienen Sie als SWR-Intendant mit 361 000 Euro Grundgehalt im Jahr 2021 plus geldwertem Vorteil von Dienstwagen sowie Aufwandspauschale und Pensionsansprüchen mehr als der Bundeskanzler?
Antwort: Weil der Aufsichtsrat des SWR das so entschieden hat. Er orientiert sich an anderen Managern von Versorgungsbetrieben. Gewissermaßen sind wir auch ein medialer Versorgungsbetrieb. So wie der Manager der Stuttgarter Straßenbahnen oder eines Wasserwerks.
Frage: Seit Jahreswechsel sind Sie auch ARD-Vorsitzender. Gibt es dafür extra Geld?
Antwort: Nicht einen Cent, diese Arbeit gehört dazu.
Frage: Wir sitzen in Ihrem Büro beim SWR in Stuttgart. War das teuer?
Antwort: Es ist seit Jahrzehnten das Büro des Intendanten. Vor meinem Amtsantritt 2019 ist ein Auftrag ergangen, das ganze Haus zu renovieren, auch dieses Büro. Alle hier befindlichen Möbelstücke bewegen sich in einem vom SWR definierten Korridor, was etwas kosten darf. Die Auslegeware ist normaler Standard. Es ist ein tolles Büro, es steht sogar unter Denkmalschutz. Daher gibt es hier auch diese dunkelbraune Eiche-Schrankwand, die ich - selbst, wenn ich es wollte - nicht streichen oder entfernen kann.
Frage: Ihr Dienstwagen?
Antwort: Ein BMW X5 mit Hybridantrieb - ohne Massagesitze.
Frage: Wie sehr nerven Sie solche Fragen? Die Krise beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) rund um Filz-Vorwürfe und die schwierige Aufarbeitung haben dazu geführt, dass Sie ein Jahr früher als geplant ARD-Vorsitzender werden...
Antwort: Die ARD gehört allen, wir sind öffentlich finanziert. Transparenz ist daher immer das Gebot der Stunde, ich bin da ganz offen.
Frage: Im Sommer stürzte der RBB in eine beispiellose Krise, die ARD-Vorsitzende und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger trat zurück. Ist der Sender inzwischen über den Berg?
Antwort: Die Menschen in der Region brauchen eine starke Stimme aus Brandenburg und Berlin. Es ist wichtig, den Kolleginnen und Kollegen dort zu sagen: Wir brauchen Euch, Ihr seid Teil der ARD Familie. Nach allem, was ich höre, würde ich sagen, der RBB ist noch mitten im wichtigen Prozess, sich selbst neu zu erfinden und neu zu definieren. Aber alles, was wir dazu beitragen können, das wollen wir tun.
Frage: Sollte der künftige RBB-Intendant von innen oder von außen kommen? Was wäre besser für einen Heilungsprozess?
Antwort: Es ist wichtig, dass sich der ARD-Vorsitzende da nicht reinhängt. Ich habe dort keine Empfehlungen zu geben. Die wissen in Brandenburg und Berlin selbst viel besser, was gut für den RBB ist.
Frage: Hinter dem RBB-Skandal um Vorwürfe der Vetternwirtschaft steht mehr als Massagesitze. Dahinter geht es um ein System, von dem Kritiker auch in der Politik den Eindruck gewonnen haben, dass keine Grenzen mehr aufgezeigt worden seien. Wie kann man als ARD-Vorsitzender das Ganze steuern? Sie sind ja nur einer von neun Intendanten...
Antwort: Ich bin nicht der CEO der ARD, sondern eher eine Art Klassensprecher. Darin liegt schon die erste Antwort, denn die Art der Kommunikation ist ein entscheidender Punkt. Worüber geben wir Auskunft? Antwort: über alles. Vor allen Dingen müssen wir dies beantworten: Warum gibt es eigentlich einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und welche Bedeutung hat er 70 Jahre nach seiner Gründung?
70 Jahre waren wir der Wegbegleiter der Deutschen. Was sind nun die Anforderungen an einen medialen Wegbegleiter im 21. Jahrhundert? Wenn wir sehen, was im Moment an Hass und Hetze grassiert, wie viel Desinformation es gibt, stellen wir doch fest: Es hagelt ganz schön rein ins Dach der Demokratie. Und wir möchten dazu beitragen, dieses Dach wieder abzudichten. Und wir möchten diejenigen sein, die helfen, Wirklichkeit und Fälschung auseinanderzuhalten. Für diese Wirklichkeit braucht es eine neue Leidenschaft. Die haben wir, hier sehen wir uns in der Verantwortung.
Frage: Kurz bevor Sie als ARD-Vorsitzender starteten, hat Ihnen Ihr Vorgänger, WDR-Intendant Tom Buhrow, mit einer bemerkenswerten Rede in Hamburg zu einer Riesen-Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gewollt oder ungewollt alles Mögliche in Ihr Aufgabenheft reingeschrieben. Sie sind jetzt der oberste Repräsentant der ARD und müssen Fragen wie diese beantworten: Sollen ARD und ZDF fusionieren?
Antwort: Das, was man im Moment etwa in der Verlagsbranche erlebt, ist ja nicht ein Zuviel an Vielfalt, sondern zu wenig. Es gibt Konzentrationsprozesse in der digitalen Welt durch große Tech-Konzerne, die die Meinungsbildung drohen zu monopolisieren. Ich bin der festen Überzeugung, dass uns der publizistische Wettbewerb in Deutschland bisher sehr gutgetan hat. Wenn ich mir anschaue, was in Europa um uns herum passiert: Wie gerade die BBC klein gemacht wird, dass Frankreich sich aus der unabhängigen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verabschiedet, in Dänemark der Rundfunk geradezu klein gehackt wird. Auch in Südosteuropa ist freie Berichterstattung in Teilen schwer bedroht. Unabhängiger Journalismus ist im Moment auf dem Rückzug, und deshalb wäre der Schritt, jetzt unsere Vielfalt in Deutschland weiter einzuschränken, aus meiner Sicht falsch.
Frage: Buhrow schlägt einen Runden Tisch vor, an dem die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entworfen werden soll...
Antwort: Meine spontane Reaktion war: Wer sitzt denn an dem Runden Tisch? Wie lange wird es dauern, bis wir den definiert haben? Was haben die Menschen, die an dem Tisch sitzen, für eine Prokura? Meine Sorge ist, dass das ein Prozess ist, der Monate dauert. Wir würden Zeit verlieren. Wenn ich Amazon wäre, würde ich mich kaputtlachen und sagen: «Lasst die mal schön warten auf einen Runden Tisch, der ihnen dann sagt, was sie zu tun und zu lassen haben.» Wir müssen die digitale Transformation vorantreiben, die ARD braucht ein Update. Wir sollten spätestens innerhalb dieses Jahrzehnts der erfolgreichste Streaminganbieter in Deutschland werden. Und das ist ein Unterschied. Im Moment ist die ARD der erfolgreichste Streaminganbieter aus Deutschland, ich möchte aber, dass wir der erfolgreichste in Deutschland werden.
Frage: Aktuell läuft der Anmeldeprozess der öffentlich-rechtlichen Sender bei einer unabhängigen Finanzkommission für den Haushalt der nächsten Jahre, es geht auch um den Rundfunkbeitrag der Zukunft. Werden Sie weniger Bedarf anmelden als zuletzt?
Antwort: Ich werde jetzt nicht einfach aus dem hohlen Bauch irgendetwas sagen. Das wäre auch nicht mit dem klar vorgeschriebenen Verfahren vereinbart.
Frage: Wie sehen Ihre Ziele der ARD-Reform genau aus?
Antwort: Ein Punkt unserer Transformationsagenda ist: Wir werden bei den Programmen genau gucken, wie wir noch enger zusammenarbeiten, was es alles braucht. Genau das gilt auch bei unseren digitalen Angeboten. Wir führen zum Beispiel eine Portfolioanalyse im Bereich der sozialen Medien durch und legen fest: Wie viel davon ist mit Blick auf die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer notwendig? Wir räumen also auf, denn wir stecken derzeit Kraft in Dinge, die für sich gesehen alle prima und journalistisch gut sind, die aber zum Teil wenig wahrgenommen werden. Hier werden wir uns stärker fokussieren, denn es geht um journalistische Exzellenz, zum Beispiel um einzigartige Recherchetiefe, die bei den Menschen spürbar sein soll.
Bei Radioprogrammen werden wir viel mehr kooperieren und nicht mehr alles alleine, jeder für sich, machen. Es geht um einen Paradigmenwechsel, den wir jetzt als Kompetenzzentren beschrieben haben. Indem wir uns auf inhaltlichen Feldern Arbeit teilen, werden wir journalistisch stärker.
Frage: Kommt ein gemeinsames Mantelprogramm für die Landes-TV-Programme?
Antwort: Das, was für die Radiowellen gilt, gilt auch für das Regionalfernsehen. Muss jeder wirklich rund um die Uhr ein eigenes Programm machen? Antwort: Nein. Wir können auch Verbünde schaffen, wo drei, vier oder fünf Sender sagen: Wir einigen uns auf einen gemeinsamen Rahmen und machen darin unsere Regionalfenster. Das wird kommen, da bin ich hundertprozentig sicher. Die Bereitschaft haben alle erklärt. Da gibt es immer noch unterschiedliche Ausprägungen. Der eine möchte sein Regionalfenster größer und der andere ein bisschen kleiner, aber wir sind gemeinsam dran.
Frage: Dass die Regionalprogramme das Gemeinschaftsprogramm Das Erste ausstrahlen und dann zeitweise eigenes regionales Angebot zeigen, diese Idee verfolgen Sie nicht?
Antwort: Nein. Ich will es nicht für alle Zeit ausschließen, aber im Moment fände ich es nicht klug, weil dieses Regionalfenster ein kleines wäre.
Frage: Es gibt immer wieder Kritik daran, die ARD sei in der Berichterstattung politisch einseitig. Es geht auch um die Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk belehrend ist. Wie wollen Sie diesen Vorwürfen begegnen?
Antwort: Die Frage ist immer: Treffe ich bei der ARD auf Themen, Menschen und Ansichten, die mich inspirieren oder zum Denken anregen? Ist da etwas dabei, das mich bereichert, schlauer macht, zum Lachen bringt? Und kann ich mich auf gute Recherche verlassen, so dass klar ist, was Fakten sind und auf welcher Grundlage ich mir meine persönliche Meinung bilde? Kann ich mich an genug unterschiedlichen, klar gekennzeichneten Meinungen in der ARD auch mal reiben, zum Beispiel in den «Tagesthemen»? Hier ist es sicherlich gut, wenn wir die Liste der Kommentatorinnen und Kommentatoren immer wieder erweitern. Wir sollten uns auf das Erklären von Komplexität, das Vermitteln von Inhalten und das Berichten von Wirklichkeit konzentrieren. Es wäre eine fatale Entwicklung, wenn wir belehren. Ich finde, dass uns das in der «Tagesschau» in den 16 Jahren, die ich als damaliger Chefredakteur beurteilen kann, ganz gut gelungen ist. Jedenfalls habe ich nie den Vorwurf der politischen Einseitigkeit bekommen.
Frage: Obwohl Sie SPD-Mitglied sind...
Antwort: Genau, obwohl ich SPD-Mitglied bin. Das bin ich 1982 geworden, als mein Vater starb und eine Tradition der Familie zu enden schien, die bis in das Kaiserreich zurückgeht. Dazu bewogen hat mich auch die Abwahl von Helmut Schmidt, die ich damals bedauert habe. Aber auch hier gilt: Das Wichtigste ist Transparenz. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht. Auch Menschen in der ARD dürfen privat politisch sein, aber klar ist, dass wir eigene Überzeugungen professionell von unserer journalistischen Arbeit trennen müssen. Das setze ich voraus und das ist machbar. Auch ein Architekt, der Mitglied der CDU ist, baut ein starkes Haus nach allen Regeln seiner Kunst, wenn die Bauherrin einer anderen Partei angehört.
Frage: Werden Sie als ARD-Vorsitzender gendern?
Antwort: Ich möchte so sprechen und schreiben, dass sich alle Menschen angesprochen fühlen. Das Wunderbare an der deutschen Sprache ist, dass sie die Möglichkeit gibt, verschiedene Geschlechter anzusprechen, ohne dass man dabei die Regeln der Orthografie oder der Grammatik beugen muss. Deshalb habe ich mir vorgenommen, inklusiv zu sprechen, aber nicht mit Binnen-I, Doppelpunkten oder Schrägstrichen.
ZUR PERSON: Kai Gniffke ist seit 2019 der Intendant des zweitgrößten ARD-Senders Südwestrundfunk (SWR). Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk begann der 62-Jährige in den 1990er Jahren bei den Fernsehnachrichten des damaligen Südwestfunks in Mainz. Es folgten mehrere Stationen, darunter war er Landespolitischer Korrespondent und Leiter der Redaktion ARD-aktuell beim SWR in Rheinland-Pfalz. Einen großen Karriereschritt machte Gniffke, als er 2006 Erster Chefredakteur von ARD-aktuell wurde. Bei der ARD-Gemeinschaftseinrichtung werden «Tagesschau» und «Tagesthemen» produziert. Gniffke wurde 1960 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht und promovierte danach.