In der Kulturhauptstadt 2004, in Genua versammelte Italiens Musikrat CIDIM Sachverständige rund um den Themenkreis, welche Chancen heutzutage junge Talente für ihre Karrieren haben könnten. Viele Preisgekrönte stellten sich vor und fragten sich: Was nützen Wettbewerbe und Preise, wenn danach nichts passiert. Veranstalter, Agenten, Journalisten hörten zu, aber blieben die Antwort (fast) schuldig. Dass für Orientierung und Weichenstellung des künstlerischen Nachwuchses sich einiges ändern muss, scheint mehr und mehr bei denen einsichtig zu werden, die für musikalische Ausbildung Verantwortung tragen. Das sind in erster Linie die beruflichen Ausbildungsstätten für Musik. Deren „Association Européenne des Conservatoires, Académies de Musique et Musikhochschulen“ (AEC, Sitz in Utrecht) traf sich zur Jahreskonferenz zeitgleich andernorts, von Genua aus ein paar Reisestunden weiter westlich, im andalusischen Oviedo.
Berufliche Chancen sind derzeit Globalthema. Präziser: Wie müssen Musiker heute für morgen beschaffen und dementsprechend ausgebildet sein, um in ihrer beruflichen Praxis auf gesellschaftliche Veränderungen, auf sich wandelnde Hörgewohnheiten und auf wachsende kulturelle Vielfalt und deren Bedürfnisse reagieren zu können.
Dazu die strukturellen Veränderungen der Erwerbstätigkeit und des Arbeitsmarktes. Man beginnt zu begreifen und Konsequenzen zu ziehen: „Musiker zu sein, impliziert auch die Chance, eine ganze Reihe von Rollen zu übernehmen, verschiedenartig und breitgefächerter als die nur der Interpretation oder des Komponierens“ – so postuliert es der Londoner Peter Renshaw.
Langsam kristallisieren sich neue Profile und Leitbilder heraus. Musiker, die nicht nur als Tastenbändiger auftreten, die sich nicht nur auf Teufelstrillerei verstehen, sondern neben zentralen Kernqualifikationen der Künstlerpersönlichkeit weitere und neue Qualifikationen haben sollten. Solches sahen unsere künstlerischen Hochschulen bislang nicht als ihre Ausbildungsdomäne: Vermittlung von Selbstmanagement, Organisationsvermögen, kulturelle, gesellschaftspolitische Allgemeinbildung und Fremdsprachen. Neben künstlerisch-technisch freilich sich noch immer steigern lassenden Fähigkeiten sind dringlich genauso gefragt persönlichkeitsbildende, pädagogische und unternehmerische Fertigkeiten. Das Ziel: berufliche Alternativen und Vielseitigkeit.
Dieser Moll-Akkord der AEC implizierte nicht nur Jammer, sondern zugleich vorsichtigen Optimismus und Initiative, sich in den Ausbildungsinstituten neuen Herausforderungen zu stellen,– Good-will-Folgerungen aus der so genannten Bologna-Erklärung von 1999/2001, in der die notwendige Reformierung der Musikausbildung europaweit beschworen wurde. Immerhin ist schon Halbzeit bis zum erstrebten Ziel 2010.
Das Drei-Tage-Reden der Hochschulexperten drehte sich insbesondere um den Typ jenes Ausbilders, der die künftige Generation von Musikern bilden und ausbilden soll. Um neu zu definierende Unterrichtsziele. Um das Wie und Was des Unterrichtens. Um die Qualität des Ausbilders, der selbst Interpret und Lehrer, der initiativ, kreativ, flexibel, kooperativ sei, der organisieren und führen kann.
Der AEC, diesem Netzwerk europäischer Musikhochschulen, dem nur wenige Institute abwartend und vielleicht zu konservativ und sich so selbst blockierend gegenüber stehen, mag man gerne bescheinigen, dass sie mit Fantasie, Initiative und Kooperationsbereitschaft zum Handeln antreibt.
Was zu diesen Themen an Fachwissen, an Ergebnissen, an Erwartungen initiierter Forschungen und durchgeführter Pilotprojekte, meist im Rahmen EU-geförderter Programme, unterwegs ist, erfüllte diesen streng geführten Simultankongress von mehr als 200 Hochschulexperten trotz November-grauer Biskaya-Stimmung mit Leben und kreativen Gesprächen.
Respekt verdient auch eine weitere, kulturpolitisch hoffentlich folgenreiche Initiative der AEC, gemeinsam im European Forum of Music Education and Training erarbeitet: das an die Europäische Kommission gerichtete Memorandum als wohl begründete – inzwischen übergebene – Empfehlung „zur Rolle von Musikerziehung und Ausbildung im neuen EU-Programm für Kultur“ für mögliche und wünschenswerte Förderungsprojekte. Sie legt mit ihren ganz konkreten Vorschlägen überzeugend und detailliert dar, wie bestehende beziehungsweise ab 2007 geplante und veränderte EU-Bildungs- und Kulturprogramme sinnvoll musikalischer Erziehung und Ausbildung in Europa zugute kommen könnten. Eine bessere Argumentations- und Entscheidungshilfe können die EU-Beamten eigentlich nicht erwarten.