Es war mal wieder ein Premierenwochenende. Unsere Kritiker waren in Berlin (Massenet, Prokofiew, Abraham), in Halle (Händel) und in Radebeul (Janacek). Währenddessen rotiert es im politischen Gebälk, dass man gar nicht mehr weiß, wo man hinhören soll. Vielleicht einmal hier hinhören und hinsehen:
3 x Hoffnung und mehr
- Gestern abend kam auf ARTE die Dokumentation „Der Chor der harten Kerle“. Ein berührendes Dokument bei dem Glück und Schmerz so dicht beieinander liegen.
- Oder gleichfalls gestern die Fernseh-Doku über Wolfgang Rihm auf SWR: „Grenzgänger des Klangs“. (Beachten Sie auch unseren Radio-Tipp.)
- Und eben auch die Dokumentation zu „Jugend musiziert“ von nmzMedia: „Jugend musiziert – der Film”.
Alle drei Filme zeigen wirklich eindrucksvoll, wie sehr existentiell Musik zu berühren vermag. Zukunft, Utopie, Vergänglichkeit, Glück, Hoffnung, Auseinandersetzung … - alle drei Dokumentationen tun dies auf ihre Weise mit ihren Schwerpunkten. Ich weiß nicht, ob das uns Trost spendet oder Mut oder auch beides. Das gezeigte Engagement macht meines Erachtens aber schon sehr klar, dass es auch Dinge gibt, über deren Erhalt und Existenz man sich bemühen muss. Immer wieder. Und ich weiß auch, dass dies auch jenseits dieser Filme tagtäglich an so vielen Orten passiert, ohne dass es darüber Filme gibt. Diesen Menschen möchte ich hier gerade einfach einmal danken. Nichts ist verloren. Das ist nicht allein ein Freitag, sondern ein „Everyday for Future“ – Musikkultur ist ein dauernder „Streik“ gegen das Untergehen, gegen die Auslöschung des Menschlichen.
Am 1. Juni starb im Alter von 88 Jahren des französische Philosoph Michel Serres. In seinem Bändchen, schlicht „Musik“ betitelt (Merve Verlag) schreibt er:
„Niemand unter uns, mich eingeschlossen, kann leben, ohne eine inkorporierte Seele, ohne Musik in den gesprochenen Sätzen, ohne auf einer Maschine zu schreiben und ohne die Anderen und die Dinge der Welt zu erkennen. Ich bin da, ich bin nicht da.“
Premieren
Fuß-Ball – Paul Abrahams „Roxy und ihr Wunderteam“ an der Komischen Oper Berlin: Die einzige Fußball-Operette – für ein entsprechend großes Ensemble, mit mindestens elf singenden und tanzenden Fußballerspielern, den zugehörigen, sie anfeuernden Gören eines Mädchenpensionats und nationalen Schlachtenbummlern – das bedarf einiges Aufwandes. Gekonnt, wenn auch nach zu vielen Verlängerungen, endete die jüngste Premiere an der Komischen Oper unangefochten, mit einem Sieg der Mannschaft um die Geschwister Pfister. Eine Kritik von Peter P. Pachl.
Offenbachiade eines Bad Boys: Peter Konwitschny inszeniert „Julius Caesar“ in Halle: „Progressives Erbe“ pur! In der ehemaligen DDR bezeichnete man mit diesem Begriff Kunstwerke, welche die Durchschnittsproduktion ihrer Entstehungszeit überragten und gesellschaftliche Positionen so reflektierten, das sie in die Ideologie des eigenen (damals sozialistischen) Systems passten. Der neue „Julius Cäsar in Ägypten“ bei den Händel-Festspielen Halle ist auch „progressives Erbe“: Zum einen bringt es das fast einmütig umjubelte „Ritorna vincitor“ („Als Sieger kehre heim!“ – Aida) des früheren, auch an der Stätte seiner ersten Triumphe umstrittenen Oberspielleiters Peter Konwitschny. Zum anderen zeigt die frisch mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnete Oper Halle, wie man die Händel-Gemeinde zu begeistern vermag. Von Festspielschablone also keine Spur.. Ein Bericht von Roland H. Dippel.
Leos Janaceks „Katja Kabanowa“ wird in Radebeul zur Sternstunde: Sonderlich häufig kommt „Katja Kabanowa“ in Mitteldeutschland nicht zur Aufführung. Das ist unverständlich, denn neben seinen „Abenteuern der Füchsin Bystrouchka“ und „Die Sache Makropulos“ ist auch dieses Spätwerk Leos Janaceks eine der packendsten Opern des frühen 20. Jahrhunderts. Die Landesbühnen Sachsen befinden sich offenbar im Zenit einer Glückssträhne: Nach Previns „Endstation Sehnsucht“, Vollmers „Tschick“ und von Einems „Der Besuch der alten Dame“ wird jetzt „Katja Kabanowa“ in Radebeul zum kleinen Opernwunder, dessen Gelingen auch der Fähigkeit zur Einschätzung eigener Ressourcen und Möglichkeiten zu verdanken ist. Unser Kritiker Roland H. Dippel ist begeistert.
Unentschieden – Massenets „Don Quichotte“ an der Deutschen Oper Berlin: Jules Massenets knapp dreißig Opern erfreuen sich unterschiedlicher Beliebtheit. Sein letztes großes Bühnenwerk „Don Quichotte“, 1910 in Monte Carlo uraufgeführt, wurde im vergangenen Dezennium in Braunschweig sowie an mehreren Bühnen in Nordrhein-Westfalen realisiert. Die Bregenzer Festspiele haben es für diesen Sommer im Rahmen ihrer Opernraritäten im Großen Festspielhaus angekündigt. Rar hatte sich Massenets Oper jedoch in Berlin gemacht, wo zuletzt Götz Friedrich im Jahre 1971 an der Komischen Oper eine bahnbrechende Interpretation geschaffen hatte. Peter P. Pachl mit Einzelheiten.
Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ im neuen „Kinderopernhaus Unter den Linden“ Berlin: Zehn Partnerschulen in sechs Bezirken Berlins partizipieren an diversen Angeboten des Kinderopernhauses Berlin, das nun Einzug gehalten hat in die wiedereröffnete Staatsoper. Im Alten Orchesterprobensaal steht eine Musiktheaterproduktion auf dem Programm, die seit August vergangenen Jahres mit 22 Kindern erarbeitet wurde: die auf etwa ein Drittel komprimierte Oper von Sergej Prokofjew in deutscher Sprache, „Die Liebe zu den drei Orangen“. Peter P. Pachl war dabei.
Die Radiowoche bis zum 9.6.2019
Was sonst noch vielleicht wichtig war oder wird …
- Musikfest in Osnabrück geht mit Steinmeier-Rede zu Ende
- Beatles-Museum in Halle setzt auf Runderneuerung
- „Klassik meets Jazz“ beim Carl Bechstein Wettbewerb 2019
- Gefühl von „Zimt ohne Zucker“ – Hannah Köpf mit neuem Album „Cinnamon“
Radio-Tipp
23:03 bis 00:00 | SWR 2
SWR2 JetztMusik: 70/80 Ritual Musik Theater (1/5): Wolfgang Rihms „Tutuguri“
Von Bernd Künzig. Die zu Ende gehenden 1970er-Jahre: die Technokratie der Musik durch die serielle Methode in der Sackgasse, die utopischen Hoffnungen der elektronischen Musik unerfüllt, der Zufall zur postmodernen Beliebigkeit verfallend. Aus diesem Dilemma suchen so unterschiedliche Komponisten wie Wolfgang Rihm, Olivier Messiaen, Luigi Nono, Harrison Birtwistle und Per Nørgård einen Ausweg. Völlig unabhängig voneinander suchen sie zeitgleich die musikalische Authentizität in der Verbindung von Ritual, Musik und Theater. Es ist der unterbewusste Link höchst unterschiedlicher Konzeptionen, die alle Ausdruck einer musikalischen Zeitenwende sind.
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