Verblüfft und erschrocken lese ich die Glosse von Christine Lemke-Matwey, der Musikkritikerin der ZEIT, die die von ihr beanstandete mangelnde Qualität der Oper ‚Edward II.‘ in der Deutschen Oper Berlin kurzschließt mit der Homosexualität des Regieteams, ja überhaupt einiger Verantwortlicher in der Deutschen Oper. Das Ergebnis: „jämmerlich“, die Verantwortlichen: „schwul“.
„Schwul“ wird hier als Zuschreibung benutzt, die Menschen auf ein einziges Merkmal reduziert – als wäre klar, welche Träume, Haltungen, Wünsche, Geschmäcker der Komponist, Librettist, Intendant haben, weil sie schwul sind; als wäre damit schon gesagt, um was für Menschen es sich handelt. Das ist ein Merkmal diskriminierender Diskurse.
Die Sprache, die Metaphernfelder und Konnotationen, die hier aufgerufen werden sind in höchstem Maße irritierend. „Schwule“ bringen „jämmerliche“ Kunst hervor, der schwulen Community wird „ein vitaler Opfersinn“ unterstellt und in der Inszenierung gehe es „nur um Sex“, anders als in der „heterosexuell grundierten Operngeschichte“ – das reproduziert alte, homophobe Bilder und Zuschreibungen.
All dies passt hinein in eine Tendenz forcierter normativer Normalitätswünsche und einen sich schon wieder auflösenden Respekt vor Diversität. „Man wird doch mal sagen dürfen“, lautet die Devise.
Gerade in einer Zeit, in der die Freude am Unterschiedlichen und die Kraft von diversen Gemeinschaften zugunsten einfacher Identitäten vernachlässigt werden, kann sich das Theater als Ort der Kollaboration nicht auf verkürzte Antworten beschränken. Vielmehr kann hier ein gelebter Universalismus, der Differenzen und unterschiedliche Bedürfnisse anerkennt, sie aber nicht wertet, als Entwurf erprobt werden. Das macht viel Arbeit und bedeutet ständige Aushandlung, Reibung, Überprüfung der eigenen Perspektiven und Zusammenhänge – ist aber ein Weg, über sich und die eigenen Horizonte und Begrenzungen hinauszuwachsen.
Ulrich Khuon
Präsident des Deutschen Bühnenvereins
- Unsere nmz-Kritik zum Stück: Uraufführung von Andrea Lorenzo Scartazzinis „Edward II.“ an der Deutschen Oper Berlin