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Orchestererfahrung für den Nachwuchs

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Seit 30 Jahren debütieren Preisträger beim Haydn-Cello-Wettbewerb in Marl
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nmz 2000/10 | Seite 11
49. Jahrgang | Oktober

Kulturpolitik

Orchestererfahrung für den Nachwuchs

Seit 30 Jahren debütieren Preisträger beim Haydn-Cello-Wettbewerb in Marl

„Requiem” las man auf dem Titelblatt der improvisierten Dankeschön-Einlage der drei Fachjuroren nach der Preisverleihung im Haydn-Cello-Wettbewerb, ein in Klängen schwelgendes, herzzerreißendes Stück des Komponisten David Popper, den alle Cellisten zur Genüge kennen, nur kaum diesen sinfonisch begleiteten Konzertsatz für drei Solocelli. Galt dieser Abgesang ungewollt gar dem Begleitorchester, jener Philharmonia Hungarica unter dem Kanadier Daniel Lipton, um das die kulturpolitischen Wogen zur Zeit besonders hoch gehen, weil seine Tage bis Ende dieses Jahrs gezählt zu sein scheinen? Es sei denn, Bund, NRW und die Stadt Marl und einige Mäzene einigen sich in letzter Minute auf ein weiteres Durchhalten dieses in der einst reichen Hüls-Stadt gastfreundlich aufgenommenen ehemaligen Exilorchesters (siehe Seite 4).

Noch engagiert sich die Gesellschaft zur Förderung der Philharmonia Hungarica einfallsreich für ihr Tourenorchester. Für diesen Sommer mit Haydn hatte man noch den extra Einfall, von den 23 deutschen Musikhochschulen deren besten Cellisten-Nachwuchs einzuladen, der sich mit Haydns D-Dur-Konzert immerhin einen 10.000-Mark-Preis erspielen konnte. Nicht alle reagierten, aber immerhin zwölf traten an. Wo sonst in der Essener Hypothekenbank Finanzbosse bilanzierten, jurierten unter dem scheidenden Essener Folkwang-Hochschulrektor Edmund Illerhaus Maria Kliegel, Claus Kannegiesser und Catalin Ilea, einst selbst Cellistin des Marler Orchesters, zusammen mit drei Journalisten (auch die nmz war dabei) zwölfmal die korrepetierten und durchwegs originellen und persönlich geprägten Interpretationen besagten Cellokonzertes.

Eigentlich kein üblicher Wettbewerb, sondern mehr ein Auswahlspiel: die vier auszuwählenden Finalisten hatten ihren Soloauftritt mit dem jeweils gleichen Orchester, jener PH, garantiert, allerdings an vier, damit auch raumakustisch verschiedenen Aufführungsplätzen des nördlichen Reviers, in Gladbeck, Hamm, Essen und Marl. Bei diesen vier Konzerten galt es, den würdigsten Cellisten zu ermitteln, und die Jury fand ihn im jüngsten Spieler,dem 18-jährigen Julian Steckel aus Pirmasens, Oberprimaner und gleichwohl Jungstudent an der Musikhochschule des Saarlandes, der die stärkste Personalität spüren ließ (und der sich dann auch noch in seiner Zugabe, einer frappierenden Wiedergabe des 3. Satzes der Solosonate von Zoltan Kodály übertraf). Auch das Orchester durfte seinen Eindruck wiedergeben, und es traf sich ebenfalls bei Julian Steckel, der nun noch eine weitere Solo-Einladung für einen Auftritt mit der Philharmonia Hungarica mitnehmen darf.

Die Fördergesellschaft und ihr Leitungsgremium überschlagen sich mit Ideen und ehrenamtlichem Einsatz, die Philharmonia Hungarica nicht nur zu retten, sondern mit Aufgaben und weltweiten Verpflichtungen deren Erhaltungswürdigkeit zu beweisen. Dazu gehört die ins Leben gerufene Orchester-Akademie, in der fünf junge Musiker aus Osteuropa volontieren dürfen. Dazu gehört das „Marler Debut“, bei dem immer wieder neue “Jugend musiziert“-Bundespreisträger, übrigens seit über 30 Jahren, mit diesem Orchester als Solisten debütieren dürfen. Da muten dann doch Kontroversen – am Rande mitbekommen –, Verschanzung hinter Tarifvertrag und Feilschen um Dienste, recht peinlich an, wenn es um das Eigenengagement, die Lauterkeit der Orchestermusiker selbst, zum Beispiel um ausreichende und eventuell wünschenswerte extra Probenminuten bei einem Unternehmen wie diesem Cello-Haydn-Wettbewerb geht. Schließlich steckt dahinter die tolle Hauptidee, dem eigenen Nachwuchs fehlende Orchestererfahrung zu vermitteln. Dazu passt nur good will, keine tickende Zeituhr, erst recht nicht zu einem Zeitpunkt, an dem es so aussieht, die Stunde könnte für das Orchester selbst schlagen.

Die Idee dieses Wettbewerbes, dieses Auswahlspieles, das dem Solistennachwuchs unserer Hochschulen gleichsam Übungsplatz sein kann, ist zu gut, als dass man sie nicht fortspinnen und vervielfältigen sollte, im Wechsel der vor allem vernachlässigten Soloinstrumente in Partnerschaft mit einem oder mehreren willigen Orchestern, die bei dem Workshop-Charakter und dem Ernstfall-Proben mitziehen. Und solche regionalen und überregionalen Festivals bieten das geeignete Terrain.

Damit könnte der jährliche Hochschulwettbewerb und der um den Mendelssohn-Preis, entsprechend koordiniert und abgesprochen vor allem in den auszuschreibenden Kategorien und Werken, eine die Ausbildungsklassen motivierende, recht sinnvolle und reizvolle Ergänzung erfahren.

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