Frankfurt/Main (ddp). Die Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum hat auf der Frankfurter Buchmesse dem Gastland Türkei Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Der deutsche PEN-Vizepräsident Sigfrid Gauch sagte am Donnerstag, in der Türkei sei es rechtens, Untersuchungsgefangene, darunter auch Autoren, über ein Jahr lang festzuhalten, ohne sie über den Inhaftierungsgrund zu informieren.
Zurzeit stünden im Buchmesse-Gastland 75 Schriftsteller unter Anklage, ein Drittel von ihnen wegen «Beleidigung des türkischen Staats». Gauch beschuldigte auch China, das Gastland der Frankfurter Buchmesse im nächsten Jahr, kritische Autoren und Journalisten in Umerziehungslager zu stecken und zu foltern. Insgesamt betreue das internationale PEN-Zentrum mit seinem Programm «Writers in Prison» zurzeit über 1000 Schriftsteller in über 90 Ländern, berichtete Gauch. Dokumentiert werden könne, dass weltweit allein im ersten Halbjahr 2008 Hunderte Autoren inhaftiert, gefoltert und auch getötet wurden.
Gauch kritisierte, dass die türkische Regierung nach internationalen Protesten den «berüchtigten» Strafgesetzparagrafen 301, der die «Beleidigung des Türkentums» unter Verfolgung stellte, nur scheinbar abgeschafft habe. Er sei durch einen neuen Paragrafen 301 ersetzt worden, der nun die «Beleidigung des türkischen Staates» strafbar mache. «Es hat sich praktisch nichts geändert», sagte Gauch. Selbst Übersetzer unliebsamer Bücher stünden gegenwärtig in der Türkei vor Gericht.
Das PEN-Zentrum informierte auch über sein Programm «Writers in Exile», das fortlaufend sechs im Ausland verfolgten Autoren einen einjährigen Aufenthalt in Deutschland ermögliche. Die weißrussische Autorin Svetlana Alexijewitsch, die als Exil-Stipendiatin zurzeit in Berlin lebt, sagte, das Programm verhelfe ihr zu einer «hörbaren Stimme» in der Heimat. «Writers in Exile» wird aus Bundesmitteln finanziert.
Die Zahl der 2007 weltweit getöteten oder «vermutlich getöteten» Schriftsteller bezifferte das PEN-Zentrum in Frankfurt auf mindestens 55. Über 100 seien misshandelt worden, mindestens 18 «verschwunden». Nicht zuletzt wegen der Aktivitäten des internationalen PEN-Zentrums, das seinen Sitz in London hat, seien vergangenes Jahr aber auch 94 zuvor inhaftierte Autoren aus dem Gefängnis entlassen worden.