Berlin - Der scheidende Theatermacher Claus Peymann hat einen Frontalangriff auf die Berliner Kulturpolitik gestartet. In einem Brief an den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller (SPD) nennt Peymann den Kulturstaatssekretär Tim Renner «die größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts». Als Beispiel verweist der Intendant des Berliner Ensembles auf angebliche Pläne Renners zur Zukunft der Berliner Volksbühne.
[update, 2.4.]
Knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt gerät der neue Berliner Kulturstaatssekretär und frühere Musikmanager Tim Renner (SPD) unter Druck. Der scheidende Theatermacher Claus Peymann nannte den 50-Jährigen am Mittwoch in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller (SPD) «die größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts».
Auch aus dem Haus von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und von den Grünen kam Kritik. Die Kulturverwaltung gab zunächst keine Stellungnahme ab.
Auslöser sind angebliche Pläne Renners, den Direktor der Londoner Tate Gallery, Chris Dercon, zum Nachfolger des 2017 scheidenden Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf zu machen. Peymann kritisierte, Renner wolle die einst so ruhmreiche Volksbühne zum «soundsovielten Event-Schuppen» der Stadt machen.
«Mir bricht buchstäblich der Angstschweiß aus, wenn ich mir vorstelle, was dieser unerfahrene und in dieser Position völlig überforderte Mann bereits angerichtet hat - und was uns noch erwartet», schrieb der langjährige Intendant des Berliner Ensembles. Er ließ den Brief per Boten ins Rote Rathaus bringen und gab ihn gleichzeitig an die Presse weiter.
Renner warf ihm im Gegenzug vor, sich «an der Verbreitung von Spekulationen und Gerüchten» zu beteiligen. Tatsächlich hat der SPD-Politiker sich bisher nicht zu einer möglichen Berufung des Londoner Museumsmanagers geäußert, sondern lediglich erklärt, es sei an der Zeit, die Volksbühne «weiterzuentwickeln».
Grütters' Sprecher Hagen Philipp Wolf forderte einen «verantwortlichen» Umgang mit der Volksbühne und warnte davor, Doppelstrukturen bei den Berliner Kultureinrichtungen zu schaffen. «Außerhalb von Berlin könnte dann die berechtigte Frage entstehen, ob das hohe Engagement des Bundes noch vertretbar ist», warnte Wolf.
Die Grünen-Abgeordnete Sabine Bangert erklärte: «Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich mit Herrn Peymann eine nahezu 100-prozentige Übereinstimmung erziele, aber ich muss sagen: Er hat recht. Und ich hoffe, dass der Regierende Bürgermeister und Kultursenator möglichst bald sein Gesprächsangebot annimmt.»
Peymann hatte in seinem Brief auch Müller kritisiert. Er warf ihm vor, seit Dezember nicht auf den Vorschlag reagiert zu haben, gemeinsam über die Zukunft der Theater zu sprechen.
«Vielleicht darf ich Sie daran erinnern, dass Sie als amtierender Kultursenator für die Agenda der Berliner Kulturpolitik verantwortlich sind», schreibt Peymann an Müller. «Stattdessen überlassen Sie das Feld Ihrem Kulturstaatssekretär, der bisher noch kein Fettnäpfchen ausgelassen hat.»