Die Corona-Pandemie hat der Kultur- und Veranstaltungsbranche schwer zugesetzt. Besonders betroffen war die Freie Szene mit ihren Ensembles, Orchestern, Chören und Solo-Künstler*innen. Während der Lockdowns fielen Konzerte und Veranstaltungen aus, ein Großteil der Einnahmen brach weg. Inzwischen hat sich der Betrieb zwar weitgehend normalisiert, doch trotz Unterstützung durch Bundes- und Landesförderprogramme wirkt die Krise auch nach Corona unvermindert nach. „Der Schein trügt, dass mit der Rückkehr zur Normalität alles wieder gut ist“, konstatiert Lena Krause, Geschäftsführerin von Freie Ensembles und Orchester in Deutschland e. V. (FREO). Pandemische Nachwirkungen fallen mit Preissteigerungen im Alltag zusammen, unter anderem ausgelöst durch den Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine. Die Freie Szene ist nach wie vor in den Krisen gefangen und ohne strukturelle Anpassungen, so die Befürchtung, droht der Branche mittelfristig ein Einbruch, der weit über den finanziellen Schaden hinausgeht.
Prekarität trotz Staatshilfen
Seit der Lockerung der Corona-Maßnahmen können Besucher*innen zwar bei Veranstaltungen wieder ohne Auflagen empfangen werden, doch die akute Krisenstimmung zeigt keineswegs durchgehend Euphorie bei den Musiker*innen über die zurückgewonnene Normalität des Kulturbetriebs. „Zusätzlich zu diesen Aspekten beeinflusst auch das ver-änderte Publikumsverhalten die Branche. Viele Menschen entscheiden sich kurzfristiger für Veranstaltungsbesuche. Zudem erleben wir, dass Sicherheit im Hinblick auf die Programmplanung auch für Konzertveranstalter viel wichtiger geworden ist. Experimentelle Programme, die sich vielleicht weniger gut verkaufen lassen, haben es durchaus schwerer. Es ist dieses So-wohl-als-auch“, beschreibt Krause die zwiespältigen Reaktionen in der Szene: Die Freude dar-über, endlich wieder auf der Bühne zu stehen, werde getrübt durch Unsicherheit angesichts bleibender finanzieller Herausforderungen durch die zurückliegende Corona-Pandemie.
Strukturveränderungen
Ähnlich zwiegespalten beurteilt Nina Ruckhaber, Medienvorstandsmitglied der Deutschen Chorjugend und organisatorische Leiterin des Vokalfestivals Black Forest Voices, die Lage. Während Ensembles mit hoher Digitalkompetenz nach Corona leicht in die Normalität zurückfinden konnten, lösten sich andere, zum Teil auch langjährig etablierte Ensembles auf oder pausierten zumindest. Vor allem Chöre, die während der Lockdowns mangels Online-Affinität keine Musik machen konnten, hatten und haben Schwierigkeiten mit diesem Neuanfang. Die Pandemiezeit wirkte somit als Katalysator für Strukturveränderungen innerhalb der Chorszene, beobachtet Ruckhaber: „Die Schere ist auseinandergegangen. Leistungsorientierte Chöre sind in der Coronazeit noch mehr zusammengewachsen, während eher schwächere Chöre Probleme hatten, ihre Arbeit wie davor weiterzuführen.“ Bei Solo-Künstler*innen ist diese Schere noch extremer zu beobachten: Hier gibt es sogar manch enttäuschte Musiker, die sich angesichts ausbleibender Engagements beruflich umorientiert haben oder nun nur noch im Nebenerwerb musizieren.
Insbesondere Freischaffende ohne festes Engagement in Chören oder Orchestern standen stark unter Druck. Um ihre finanzielle Not zu lindern, mobilisierten Bund, Länder und Kom-munen umfassende Hilfspakete, unter anderem „Neustart Kultur“, „Kultur trotz Abstand“ oder den „Sonderfond für Kulturveranstaltungen“. Rückblickend gerät Ruckhaber beim Thema Lockdown-Förderung regelrecht ins Schwärmen: „Es war die beste Kulturförderungszeit, die ich wahrgenommen habe.“ Die Gelder seien gezielt über Zwischenorganisationen wie Verbände an die Kunstschaffenden durchgereicht worden. Selbst amateurmusikalische Kleinensembles in der Provinz konnten so von den Förderungen profitieren. Dennoch beschränkten sich die Zuschüsse weitgehend auf einmalige Projekte statt nachhaltiger institutioneller Absicherung. Und so stehen Freischaffende nun vielerorts vor dem gleichen Problem wie während Corona: der steten Existenzunsicherheit.
Um sich über Wasser zu halten, blieb Kreativschaffenden in der Zeit der Corona-Pandemie kaum eine andere Wahl, als einerseits Fördermittel und andererseits Engagements abseits ihrer künstlerischen Kernaufgaben zu akquirieren. „Einfach Geld zu bekommen ist aber nicht einfach“, weiß der Komponist Dachan Kim aus leidvoller Erfahrung. Unabhängig vom konkreten Zuwendungsgeber seien in der Regel detaillierte Unterlagen einzureichen. Diese Antragstellung stellte für unterbezahlte Künstler*innen oft eine große Herausforderung neben dem täglichen Arbeiten dar. Um die Chancen zu steigern, passten viele ihre Vorhaben kurzerhand potenziellen Förderschwerpunkten an, berichtet Ruckhaber: „Man ist viel mehr damit beschäftigt, Projekte zu kreieren, die zum Förderpaket passen – nur, um Geld zu bekommen.“ Die kreative Freiheit bleibe so auf der Strecke. Kim zeigt wenig Verständnis für Kritik an bürokratischen Hürden: „Ich war einfach dankbar für jede Unterstützung.“ Allerdings sagt er auch, dass konkrete Vorgaben zu seinen Kompositionen durchaus die persönliche Entfaltungsfreiheit einschränkten. Hier war Kompromissbereitschaft gefragt.
Arm oder armutsgefährdet
Eines der Grundprobleme ist, dass „Ensembles Verwaltungsstrukturen brauchen, die langfristig finanziert sind und die Sicherheit geben“, wie Krause sagt. Die gängigen Projektförderungen unterschiedlicher Programme decken diesen kontinuierlichen Betrieb jedoch nicht ab. Sie demotivieren mit ihrem Fokus auf einzelne Endprodukte wie Konzerte oder Tourneen, statt die notwendige Basisarbeit zu wertschätzen. Und so bleibt die Masse der Förderung punktuell statt verlässlich, kurzfristig statt zukunftsgerichtet. Zudem beklagt Krause die Fördersummen vieler Programme oft als viel zu gering. Künstler*innen nehmen finanzielle Mittel mitunter widerwillig an, da der Bereitstellungsaufwand höher liegt als der eigentliche Zuschuss. Am unteren Ende der Kulturschaffenden genügten die Mittel noch nicht einmal, um auch nur ein reguläres Gehalt zu finanzieren, geschweige denn Arbeitszeitkonten zur Komposition, Werkstattphasen ohne Verwertungsdruck oder gar Rentenvorsorge abzudecken. Allein diesem Gesichtspunkt ist es wohl geschuldet, dass sich in Umfragen unter Künstler*innen regelmäßig ein Großteil als arm oder armutsgefährdet einstuft. Ruckhaber sieht die Politik angesichts dessen in der Pflicht. Deren erfreuliche Erkenntnis vom hohen gesellschaftlichen Wert der Kultur müsse sich nun auch in der Mittelbereitstellung niederschlagen: „Eigentlich ist Deutschland so eine reiche Gesellschaft. Wir könnten es uns leisten, dass man Bildungsausübende oder Kulturschaffende genauso bezahlt wie Personen anderer Branchen.“
Erschwerend kommt hinzu, dass sich vorhandene Mittel sehr ungleich über die diversen künstlerischen Sparten und Genres verteilen. So bekamen 2021 den Großteil der öffentlichen Kulturförderungen Institutionen mit verbeamteten Stammkräften und Millionen-Etats. Die Freie Szene, in der prekäre Arbeitsverhältnisse dominieren, musste sich hingegen mit deutlich weniger Zuschüssen begnügen. Diese Problematik in Kombination mit der derzeitigen Krisensituation ist es, was der freien Szene so zu schaffen macht. Die Förderprogramme, die sie erhielten, waren einmalig und zeitbegrenzt. Bereits in der Übergangszeit von Corona zurück ins normale Leben hörte die Unterstützung auf. Musiker*innen wurden erneut ins kalte Wasser geworfen. Um der grassierenden Prekarität entgegenzuwirken, plädiert Krause für die flächendeckende Einführung sogenannter Struktur- und Basisförderprogramme. Diese speisen sich unabhängig von einzelnen Projektzuwendungen aus festen Töpfen der Kulturhaushalte. Und sie kommen explizit freien Ensembles sowie Soloselbstständigen zugute.
Bisher hätten lediglich vereinzelte Kulturministerien beziehungsweise der Senator für Kultur in NRW, Berlin oder Bremen derlei komplementäre Töpfe für die Freie Szene geschaffen. Zumeist zwar mit überschaubaren Summen, aber immerhin ist es ein erster Anfang. Diese Ansätze müssten nun auf Landes- wie Bundesebene substanziell ausgeweitet werden, wie sie sagt: „Es braucht verstetigte Förderung in bundesweiten Strukturfonds. Statt Künstlerinnen und Künstler zwischen Projektanträgen zu leiten, müsse man ihre zentralen Schaffensbedingungen absichern.“
Doch beschränken sich die Defizite keineswegs allein auf die absolute Höhe der Fördersummen für Soloselbstständige oder Ensembles. Kim beklagt mangelnde Transparenz seitens der Behörden bei vorhandenen Fördermaßnahmen. Oft erfahre man nur zufällig etwa von den Möglichkeiten der Zuschüsse. Der Komponist fordert daher ein Mehr an offizieller Bekanntmachung, gebündelt an zentraler Stelle. Nur so könnten Künstler*innen überhaupt gezielt Programme identifizieren und Zugänge erschließen, statt sich weiter in den bürokratischen Tiefen zu verirren. Darüber hinaus wünscht er sich schlicht mehr Fördergelegenheiten.
Ob die Corona-Jahre mittelfristig als Zäsur fungieren, die kulturelle Teilhabe und Arbeitsverhältnisse durch digitalen Wandel neu austariert, bleibt fraglich. Skepsis gegenüber vorschnellen Paradigmenwechseln scheint jedenfalls angebracht. Der deutsche Kulturbetrieb ist sehr träge geworden zu sein. Radikale Neuerungen ließen hier gewöhnlich Jahre oder gar Jahrzehnte auf sich warten. Umso dringlicher ist indes Kontinuität – sowohl in der finanziellen Grundsicherung von freien Kulturschaffenden, als auch beim Erhalt erprobter Analog-Angebote für nicht-digitalaffine Menschen wie beim Aufbau ergänzender Online-Formate. Stabilität und Verlässlichkeit also statt hektischer Betriebsamkeit. Denn die Pandemie hat nicht zuletzt gezeigt, wie sehr ein Miteinander der Generationen und sozialen Milieus beim Kulturgenuss fruchtbar sein kann: So besuchten junge Leute wieder vermehrt Konzerte ihrer örtlichen Blaskapelle oder unterstützen gemeinschaftlich das lokale Jugend-Schultheater, weil die Angebote des profitorientierten Veranstaltungsbetriebs brachlagen. Umgekehrt profitierten manche Traditionsensembles ohne Internetpräsenz vom Support junger Fangemeinden, die ihre Auftritte kurzerhand per Crowdfunding finanzierten. Derlei Synergien gilt es durch Rückbesinnung auf verlässliche Strukturen sowie fließende Fördermodelle zwischen Laien und Profis, Alt und Jung, Stadt und Land zu befördern und zu erhalten. Sonst droht die Schere zwischen kulturell Verwurzelten und Abgehängten noch weiter auseinanderzugehen.
Verlässliche Strukturen
Lena Krause, Nina Ruckhaber und Dachan Kim – drei Stimmen aus der Praxis, drei verschiedene Positionen und doch vereint im dringenden Appell, ein „Weiter so“ in der Kulturförderung müsse ein Ende haben. Statt Künstler*innen weiter im Hamsterrad der Projektfinanzierung rennen zu lassen, bedürfe es verlässlicher Strukturen für Kontinuität. Die Zeichen stehen auf Umbruch: Infolge von Corona und neuen politischen Herausforderungen, wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, verringern sich die Töpfe für Kunst und Musik zusätzlich, während die Lebensrealität vieler Menschen härter wird. Zugleich wachsen die Erwartungen an Politik wie Gesellschaft, aus eingefahrenen Denkmustern auszubrechen. Ob die postpandemische Phase damit die lange überfällige Zeitenwende in der Kulturförderung einleitet? Deren Akteure stehen in der Pflicht zum Mut – mutig weg von klein-bürokratischen Traditionen, der Gängelung mittels kontraproduktiver Detailvorgaben bei Förderrichtlinien und mutig hin zu einer Honorierung der Künste, die ihren unschätzbaren Wert für den gesellschaftlichen Zusammenhalt angemessen anerkennt. Es geht um nicht weniger als das Überleben der Freien Kulturszene.
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