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Pro und kontra TTIP - Besitzstandswahrung gegen Amerikanisierung im Kulturbereich

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In der Diskussion um das geplante Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) wirft der Berliner Soziologe Dieter Haselbach, Mitautor der Studie «Der Kulturinfarkt», den Kulturverbänden Besitzstandswahrung vor. Die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte hingegen sieht im TTIP eine große Gefahr für die deutsche Kultur. Nada Weigelt, dpa, fasst das Thema zusammen und unterhielt sich mit den beiden Kontrahenten.

 
Glaubenskrieg um Freihandel - Kulturvielfalt in Gefahr?
von Nada Weigelt
 
Selten war sich die Kulturszene landauf, landab so einig. Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA gefährdet die kulturelle Vielfalt in Deutschland, befürchten Kritiker. Die Identität der Kulturnation Deutschland stehe auf dem Spiel. Inzwischen hat sich die Debatte fast zu einem Glaubenskrieg ausgewachsen. Worum geht es?
 
Seit etwa einem Jahr verhandeln die EU und die USA über ein Freihandelsabkommen, das Zölle und andere Handelsbarrieren abbauen soll. Im Bereich der Kultur stünde damit das umfangreiche System von öffentlicher Förderung auf der Kippe, das viele Kultureinrichtungen in Deutschland überhaupt erst möglich macht. Die amerikanische Unterhaltungsindustrie könnte die Subventionen als ungerecht verklagen oder gar Schadenersatz fordern.
 
«Wir haben im Kulturbereich massenhaft Förderstrukturen, die marktverzerrend sind», sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, der mehr als 200 Bundeskulturverbände vertritt. «Aber das ist kein Betriebsunfall. Das ist gewollt, weil es unsere Vielfalt erhält. Mit Einfalt lässt sich jedoch mehr Geld verdienen.»
 
US-Musicalproduzenten etwa könnten deutschen Opern und Theatern den Garaus machen, so das Horrorszenario. Universitäten und Volkshochschulen drohe neue kommerzielle Konkurrenz. Und das öffentlich-rechtliche Fernsehen, mit staatlich verordneten Gebühren von 7,5 Milliarden Euro versorgt, müsse sich der amerikanischen TV-Riesen erwehren.
 
Zwar hat Frankreich im Interesse seiner heimischen Filmindustrie durchgesetzt, dass der «audiovisuelle Bereich» von den Verhandlungen ausgenommen wird. Nach Angaben des Kulturrats ist aber keineswegs definiert, ob auch das Fernsehen darunterfällt. «Uns droht eine Amerikanisierung des gesamten Kulturbereichs», warnt die Berliner Theaterwissenschaftlerin Prof. Erika Fischer-Lichte im dpa-Gespräch.
 
Besondere Sorgen macht den Verantwortlichen der befürchtete Wegfall der Buchpreisbindung. «Ohne festgelegten Preis würden Bestseller in Baumärkten, Tankstellen oder von Amazon extrem billig angeboten, andere Titel aber nicht», sagte kürzlich der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis. Gefährdet seien nicht nur die Buchhändler vor Ort, sondern mittelfristig auch kleine und mittlere Verlage.
 
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) fordert - anders als die bisher schweigende Kanzlerin - bei den Freihandelsgesprächen zur «Transatlantic Trade and Investment Partnership» (TTIP) für die Kultur eine Ausnahme. «Kultur ist keine Handelsware», betont sie immer wieder.
 
Angesichts des Gegenwinds versuchte EU-Handelskommissar Karel de Gucht im Juni demonstrativ, die Bedenken zu zerstreuen. Er würde «niemals ein Abkommen aushandeln oder einem solchen zustimmen», das etwa die Buchpreisbindung oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bedrohe, versicherte er in der «Zeit». «Kein von der EU abgeschlossenes Handelsabkommen hat dies jemals infrage gestellt.»
 
Allein, den Kulturträgern fehlt der Glaube. «Solange wir das nicht schwarz auf weiß sehen, müssen wir vom worst case ausgehen», sagt Kulturrats-Vertreter Zimmermann. Wie zahlreiche andere Verbände wirft er den Verantwortlichen «Geheimniskrämerei» vor. Selbst grundlegende Dokumente würden nicht veröffentlicht. «Wenn wirklich alles so gut ist, wieso legen sie dann die Karten nicht auf den Tisch?»
 
Für den Berliner Soziologen Prof. Dieter Haselbach steckt hinter dem einhelligen Nein der Kulturszene allerdings ein anderer Grund. «Die Verbände wollen nicht, dass über unser Fördersystem diskutiert wird», sagte der Kulturforscher der dpa. «Alles ist einzigartig und gut und soll auf ewig so bleiben, wie es ist. Und deshalb verbreiten sie jetzt eine panische Angst.»
 
Haselbach hatte sich schon vor zwei Jahren als Mitautor des umstrittenen Buches «Der Kulturinfarkt» für eine offene Diskussion über die staatlichen Kultursubventionen eingesetzt. Er erntete allerdings nur einen Aufschrei des Entsetzens.
 
Der Kulturrat will nun bei TTIP (sprich: Titip) die Reißleine ziehen. Er unterstützt eine europaweite Bürgerinitiative, die von September an mindestens eine Million Unterschriften für einen Stopp des Abkommens sammeln will. Zimmermann ist überzeugt: «Der beste Weg, TTIP zu retten, ist, es komplett neu zu verhandeln.»
 
Die Interviews:

Kulturforscher pro TTIP: «Wovor haben die eigentlich Angst?»

Berlin - Der Berliner Soziologe Dieter Haselbach hat vor zwei Jahren als Mitautor der Studie «Der Kulturinfarkt» für Aufsehen gesorgt. In der Diskussion um das jetzt geplante Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) wirft der Professor den Kulturverbänden in einem Gespräch mit der dpa Besitzstandswahrung vor. Sie schürten Angst vor dem Abkommen, nur um ihre Subventionen zu retten.

Frage: Halten Sie die Sorgen der Kulturszene für berechtigt?

Antwort: Nein, überhaupt nicht. Wovor haben die eigentlich Angst? Bei uns gibt es Theater, die 90 Prozent ihrer Kosten von der öffentlichen Hand ersetzt bekommen. Und diese Theater haben jetzt Angst vor einem Konkurrenten, der seine Subventionen selbst bezahlt? Ich glaube, es geht um etwas anderes. Die Verbände wollen nicht, dass über unser Fördersystem diskutiert wird. Alles ist einzigartig und gut und soll auf ewig so bleiben, wie es ist. Und deshalb verbreiten sie jetzt eine panische Angst. Dabei ist doch im Verhandlungsmandat ausdrücklich festgeschrieben, dass die kulturelle Vielfalt erhalten und gefördert werden soll.

Frage: Könnte das Abkommen umgekehrt auch Chancen bergen?

Antwort: Eine Chance würde der Kultur und auch der geförderten Kultur nur erwachsen, wenn sie sich endlich mal trauen würde, ihrer eigenen Reformfähigkeit zu trauen. Das heißt, die Ziele öffentlicher Förderung zur Diskussion zu stellen und die Förderung dann ordnungspolitisch sinnvoll zu organisieren. Wenn es wirklich darum ginge, Interessen zu vertreten, müsste man differenziert überlegen: Was sind denn unsere kulturpolitischen Werte? Was wollen wir zu welchem Zweck fördern? Aber genau das macht die Kulturszene nicht, im Gegenteil: Sie verweigert diese Diskussion. Sie besteht darauf, dass sie aus den Verhandlungen ausgenommen wird.

Frage: Für den Buchhandel könnte es aber wirklich Probleme geben ...

Antwort: Im Moment ist es bei uns so, dass die großen Buchhändler große Rabatte bekommen, also eine Gelddruckmaschine haben, und die kleinen halten sich gerade mal so über Wasser. Die Befürchtung, Amazon könnte künftig den festen Buchpreis aus Wettbewerbsgründen anfechten und damit kippen, halte ich für abwegig. Wichtiger wäre es für unseren Buchhandel, mit dem amerikanischen Verlagswesen ein strategisches Bündnis gegen den Monopolisten Amazon zu schmieden. Man müsste sich also Verbündete suchen, statt Amazon mit den USA gleichzusetzen und sofort ins große anti-amerikanische Horn zu tuten.

ZUR PERSON: Prof. Dieter Haselbach, 59, ist ein deutscher Soziologe. Bekannt wurde er als Mitautor des Buches «Der Kulturinfarkt» (2012), das eine radikale Neuverteilung der öffentlichen Kulturförderung verlangt. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet er als Kulturberater und Kulturforscher. Er ist Managing Partner bei der Unternehmensberatung ICG Deutschland und Geschäftsführer des Zentrums für Kulturforschung.

 

Theaterexpertin kontra TTIP: «Amerikanisierung droht»

Berlin - Die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte sieht in dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) eine große Gefahr für die deutsche Kultur. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa sagt die FU-Professorin, warum. Und appelliert an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Frage: Halten Sie die Sorgen der Kulturszene für berechtigt?

Antwort: Ja, absolut - uns droht eine Amerikanisierung des gesamten Kulturbereichs. Ich fürchte, dass unser Subventionssystem abgebaut wird und die Theater ihre Kosten selbst einspielen müssen. Dann geht es nicht mehr nach Qualität, sondern nur noch um die Frage: Wie kriege ich einen Saal mit 2000 Leuten immer und jederzeit voll? Was dabei herauskommt, ist eine soziale Schieflage, wie sie schlimmer nicht auszudenken ist. Heute können bei uns auch Menschen ins Theater oder ins Konzert gehen, wenn sie nicht so viel Geld haben. Amerika hat eine ganz andere Kultur. Da gehört Theater zum Entertainment. Und wer Entertainment will, muss dafür einen hohen Preis zahlen - oder eben fernsehen.

Frage: Was fürchten Sie konkret?

Antwort: Unser Theater ermöglicht Kreativität und Innovation. Das geht aber nur unter den Bedingungen des jetzigen Systems. Noch selten ist etwas Neues sofort angenommen worden - selbst nicht bei einem Peter Stein oder einem Robert Wilson. Denn das Publikum ist in der Regel eher konservativ, es braucht Zeit, sich auf Experimente einzulassen. Deshalb ist Theater auf Freiraum angewiesen. Das hat mit dem Lob des freien Marktes nichts zu tun. Es ist eine Errungenschaft, die ich nicht aufs Spiel setzen möchte.

Frage: Was sollte passieren?

Antwort: Einen Neustart der Verhandlungen, wie vom Kulturrat gefordert, halte ich nicht für nötig. Man sollte aber ganz klar bestimmte Kulturgüter definieren, die von dem Abkommen ausdrücklich ausgenommen werden. Dazu gehören das Theater, der Film, das Museum und das Buch. Solange ich das nicht wirklich schwarz auf weiß in dem Handelsabkommen lese, glaube ich gar nichts, nachdem bisher ja alles hinter verschlossenen Türen verhandelt worden ist. Meines Erachtens sollte sich die Kanzlerin des Themas Kultur annehmen. Sie ist genau die Person, von der das ausgehen muss.

ZUR PERSON: Erika Fischer-Lichte (71) ist Professorin am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Zuvor hatte die gebürtige Hamburgerin Lehrstühle in Frankfurt/M. und Bayreuth. 1991-1996 war sie Direktorin des neugegründeten Instituts für Theaterwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Zu ihren jüngsten Werken gehört die Studie «Performativität» (2012).


 

Videotipp auf nmzMedia:
nmz-TV-Bühne Musikmesse 2012 - "Der Kulturinfarkt" - Realität und Zukunft der öffentlichen Kulturförderung. Armin Klein, Mitautor des Buchs "Der Kulturinfarkt", dikutiert mit Brigitte Zypries (SPD), Lydia Grün (Musikland Niedersachsen) und Moritz Puschke (Deutscher Chorverband). Moderation: Barbara Haack und Theo Geißler (nmz)

Und auf der Musikmesse 2014 bat Theo Geißler (neue musikzeitung) zum Thema Freihandelsabkommen neben Christian Höppner (Deutscher Musikrat) Hans-Jürgen Blinn (Beauftragter des Bundesrates für Handelspolitik des Europäischen Rates) und Enjott Schneider (Komponist, Vorsitzender des GEMA Aufsichtsrates) aufs Podium der nmz (schriftlich festgehalten im Protokoll).
 

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