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Seit dem 30. Mai 1992 ist in Deutschland der europäische Kulturkanal arte (association relative à la télévision européenne) über Satellit und Kabel zu empfangen. Seit nunmehr fünf Jahren sendet das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt, das zur einen Hälfte vom französischen Sender La Sept und zur anderen von ARD und ZDF getragen wird, täglich zwischen 19.00 Uhr und 1.00 Uhr ein vielseitiges Kulturprogramm.
Der wichtige Bereich der Musik wird bei arte von der sogenannten „Musica-Gruppe“ betreut, in der Vertreter der an arte beteiligten Institutionen sitzen. Für die ARD nimmt diese koordinierende Funktion derzeit WDR-Musikredakteur José Montes-Baquer wahr. Im Gespräch unterstreicht er vor allem die kulturelle Breitenorientierung. Zentrale Aufgabe des Senders sei es, die Kultur einem großen Publikum zu präsentieren und keine Eliten zu bedienen oder gar herauszubilden: „arte ist für jeden da, der sich die Mühe macht, das Programm anzugucken; er wird immer etwas Interessantes finden. Es gibt keine elitären Begrenzungen, die etwa einen Teil der Gesellschaft ausschließen würden, das wäre absolut falsch.“ Und diese Idee lasse sich, so Montes-Baquer, durchaus auf einem hohen Niveau verwirklichen. Er sieht dabei jedoch auch die gravierenden Probleme bei der Vermittelbarkeit bestimmter Inhalte an ein breitgefächertes Publikum: „Kunst und Kultur sind traditionell eher eine Angelegenheit von Minderheiten, das ist kein neues Problem. Aber wir haben die Pflicht, Kultur zu transportieren und zu entwickeln. Die Kultur muß sich mit den Medien der Zeit entwickeln. Und augenblicklich sind eben Rundfunk und Fernsehen die wichtigsten Vermittlungsmedien.“
Besonders in den Jahren 1993 und 1994 gab es Forderungen, den Betrieb von arte wieder einzustellen. Bestimmte Kreise verlangten ein Aufrechnen von „Kosten“ und „Nutzen“ des Senders, wobei die Kosten damals mit einem Jahresetat von 500 Millionen DM angegeben wurden, denen ein „Nutzen“ gegenübergestellt werden sollte, den die Kritiker in Einschaltquoten messen wollten. Daß die Bedeutung von arte allerdings nicht nur an den inzwischen übrigens steigenden Quoten festgemacht werden kann, betont José Montes-Baquer im Interview: „Man sollte natürlich auch die Kontinuität berücksichtigen, mit der hier Film, Kunst, Musik und Literatur bedacht werden. Dieser Aspekt läßt sich nicht in Quoten ausdrücken. Außerdem macht arte bestimmte Sendungen von ZDF, ARD und den dritten Programmen – gerade im Bereich der Musik – überhaupt erst möglich. Durch die Möglichkeit dieser Koproduktionen entstehen viele interessante Projekte, die es ohne arte nicht geben würde.“ Die Ergebnisse dieser Koproduktionen finden ihren Weg nicht nur in das Programm von arte selbst, sondern werden auch gelegentlich – vielleicht zu selten – bei ZDF, ARD und in den dritten Programmen der ARD gezeigt. Auf diesem Wege kommen dann auch Zuschauer, die das Programm zwar mit einem Anteil ihrer Rundfunkgebühr mittragen, aber nur über eine Hausantenne verfügen, mit der das Programm bedauerlicherweise nicht empfangen werden kann, in den Genuß der Beiträge.
Das durchaus produktive Miteinander von Partnern in einer heterogenen Gruppe zeigt sich bereits bei der alltäglichen Arbeit bei arte. Die Unterschiede und Charakteristika der einzelnen Sender – vom französischen Fernsehen La Sept über das ZDF bis zu den einzelnen Anstalten der ARD – spiegeln sich im Programm des gemeinsamen Kulturkanals ebenso wieder wie die verschiedenen Interessenschwerpunkte einzelner Redakteure. Ursprünglich gab es Überlegungen für einen reinen Musikkanal, aus denen dann der umfassende europäische Kulturkanal entstand. Nach wie vor hat jedoch die Musik einen wichtigen Stellenwert im Programm von arte. Das wöchentliche Programmschema ist in Blöcke gegliedert, in denen die Bereiche Musik, Tanz, Theater, Literatur und auch aktuelle Informationen angesiedelt sind. Aufbereitet werden diese Bereiche in allen dem Medium zur Verfügung stehenden Formaten: Dokumentation, Übertragung von Musik- und Theaterereignissen, Fernsehinszenierung, aber auch Spielfilm und Diskussion. Diese Konzeption erlaubt – anders als bei der trend-verdächtigen Häppchen-Methode – eine breite und daher differenziertere Sicht auf bestimmte Schwerpunke. Themen können aus verschiedenen Perspektiven und in unterschiedlichen Darbietungsformen kontrovers und ergänzend vorgestellt werden, so daß fraglos ein aktiveres Rezeptionsverhalten bei den Zuschauern vorauszusetzen ist als bei vielen anderen Programmen.
Mittwochs liegt die Blockzeit für „Musica“, die eine Strecke von mindestens 90 Minuten für diverse Schwerpunkte bietet. So ist es zum Beispiel möglich, eine Dokumentation um eine Konzertaufzeichnung zu ergänzen. Auf diesem Programmplatz wird auch einmal monatlich der Mitschnitt einer vollständigen Opernaufführung ausgestrahlt – „und zwar nicht nur die Verdis, Puccinis und Leoncavallos“, wie José Montes-Baquer hervorhebt. Tatsächlich findet an diesem Programmplatz auch Oper des 20. Jahrhunderts statt. Ferner sind dokumentarische Beiträge wie Portraits von Komponisten und Interpreten zu sehen. Neben Bekanntem und bereits Etabliertem spielt auch dabei immer die Vermittlung von Neuem eine wichtige Rolle; eine Vermittlung jedoch, die eben nicht an vermeintlichen Eliten orientiert sein sollte, sondern allgemein an Kulturinteressenten. Sonntags gibt es zwischen 19.30 und 20.30 die Sparte „Maestro“, in der hauptsächlich klassisches Repertoire in meisterlichen Interpretationen vorgestellt wird. Hier soll ab Oktober die Reihe „Große Dirigenten“ entstehen. Geplant sind unter anderem Sendungen über Zubin Mehta, Sir Georg Solti und Lorin Maazel. Für die Rubrik „Maestro“ wurde auch das Konzept von „Probe und Aufführung“ entwickelt, das es den Zuschauern ermöglichen soll, einen Einblick in die Entstehung und das Wachsen einer Interpretation zu gewinnen. Dieser Bereich soll zukünftig weiter intensiviert werden. Sporadisch werden neben diesen überwiegend sinfonischen und solistischen Darbietungen auch choreographische Akzente gesetzt, wie beispielsweise am 7. September mit der Ausstrahlung der Fernsehinszenierung von „Wreckers Ball“, einer von Paul Taylor choreographierten Tanzsuite, die von der Musik der 40er, 50er und 60er Jahre inspiriert ist.
Doch bei all diesen Projekten, das hob Montes-Baquer abschließend hervor, spiele immer auch die Überlegung eine Rolle, Material präsentieren zu wollen, das nicht nur intellektuell zu erfassen sei, „sondern das auch eine gewisse Attraktivität der gehobenen Unterhaltung bietet.“