Am 1. September hat Sebastian Nordmann die Intendanz des Konzerthauses am Gendarmenmarkt übernommen. Im Oktober beging das Haus sein 25-jähriges Jubiläum. Zwei Anlässe für die nmz, den neuen Intendanten zum Interview zu bitten. Die Fragen stellte Chefredakteur Andreas Kolb.
neue musikzeitung: 25 Jahre Konzerthaus – kann das sein?
Sebastian Nordmann: Es ist schon witzig, wenn ich gefragt werde, ob wir beim Jubiläumsjahr nicht einen Druckfehler gemacht hätten: Es fehle doch die Null. Richtig ist, dass das Schauspielhaus von Schinkel fast 200 Jahre alt ist, im Krieg allerdings zerstört wurde. Der Palast der Republik wiederum war das Aushängeschild der DDR, 1984 kam mit der Wiedereröffnung das Konzerthaus hinzu, das nicht nur fürs Konzert, sondern eben auch für die Republik – ab 1990 die neue Republik – genutzt wurde. Man erinnere sich an Leonard Bernsteins legendäre Aufführung der 9. Sinfonie im Konzerthaus nach dem Mauerfall. Dann kam Helmut Kohl und nutzte das Haus im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung. Im Mai wurden hier 60 Jahre Grundgesetz gefeiert. Genau diese Traditionen wollten wir mit der Kampagne „Der Palast der Republik“ beleuchten.
nmz: Was waren Ihre thematischen Linien im Jubiläumsmonat Oktober?
Nordmann: Das Konzerthaus wird immer wieder mit Beethovens Neunter unter Bernstein in Verbindung gebracht. Das war 1989 – ein großer Moment in der Geschichte. Übrigens wurde die Neunte im Jahr 1826 auch erstmalig in Berlin an unserem Haus aufgeführt. Jetzt kam die Neunte unter Lothar Zagrosek wieder zurück. Der Name des Chefdirigenten, aber auch der meines Vorgängers Frank Schneider, steht zudem stark für die zeitgenössische Musik. Deswegen hatten wir an Friedrich Goldmann einen Kompositionsauftrag für ein sinfonisches Werk vergeben, das nun postum uraufgeführt wurde. Das RSB war als Kooperationspartner mit Carl Maria von Weber dabei, da der „Freischütz“ 1821 im Königlichen Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Wir haben das Haus am Jubiläumssonntag für Kinder geöffnet und konnten unsere gesamten Räume in verschiedenen Konzerten, Filmen, Musiktheater und einer Fotoausstellung darstellen.
nmz: Sie haben über das Schleswig-Holstein-Festival promoviert, waren zuletzt Intendant der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Sie sind gewissermaßen ein Festival-Spezialist. Können Sie von Ihren Festivalerfahrungen profitieren für einen Konzerthausbetrieb?
Nordmann: Erfahrungen aus dem Festivalbetrieb kann man sicherlich nicht sofort eins zu eins umsetzen. Das wäre auch falsch. Ein Abokonzert ist und bleibt eher etwas für ein Konzertpublikum, das überwiegend auch eine gewisse Vorbildung in diesem Bereich mitbringt. Aber es gibt natürlich andere Ideen: Wir machen uns beispielsweise Gedanken über spezielle Angebote für Berlin-Besucher und für ein jüngeres Publikum. Dafür kreieren wir mehrere Programminseln, anstelle eines monolithischen Saisonschwerpunkts.
nmz: Wer wird der Nachfolger von Lothar Zagrosek?
Nordmann: Egal, ob Lothar Zagrosek nun verlängert hätte oder nicht, ich arbeite unglaublich gern mit ihm zusammen. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen hat er in Berlin unglaublich schnell die zeitgenössische Musik zu etwas Gängigem gemacht. Zum anderen nenne ich seine innovativen Initiativen zu Konzertformaten und der Vermittlung des Programms. In der Vermittlung und im Junioren-Bereich hat Lothar Zagrosek Türen geöffnet. An unserem Haus finden immerhin etwa 80 Veranstaltungen im Bereich Education statt. Seitdem Lothar Zagrosek gekündigt hat, machen sich das Konzerthaus und der Kultursenat in enger Abstimmung mit dem Orchestervorstand Gedanken über einen Nachfolger.
nmz: Wir leben in der permanenten Krise: Weltwirtschaftskrise, Krise der Klassik …
Nordmann: Ich behaupte, die so genannte Krise der Klassik ist in Wahrheit ein Wandel des klassischen Konzertbetriebs, den wir mitgestalten müssen, damit das Publikum der nächsten Generation wieder ins Konzert geht. Wie war es eigentlich früher? Ein Programm konnte vier Stunden lang dauern mit Klavierkonzert, Trompetenkonzert und Gesang. Die Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten: Wie war das damals, warum ist es heute so wie es ist, und wie kommen wir auch einen nächsten Schritt weiter?
nmz: In Berlin glaubt man, das Ticken der Schuldenuhr noch lauter zu hören als anderswo. Haben auch Sie mit Kürzungen zu rechnen?
Nordmann: Kürzungen stehen nicht direkt an, das hat man ja im Doppelhaushalt jetzt gesehen. Trotzdem mussten wir zum Beispiel die so genannte Fußnote für unsere Musiker selbst stemmen – das sind immerhin 450.000 Euro, damit unser Orchester auf das gleiche Gehaltsniveau kommt wie zum Beispiel die Deutsche Oper. Wir sind angehalten, Drittmittel zu akquirieren oder eben den Kartenverkauf zu erhöhen, um dieses Defizit wieder aufzufangen, damit es nicht nachher qualitativ oder quantitativ bergab geht.
nmz: Die Krise ist bisher nicht beim Konzerthaus angekommen?
Nordmann: Im derzeitigen Geschäftsjahr noch nicht. 2010 müssen wir aber umsichtig angehen. Die Gespräche mit den Sponsoren finden jetzt im Herbst statt. Wir haben die Kaiser’s Tengelmann AG auf die nächsten drei Jahre mit einer halben Million gewinnen können, und das in der schwierigsten Zeit. Da gebührt Herrn Haub und Kaiser’s wirklich ein Riesendank. Audi ist erstmals mit einem Drei-Jahres-Vertrag dabei. Des Weiteren haben wir einen hervorragenden Unterstützerverein hier im Haus, „Zukunft Konzerthaus“, der den Kontakt zu den mittleren und kleineren Förderern pflegt und ausbaut.
nmz: In Mecklenburg-Vorpommern hatten Sie die sehr erfolgreiche Reihe „Junge Elite“. Ist so etwas auch in Berlin angedacht?
Nordmann: Eigentlich machen das alle großen Konzerthäuser. Jeder nennt sie anders, „Junge Wilde“, „Junge Elite“, „Stars und Sternchen“, et cetera. Meines Erachtens gibt es ein eigenes Publikum dafür – auch und gerade hier in Berlin.
nmz: Hat das Konzerthaus in irgendeiner Form auch Verantwortung für Berliner Künstler?
Nordmann: Die lokale Verwurzelung ist ein guter Ansatzpunkt, weil man standortspezifisch ein Publikum binden kann. Es ist ja unglaublich, welche Künstler alle in Berlin wohnen. Man könnte eigentlich fast alles machen, in allen künstlerischen Disziplinen.
nmz: Gibt es Überlegungen für eine Öffnung in den Popularbereich?
Nordmann: Ich will vor allem versuchen, nicht Einzelkonzerte auf die Beine zu stellen, sondern stimmige Reihen zu setzen und dafür auch mittel- bis langfristig das Publikum zu finden. Wir können also durchaus über Jazz oder Populäres nachdenken. Der Werner-Otto-Saal bietet alle Möglichkeiten dazu. Wenn ein Eric Clapton oder Tom Waits sagen würde, ich setz’ mich unplugged mit einer Gitarre auf die Bühne, das wäre schon fantastisch.