Berlin - Gegen den Auftritt der österreichisch-russischen Sängerin Anna Netrebko an der Berliner Staatsoper Unter den Linden haben zahlreiche Organisationen und Unterzeichnende - unter anderem aus Wissenschaft und Kultur - in einem offenen Brief Protest angekündigt. Die 51-Jährige ist an diesem Freitag in Giuseppe Verdis «Macbeth» in der Rolle der Lady Macbeth besetzt.
Sie war wegen angeblicher Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nach Beginn des Ukraine-Krieges in die Kritik geraten. Geplant sei eine Demonstration vor der Staatsoper, sollten die Auftritte Netrebkos nicht abgesagt werden, hieß es in dem am Montag veröffentlichten Schreiben an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, Kultursenator Joe Chialo (beide CDU) und Opernintendant Matthias Schulz unter dem Titel «Keine Bühne für Anna Netrebko!».
Es werde der erste Auftritt Netrebkos in Berlin seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sein. «Damit tritt eine Künstlerin in einem öffentlich finanzierten Theater in Berlin auf, die in der Vergangenheit mehrfach und explizit als Unterstützerin des diktatorischen und menschenverachtenden Regimes des derzeitigen Russlands aufgetreten ist.» Davon habe sie sich weder distanziert noch dafür um Entschuldigung gebeten.
Die Zusammenarbeit der Staatsoper «mit einer solchen Künstlerin» sei unsolidarisch und stelle einen Affront gegenüber allen Menschen dar, die sich eine eindeutige Positionierung deutscher Kulturschaffender gegen Russlands imperialen Krieg wünschten. Kunst und Kultur seien niemals unpolitisch, dafür sei Netrebko ein Beispiel.
Die Staatsoper verwies auf ihr jüngstes Statement. Es sei wichtig, differenziert zwischen vor und nach dem Kriegsausbruch zu unterscheiden, hieß es darin. Netrebko habe seitdem keine Engagements in Russland angenommen. Sie habe sowohl durch ihr Statement als auch durch ihr Handeln seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine eine klare Position eingenommen und sich distanziert, das gelte es anzuerkennen. «Ohne eine deutliche Positionierung der Künstlerin war und wäre eine weitere Zusammenarbeit für die Staatsoper Unter den Linden nicht tragbar.»
Berlins Regierungschef Wegner sieht Netrebko-Auftritt «sehr kritisch»
Berlin (dpa) - Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sieht den geplanten Auftritt der österreichisch-russischen Sängerin Anna Netrebko an der Staatsoper Unter den Linden nach eigenen Worten «sehr kritisch». Der CDU-Politiker verwies am Dienstag auf den «aufopferungsvollen Freiheitskampf» des ukrainischen Volkes gegen den russischen Angriffskrieg.
«In diesem Krieg verteidigt die Ukraine nicht nur ihre Freiheit und Demokratie, sondern auch unsere. Deshalb bedauere ich, dass eine internationale erfolgreiche Sängerin wie Anna Netrebko sich bis heute nicht klar und unmissverständlich von dem russischen Angriffskrieg und Putin distanziert hat», sagte Wegner der Deutschen Presse-Agentur.
«Doch die Freiheit von Kunst und Kultur ist in unserem Land ein hohes Gut», führte Wegner weiter aus. «Das gilt auch für alle Einrichtungen in Berlin und ihre Entscheidungen über ihr künstlerisches Programm.» Das sei ganz anders als Russland, wo die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit schon lange mit Füßen getreten werde. «Gleichwohl will ich auch aus meiner persönlichen Meinung keinen Hehl machen: Ich sehe diesen Auftritt in unserer Stadt sehr kritisch.»
«Meine ganze Solidarität und die Solidarität der ganzen Stadt gilt der Ukraine und ihren tapferen Bürgerinnen und Bürgern», sagte Wegner. «Deshalb ist es für mich eine große Ehre, am Donnerstag den Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, empfangen zu dürfen und eine Städtepartnerschaft mit der ukrainischen Hauptstadt Kiew zu schließen.»
Ukrainischer Botschafter: Netrebko trägt Mitverantwortung für Krieg
Berlin (dpa) - In der Auseinandersetzung um Auftritte der umstrittenen österreichisch-russischen Sängerin Anna Netrebko an der Staatsoper Unter den Linden hat der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, auf die Rolle der 51-Jährigen verwiesen. «Als Ex-Unterstützerin Putins und Propaganda-Mithelferin bei der Donbas-Besetzung trägt Frau Netrebko persönliche Mitverantwortung für den russischen Angriffskrieg, die sie nicht anerkennt», schrieb Makeiev zu einer Petition gegen die Auftritte.
«In der verspäteten Erklärung verurteilte sie nur den Krieg, ohne zu erwähnen, wer ihn überhaupt angefangen hat und wer ihn genozidal führt», heißt es weiter. Die Bühne der Staatsoper werde mit Netrebko aussehen wie vor dem Krieg. «Während deutsche staatliche, wirtschaftliche, akademische, regionale und praktisch die ganze zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland gestoppt wird, läuft bei der Berliner Oper «culture as usual»», kritisierte der Botschafter. Die Intendanz setze «ein Zeichen des Wegschauens».
Makeiev dankte dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Kultursenator Joe Chialo (beide CDU) für ihre Statements gegen die Auftritte. Makeiev kündigte an, am Freitag mit Chialo die Fotoausstellung «Russian War Crimes» in der Humboldt-Universität direkt gegenüber der Staatsoper zu besuchen.
Staatsoper-Intendant Schulz verteidigt Netrebko-Auftritt
Berlin (dpa) - Der Intendant der Berliner Staatsoper, Matthias Schulz, hat den Auftritt der österreichisch-russischen Star-Sopranistin Anna Netrebko im eigenen Haus erneut verteidigt. «Es ist, denke ich, auch ein sehr wichtiges Zeichen, dass Anna Netrebko auf so einer Bühne, die so klar ukrainisch positioniert ist, singt», sagte Schulz im RBB-Inforadio. Die Sängerin habe ein Statement abgegeben, in dem sie den russischen Krieg gegen die Ukraine als solchen bezeichnet habe - «das wird oft zu wenig gesehen», betonte Schulz vor dem Auftritt an diesem Freitag.
Es sei wichtig, Netrebkos Handeln vor und nach dem Krieg zu unterscheiden. «Man muss auch aufpassen, Künstler nicht als Sündenbock zu benutzen, weil man an den eigentlichen Kriegstreiber nicht dran kommt», sagte der Intendant weiter.
Der «Berliner Zeitung» sagte Schulz: «Netrebko hat eindeutig Stellung bezogen und auch entsprechend gehandelt: Sie tritt nicht mehr in Russland auf. Sie wird Teil einer künstlerisch herausragenden Aufführung von Verdis «Macbeth» sein. Wir sollten in dieser Diskussion einander gut zuhören, um den Standpunkt des anderen nachvollziehen zu können. Die Künstlerin hat jedenfalls eine faire Behandlung verdient.»