Moskau - Die Moskauer Punkband Pussy Riot steht international für ein wichtiges Kapitel politischer Aktionskunst. Frontfrau Nadeschda Tolokonnikowa spricht vor ihrem 30. Geburtstag über ihre Popularität auch in den USA, den Kampf in Russland - und von neuen Projekten.
Wo sich die Moskauer Aktionskünstlerin Nadeschda Tolokonnikowa von der Punkband Pussy Riot gerade aufhält, will sie lieber nicht sagen. Scheinbar überall lauern die russischen Behörden der kremlkritischen Aktivistin auf. Als sie im September mit ihrer 17-jährigen Schwester und einem Plakat mit der Aufschrift «Putin, geht von selbst!» das Haus verließ, fanden sich beide kurz darauf im Polizeigewahrsam wieder. «Dass ich festgenommen werde, daran habe ich mich gewöhnt», sagt sie der Deutschen Presse-Agentur vor ihrem 30. Geburtstag am Donnerstag (7. November). «Aber dieses Gefühl, ständig verfolgt und beobachtet zu werden, ist viel schlimmer.»
Der Kontakt mit Nadya Tolokno, wie sie sich in sozialen Netzwerken nennt, kommt fast konspirativ wie in einem Agentenfilm zustande. Ein Telefonat mitten in der Nacht. «Es ist erhebend, wenn ich sehe, was sich heute tut, was Pussy Riot bewegt hat - wovon wir zwar geträumt haben, aber nie glaubten, dass sich alles so entwickelt», sagt sie.
Klar ist ihr aber auch, dass die Arbeit immer auch lebensgefährlich ist. Als Pjotr Wersilow, der Vater ihrer Tochter, im vergangenen Jahr einen mutmaßlichen Giftanschlag überlebte und in der Berliner Charité behandelt wurde, sprach sie von einem Mordanschlag. «Wir kämpfen hier gegen einige der wohl einflussreichsten Menschen auf diesem Planeten. Sie werden nicht einfach von der Macht lassen», meint sie mit Blick auf den Apparat von Kremlchef Wladimir Putin. Der Kreml und die Kirche in Russland halten Tolokonnikowa für vom Teufel besessen.
Die Bewegung aus Feministinnen, die in bunten Strumpfmasken etwa gegen Korruption und autoritäre Gewalt protestieren, gilt längst international als Symbol radikaler politischer Aktionskunst. Wegen eines Videos in einer Kirche gegen Putin landete Tolokonnikowa mit ihrer Bandkollegin Maria Aljochina 2012 im Straflager. Seither machen die beiden nicht nur gegen Missstände in den Lagern Front.
In einem englischen Clip nahm sich die stets perfekt gestylte Tolokonnikowa mit den rehbraunen Augen auch den Rassismus und Sexismus unter US-Präsident Donald Trump vor. Gerade habe sie ein neues Album aufgenommen - mit harten, aber auch einigen weichen Songs, englische und russische, sagt die Musikerin. Veröffentlichung demnächst. Auch neue Musikclips in Moskau seien geplant.
«Aktuell beschäftigt uns vor allem die verbreitete häusliche Gewalt gegen Frauen in Russland - Schläge, Vergewaltigungen und Morde», sagt Tolokonnikowa, die zu den Mitbegründern des Internetportals «Mediazona» in Moskau gehört. Pussy Riot lobe dazu Preise aus für Projekte, die das Problem in die Öffentlichkeit bringen.
Dauerbrenner aber bleibe die von Menschenrechtlern beklagte zunehmende politische Repression in Russland - etwa die jüngsten Straflager-Urteile gegen friedliche Demonstranten in Moskau. «Die Strafen sind nicht nur schärfer geworden im Vergleich zu unseren damals. Sie sind vor allem inzwischen ein Massenphänomen», sagt Tolokonnikowa. Hinzu kämen oft hohe Geldstrafen, durch die Protest zu einem finanziellen Problem werde für Andersdenkende. Immer wieder sammelt Pussy Riot auch Geld, um in Not Geratenen zu helfen.
Dennoch sieht Nadya Tolokno auch Hoffnungszeichen: Teenager und junge Russinnen, die trotz allem mutig auf die Straße gingen. «Es kommen 17-Jährige, die sagen: Pussy Riot ist der Grund, weshalb ich politisch aktiv geworden bin», erzählt sie. Pussy Riot stehe heute als Dachbegriff für eine Bewegung, der sich jeder anschließen könne. Es gebe die Songs, Konzerte, Aktionskunst und Videoclips; aber eben auch Bücher und Theateraufführungen und soziale Projekte.
Trotz des Erfolgs von Pussy Riot international sieht Nadya Tolokno Russland weiter als den spannendsten Ort. Hier bekomme sie alle Energie für ihre Kunst. Ein Auftritt von Pussy Riot in der US-Erfolgsserie «House of Cards» sei zwar ein Höhepunkt gewesen. «Unschlagbar ist es aber, in Moskau auf der Pokrowka-Straße oder auf dem Zwetny Boulevard zu laufen und eine Aktion zu starten.»
Mit bald 30 muss sie langsam Abschied nehmen von den wilden Jugendjahren. «Ich weiß heute genauer, was ich will und freue mich auf neue Horizonte in der Sexualität - das ist auch noch so ein repressives System.» Sex erfülle sie heute mehr. Schon in ihrem Buch «Anleitung zur Revolution» schrieb Tolokonnikowa, dass Geschlecht für sie keine Rolle spiele. «Wer mir gefällt, ist automatisch meine Orientierung. Nicht umgekehrt.»
Ihren Geburtstag verbringt sie am liebsten mit Freunden beim Torten-Essen. «Mir hat immer gefallen, dass der Tag mit dem geschichtlichen Datum der Oktoberrevolution vom 7. November übereinstimmt.» Das stehe für Veränderung. Bei der Wahl ihrer Freunde werde sie aber immer vorsichtiger, erzählt Tolokonnikowa. Sie müsse sehr aufpassen, dass sich nicht jemand vom Inlandsgeheimdienst FSB einschleiche. Die Gefahr solcher «Ratten» im Bekanntenkreis sei groß.