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Recherchen zur Juden-Vertreibung aus Dresdner Theatern beendet

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Dresden - Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten sind aus den Dresdner Theatern vermutlich mehr als 200 Künstler und Angestellte wegen ihrer jüdischen Herkunft oder aus politischen Gründen vertrieben worden. In 49 Fällen gebe es eindeutige Belege dafür, sagte der Kurator des Ausstellungsprojektes «Verstummte Stimmen», Hannes Heer, am Freitag in Dresden.

Die Recherchen ergaben demnach auch, dass an Dresdner Theatern Dutzende Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Heer sagte, es habe sich ferner herausgestellt, dass rund ein Drittel der Künstler und Mitarbeiter an Semperoper und Staatsschauspiel am Ende «nazifiziert» gewesen sei. In Dresden gebe es viele Legenden, nun habe man eine solide Datengrundlage. Tatsächlich habe es nach dem Krieg an den Bühnen «keine Entnazifizierung» gegeben. Nach 1945 seien auch an der Semperoper zahlreiche Nazis übernommen worden. Politisches Ziel sei es damals gewesen, Dresden schnell wieder als Zentrum der Hochkultur zu beleben.

Die Ergebnisse der jüngsten Recherchen werden als gemeinsame Ausstellung in Oper und Staatsschauspiel präsentiert, die am Sonntag (15.5.) mit einem Festakt in Dresden eröffnet und bis zum 13. Juli gezeigt wird. Rekonstruiert werden damit Einzelschicksale von jüdischen oder «politisch untragbaren» Künstlern. Erinnert wird aber auch an viele bisher Namenlose aus der zweiten Reihe wie Orchestermusiker oder Bühnenarbeiter.

Kaum noch Akten bei Privattheatern
Heer sagte, von staatlicher Oper und Schauspiel seien mindestens 43 Personen vertrieben worden. Dies ergebe sich unter anderem aus Personalakten. Gescheitert sei man dagegen bei den Privattheatern. Dort konnten nach den Angaben wegen nicht mehr auffindbarer oder verbrannter Akten lediglich sechs Fälle nachgewiesen werden. Die tatsächliche Zahl dürfte aber um ein Vielfaches höher sein, hieß es.

Die meisten Vertriebenen überlebten in Deutschland, einigen gelang die Flucht ins Exil. Mindestens drei Menschen wurden nach den Angaben deportiert und ermordet.

Keine Inseln des Schönen und Guten
Der Vorsitzende des Kuratoriums «Verstummte Stimmen», Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum, sagte, es sei wichtig, dass auch jüngeren Menschen immer wieder die Geschehnisse anhand von einzelnen Schicksalen gezeigt würden. Auch dies gehöre zur Geschichte Dresdens. Opernintendantin Ulrike Hessler sagte, es sei erschreckend, wie die Nazis über die Kunst sehr früh Zugang zum Bürgertum in Dresden gefunden hätten.

Die Staatstheater seien während der Nazidiktatur «keine Inseln des Wahren, Schönen und Guten» gewesen. Den Historikern zufolge rekrutierten sich die reaktionär-antisemitischen Gruppierungen wie der Bühnenvolksbund aus dem Dresdner Bildungsbürgertum. Heer sagte, begonnen habe die Vertreibung mit der Absetzung der gesamten Leitung des Staatstheaters im Frühjahr 1933. Daran mitgewirkt hätten zunächst «keine SA-Rabauken, sondern gebildete Musiker».

«Verstummte Stimmen» war erstmals 2006 zu sehen. Nach der Aufarbeitung der Geschichte der Theater in Hamburg, Berlin, Stuttgart, Darmstadt und nun Dresden sollen im nächsten Jahr die Bayreuther Festspiele in den Blick genommen werden.
 

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