Berlin - Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) hat die Vorwürfe von Theaterintendant Claus Peymann an seiner Amtsführung zurückgewiesen. «Kein Mensch hat die Absicht, aus der Volksbühne eine Eventbude zu machen», sagte der SPD-Politiker am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. «Wir gehen in keiner Sekunde davon aus, dass die zukünftige Führung der Volksbühne nicht jemanden mit Theater als Schwerpunkt hat. Im Gegenteil: Wir glauben sogar, dass das in den letzten Jahren stark reduzierte Ensemble wieder wachsen wird.»
Unbestätigten Medienberichten zufolge plant Renner, den Direktor der Londoner Tate Gallery, Chris Dercon, zum Nachfolger des noch bis 2017 amtierenden Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf zu machen. Peymann hatte kritisiert, Renner wolle damit die einst so ruhmreiche Volksbühne zum «soundsovielten Event-Schuppen» der Stadt machen - «ein Super-GAU».
«Peymann macht den schweren Fehler, auf Gerüchte einzugehen, die gegenstandslos sind», konterte Renner. Offenbar müsse der 77-Jährige den Schmerz verarbeiten, ab 2017 nicht mehr Chef des Berliner Ensembles zu sein.
Genauere Angaben zu seinen Personalplänen machte der Staatssekretär gleichwohl nicht. «Zunächst müssen die Verträge mit den möglichen Kandidatinnen oder Kandidaten geschlossen und die Termin-Absprachen mit den Häusern, aus denen sie kommen, geklärt sein», sagte er. «Wenn wir unsere Hausaufgaben sauber gemacht haben, gehen wir raus.» Er sei optimistisch, das innerhalb von sechs Wochen schaffen zu können.
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Sechs oder sexy? Nach Peymann-Attacke Streit um Berlins Kulturpolitik
Von Nada Weigelt, dpa
Als der neue Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner nach seinem Amtsantritt via Facebook Einblick in seine Diensttoilette gab und über seine schwarz-rot-goldenen Fußball-Socken informierte, ging er noch als bunter Hund durch. Schließlich sollte der frühere Musikmanager für frischen Wind in der hauptstädtischen Kulturszene («arm, aber sexy») sorgen. Doch kein Jahr später bläst dem 50-jährigen Sonnyboy ein heftiger Sturm ins Gesicht, der auch den neuen Regierenden Bürgermeister und Kultursenator Michael Müller (beide SPD) trifft.
Theaterpatriarch Claus Peymann (77), langjähriger Intendant des Berliner Ensembles, nannte Renner in einem Brandbrief an Müller die «größte Fehlbesetzung des Jahrzehnts». Peymanns Intimfeind Frank Castorf (63), Herr der renommierten Volksbühne, warf der Berliner Kulturpolitik «Nichtprofessionalität» und «Unkenntnis» dessen vor, was Theater ist.
Harter Tobak. Mancher ist versucht, die Attacken als Rache zweier beleidigter Egomanen abzutun - immerhin müssen die beiden Urgesteine des deutschen Theaters 2017 widerwillig ihren Hut nehmen. Doch zumindest die Opposition fordert eine Grundsatzdebatte über die vielbeschworene Hauptstadtkultur. «Es wäre fatal, Peymanns Brief einfach mal wieder als Provokation abzutun. Dafür steht zu viel Wahres drin und zu viel auf dem Spiel», warnt Grünen-Kulturexpertin Sabine Bangert.
Auslöser des Streits ist vorerst nur ein Gerücht. Danach plant Renner, den Direktor der Londoner Tate Gallery, Chris Dercon, zum Nachfolger von Castorf an der Spitze der Volksbühne zu ernennen. Damit würde die «einst so ruhmreiche Volksbühne zum soundsovielten Event-Schuppen der Stadt», wetterte Peymann in seinem am Mittwoch per Boten zugestellten Brief.
Dercon, Jahrgang 1958, gilt unangefochten als brillanter Museumsmanager mit viel Sinn für neue Formen der Präsentation. Allerdings fürchten Theaterexperten, unter einem hippen Kunstkurator könne der Charakter der Volksbühne als engagiertes zeitgenössisches Ensembletheater verloren gehen. Eventformate über die Genre-Grenzen hinweg gibt es dagegen in der Stadt schon reichlich, allen voran die Berliner Festspiele mit ihrem bunten Programm aus Tanz, Theater, Kunst, Performance und Musik.
In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur wehrte sich Renner am Donnerstag gegen die Vorwürfe. «Kein Mensch hat die Absicht, aus der Volksbühne eine Eventbude zu machen», versicherte er. «Wir gehen in keiner Sekunde davon aus, dass die zukünftige Führung der Volksbühne nicht jemanden mit Theater als Schwerpunkt hat.» Auch wenn es etwas kompliziert klingt, im Klartext könnte das heißen: Dercon plus ein/e Theatermann/frau als Doppelspitze. Genaues soll es bis in sechs Wochen geben.
Doch die Kritik an Renner geht weiter, für seine knapp einjährige Amtszeit bekommt er außer aus dem Regierungslager wenig gute Noten. «Außer blumenreichen Ansagen ist bislang nichts gewesen», sagt Linken-Kultursprecher Wolfgang Brauer. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband von mehr als 200 Bundeskulturverbänden, wünscht sich «mehr kulturpolitisches Profil» im Hotspot Berlin. Und selbst die Koalition der Freien Szene, die sich über Renners Offenheit für nicht-institutionalisierte Kultur freut, wartet nach Angaben von Sprecher Christophe Knoch noch auf Taten.
Seltsam genug: Regierungschef Müller, der selbst in Personalunion den Kulturbereich verantwortet und deshalb von der Kritik ebenfalls betroffen ist, hat seinen Staatssekretär bisher im Regen stehen lassen. Er hatte den Quereinsteiger bei seinem Amtsantritt im Dezember von Vorgänger Klaus Wowereit (SPD) «geerbt». Auch am Donnerstag wollte Müller am Rande einer Jubiläumsfeier nicht zum Streit Stellung nehmen: «Herr Renner hat sich schon selbst geäußert.»