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Katherine Zeserson vom Konzert- und Veranstaltungszentrum „The Sage Gateshead“ in Nordengland gab Einblicke in die Singkampagne in England. Foto: Eva Krautter
Katherine Zeserson vom Konzert- und Veranstaltungszentrum „The Sage Gateshead“ in Nordengland gab Einblicke in die Singkampagne in England. Foto: Eva Krautter
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Rezepte und Konzepte gegen akuten Singmangel

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Zur Jahreskonferenz des Musiklands Niedersachsen in der Landesmusikakademie Wolfenbüttel
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„Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden an Bewegungsmangel, Vitaminmangel und an Singmangel“, stellte Geschäftsführer Klaus Georg Koch zum Auftakt der dritten Jahreskonferenz der Initiative „Musikland Niedersachsen“ Mitte November in der Landesmusik-akademie Wolfenbüttel fest. Das sollte dann auch das einzige Statement ex negativo während des zweitägigen Treffens bleiben – denn dass man in Niedersachsen die Phase des Lamentierens über diese allseits bekannte Diagnose hinter sich gelassen hat, beweist allein die große Resonanz auf die Entscheidung, die Tagung ausschließlich dem Thema „Singen“ zu widmen. 160 Teilnehmer aus allen Bereichen von Musikproduktion, -vermittlung und -förderung, 50 mehr als im Vorjahr, waren der Einladung des Musikland-Projektbüros gefolgt, den aktuellen Stand der Singkultur und mustergültige Beispiele aus dem In- und Ausland zu diskutieren.

Singen ist der unmittelbarste und niedrigschwelligste Zugang zur Musik und zum eigenen Musik-Machen. Grund genug, bei der Suche nach wirkungsvollen Therapieformen gegen den Singmangel solche Projekte genauer unter die Lupe zu nehmen, die den Blick über den eigenen Tellerrand wagen und mit erklärter Bereitschaft zu Austausch und Vernetzung die größten Chancen auf Nachhaltigkeit haben. Denn – so schien es als unausgesprochener Grundkonsens über der Veranstaltung zu schweben – die Lage ist zu ernst, um im etwaigen Gerangel der Institutionen um die Meinungsführerschaft oder durch Konkurrenz untereinander Gefahr zu laufen, das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren: nämlich trotz angespannter Kassenlage dem Singen wieder mehr Platz in der Lebenswirklichkeit aller Bevölkerungsgruppen zu verschaffen.

So gehen die Macher von Musikland Niedersachsen in der Vermittlung neuer Perspektiven und dem Aufruf an die größtenteils regionalen Initiativen, voneinander zu lernen und enger zusammenzuarbeiten, mit gutem Beispiel voran. Dass Musikland-Geschäftsführer Koch Konferenzen wie diese selbst in die Reihe der versammelten „Best Practice“-Beispiele stellte, war vor diesem Hintergrund nicht zu hoch gegriffen. Im Eröffnungsvortrag rief Koch zu einem „Neustart durch Singen“ auf und entließ die Teilnehmer, um sich in sechs Arbeitsgruppen mit breitem Themenspektrum und hochkarätigen Referentinnen und Referenten dafür das nötige Rüstzeug zu holen.

Durch kurzfristige Symptombehandlung ist dem Singmangel langfristig nicht beizukommen – aus dieser Erkenntnis heraus wurde dem Thema „Sozialisierung durch Singen“ ebenso viel Gewicht beigemessen wie neuen Studiengängen zum Singen mit Kindern (Osnabrück) und zu Kinderchor- und Jugendchorleitung (Hannover). Auf großes Interesse stieß der Bericht von Thomas Rietschel, Präsident der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, über das hessische Singförderprogramm „Primacanta – Jedem Kind seine Stimme“, eine in ihrem Einzugsgebiet inzwischen gut etablierte Initiative, die zur langfristigen Verankerung des Singens in Grundschulen auf Lehrerfortbildung setzt; ähnlich verfährt auch das landesweite niedersächsische Projekt „Klasse! Wir singen“. Die eigentliche Aufgabe sei, betonte auch Prof. Andreas Mohr beim Thema „Singen im Kindergarten“, die Erwachsenen nachzuschulen, damit sie mit den Kindern richtig singen können. Deutlich wurde, dass beim Thema Qualifikation der Bedarf an musikalisch ausgebildeten Pädagogen das derzeitige Angebot und auch die Ausbildungskapazitäten weit übersteigt. Somit leitet sich aus der Konferenz ein konkreter Arbeitsauftrag an die Kultur- und Bildungspolitik ab – und das sicher nicht nur in Niedersachsen.

Blickt man auf die stattliche Liste der in der Aufbauphase von Musikland Niedersachsen seit Mai 2008 verwirklichten Projekte und aufgebauten Strukturen (siehe www.musikland-niedersachsen.de), besteht Anlass zur Hoffnung, auch auf diesem Gebiet ein Stück weiterzukommen – vorausgesetzt, die bestehende Ausstattung und Infrastruktur des Projektbüros bleibt erhalten. Dass die allerorts geforderte Nachhaltigkeit vor allem mit dem politischen Willen (und daraus resultierender stabiler Förderung) zusammenhängt, machte auch ein Blick auf Großbritannien deutlich.

Katherine Zeserson stellte die wegweisenden Singprogramme an Schulen vor, die im Rahmen der britischen „Sing up! – The National Singing Campain“ vom Konzert- und Veranstaltungszentrum „The Sage Gateshead“ in Nord-england lanciert wurden. „Wir sind in der Lage, das Singen wieder zum Vorreiter für die Musikalisierung der Menschen zu machen“, so ihr Resümee. Dies könne dann gelingen, wenn nun, nach der Aufbauphase, ein funktionierendes Finanzierungsmodell gefunden werde. Soziale Absicht, musikalische Exzellenz und finanzielle Realisierbarkeit unter einen Hut zu bringen, diese anspruchsvolle Aufgabe steht den Musikvermittlern also bevor, nicht nur in Nordengland. Wenn bei der nächsten Jahreskonferenz am 23./24. Juni 2011 das brisante Thema „Musik und Finanzierung“ auf der Agenda steht, wird mangelndes Interesse erneut wohl kaum zu beklagen sein.

Eva Krautter, Neue Chorzeit

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