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Romantischer Mythos und Fernweh ade

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Die ehemalige „Kulturhauptstadt“ Hamburg verliert ihre Reize
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Seit dem Umzug von Universal und dem Deutschen Schallplattenpreis Echo nach Berlin hat Hamburg seinen Status als Musikhauptstadt verloren. Seither fragen sich nicht nur Hanseaten, was nun aus der Elbmetropole wohl werden wird. Der Hamburger Journalist und Seemannssohn Jürgen Stark zieht Bilanz…

Seit dem Umzug von Universal und dem Deutschen Schallplattenpreis Echo nach Berlin hat Hamburg seinen Status als Musikhauptstadt verloren. Seither fragen sich nicht nur Hanseaten, was nun aus der Elbmetropole wohl werden wird. Der Hamburger Journalist und Seemannssohn Jürgen Stark zieht Bilanz… Ein Jahrhundert lang erprobten Privatiers rund um die berühmte Reeperbahn eigenes Entertainment. „Schausteller“ nannte man jene Leute, die Kuriositäten zur Schau stellten und dafür Eintrittsgelder nahmen. Bereits ab 1900 zeichnete sich Hamburg als Ausgangspunkt für populäre Kultur aus, mit Knopfs Lichtspieltheater eröffnete am Spielbudenplatz das vermutlich erste Kino der Welt – in den achtziger Jahren wurde in den alten Räumen der Docks-Musikklub neu eröffnet. Es wurden damals auch Gorillas aus Übersee gezeigt, man sang, trank und tanzte in zahlreichen Bars und Cafés. Während in Berlin „Dreigroschenoper“ und Comedian Harmonists für Furore sorgten, war in Hamburg hauptsächlich die Kultur des kleinen Mannes zu finden, inspiriert auch durch den Hafen, der als „Tor zur Welt“ für romantischen Mythos und weltläufiges Fernweh sorgte. Das Kulturdrama der dreißiger Jahre beendete dann den Entertainment-Beginn in Berlin und Hamburg, die NS-Diktatur machte aus dem Land eine finstere Provinz. Mit den Nazis stürzte das „Entartete-Kunst-Deutschland“ vor allem in Berlin ab, nach Kriegsende besiegelte der Vier-Mächte-Status der Alliierten die Zerstückelung der Stadt. „Mach Schau!“, so schallte es in Hamburg den Beatles und anderen jungen Musikern entgegen, die im Rotlichtmilieu der kleinen und großen Unterweltler nach Raum für neue Musik suchten. Der Rest ist Legende. Star-Club-Macher Manfred Weißleder wurde von den Hamburger Behörden wie ein Verbrecher behandelt, immer wieder baten die einflussreichen Elbvorortler die Hamburger Politiker um Schließung des Star Clubs, da sich nachts die jungen Teenagerinnen aus den Villenfenstern abseilten um heimlich an den wilden Konzerten mit den noch wilderen jungen Engländern und Deutschen teilzunehmen. Wenn deren Väter dort mit hochgeschlagenem Mantelkragen auf Brautschau für eine Nacht waren, war das natürlich etwas anderes, vor allem: heimliches. Weißleder kostete der Krieg mit den Behörden schließlich die Gesundheit, einer der legendärsten Musikklubs der Welt konnte sich nicht dauerhaft bei hoher Brandung über Wasser halten. Die spießige hanseatische Pfeffersack-Aristokratie blieb diesem Ansatz bis heute treu. Im vom Establishment ungeliebten Underground formierte sich auch nach der Star-Club-Ära stets wieder unbürgerliches Entertainment, eine vitale Subkultur gab über Jahre dem Land stets frische Impulse.

Die Clubszene der Stadt ebnete vielen Künstlern den Weg zum Weltruhm, das Onkel Pö im Stadtteil Eppendorf war die Rampe für internationale Weltkarrieren wie die von Helen Schneider und Al Jarreau. Die „Hamburger Szene“ um Udo Lindenberg schaffte den bundesweiten Durchbruch als Station und Motor eigenständiger Rockmusik und einer dabei einst noch heftig umstrittenen Deutschsprachigkeit. Die „Hamburger Schule“ mit Bands wie Tocotronic wies mit einem Diskurs-Rock zuletzt noch auf die innovative Kraft der Szene hin, die auch immer im Kontext zur Medienhochburg gesehen werden konnte. Die Prinz-Kette startete hier mit dem Tango-Vorläufer und auch Tempo, das postmoderne Zentralblatt des achtziger Jahre Zeitgeistes, wurde in Hamburg gemacht. Der Popkurs an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater begann hier bereits vor zwanzig Jahren „Coaching“ und „Professionalisierung“ zu buchstabieren als es andernorts noch lediglich „Nachwuchswettbewerb“ hieß. Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts war Hamburg Musikhauptstadt, denn die Musikindustrie profitierte vom vitalen Kulturleben der Metropole. Hier schaffte der Deutsche Schallplattenpreis ECHO seinen Durchbruch, hier sitzen (noch, nächstes Jahr gehen auch sie an die Spree) alle Branchenverbände, jede zweite LP/CD des Landes kam von Alster und Elbe und lange vor der Love Parade wurde auf St. Pauli mit dem „Tanz in die Freiheit“ der erste deutsche Musikkarneval erfunden. Doch das ist nun alles reif fürs Museum, die Geschichte wurde gemacht, der Buchdeckel kann geschlossen werden. Verzweifelt versuchten in den letzten Jahren Kulturschaffende und Musikfirmen gegen den Trend zu laufen, Projektideen gab es viele, vor allem St. Pauli, die „geile Meile“ (Udo Lindenberg), wollte man revitalisieren und daraus einen musikalisch inspirierten Entertainment-Knotenpunkt machen.

Alles für die Katz, fast alles im Eimer, Hamburgs Weichensteller im Senat verhinderten echte und wirklich umfassende Hilfe für den Humus. Die dümmsten Politiker des Landes regierten über Jahrzehnte feist und technokratisch an zentralen Bedürfnissen der Metropole vorbei. Statt auf das vor allem auch touristische Zugpferd St. Pauli zu setzen, jenen unterhaltsamen und legendären Rummelplatz samt weltbekanntem Ruf, hatte man bereits in den sechziger Jahren Pläne vorgelegt, die das gesamte Viertel zum Abriss freigeben wollten um dort eine „Büro-City Ost“ zu bauen – was Springers „Hamburger Abendblatt“ in Titelstories laut bejubelte. Da sich aber zu der Zeit auch noch genügend Hans-Albers-Nostalgie bei lokalen und einflussreichen Kaufleuten hielt, entging das Viertel diesem terroristischen Planieranschlag. Ähnlich verlief es auch mit der ortsansässigen Musikindustrie und deren Szene, die aus Sicht des etablierten Hansemuffels nicht weniger anrüchig als das Rotlichtviertel wirkte. Die staatstragende E-Kultur glänzte mit Prachtbauten und Prachtgeldern für Opernhäuser und Theater, Krümel vom Kuchen für die Kultur der Kleinen, der Jugend, der Unkonventionellen gab es stets in minimalster Dosierung. Als Leistungsträger war die Musikwirtschaft den Hanseaten unbekannt: Als etwa Konsul Schnabel unlängst eine Übersicht der wichtigsten Superlative der Stadt herausbrachte, war darin noch der kleinste Kleingartenverband enthalten – nicht aber die ortsansässige, international vernetzte Musikindustrie. Ignoranz olé: Nicht einmal 20.000 Mark konnte die Wirtschaftsbehörde 2001 noch auftreiben, um ein Konzept für den „Musikstandort St. Pauli“ und ein dort geplantes „Musikzentrum“ realisieren zu lassen.

Den Crash der IT-Branche begleitete die Stadt aber freudig mit Steuermillionen; in der Böckmannstraße soll ebenfalls mit Steuergeldern die größte Moschee des Landes für die seit dem 11. September 2001 berüchtigte islamische Muslimszene des Nordens gebaut werden (ein fragwürdiges Politikum der ganz besonderen Art!) – aber diverse Musikklubs mussten schließen, weil sie die ständig steigenden Betriebskosten nicht mehr erwirtschaften konnten. St. Pauli wirkt auf den Betrachter heute bei Tag derart heruntergekommen, dass nun der Totalabriss vielen fast schon als Chance erscheint, zumal die EU aus Sanierungstöpfen hier demnächst ein Fass aufmachen will. Doch Sanierung wird Hamburg nicht mehr helfen, wie die ultraschicke Entwicklung am Hafenrand bereits deutlich macht. Wo einst Schiffe aus aller Welt anlegten und Güter verfrachtet wurden, dominiert hier zunehmend das neue deutsche Einheitsdesign aus Stahl und Glas, welches mehr Ähnlichkeiten mit dem Berliner Sony-Center als mit der Kulisse aus dem legendären St. Pauli-Streifen „Große Freiheit Nr. 7“ aufweist. Die zahlreichen Musicals und „Dungeon“-Programme machen jetzt Schau wie bei McDonald‘s, mit Geschmacksstoffen und berechneter Wirkung – es wird alles glatt und seelenlos und beliebig und austauschbar. In Berlin ist Kultur eine Option und Hoffnung, ob die Rechnung aufgeht, wird sich zeigen. Für musikkulturellen Boom und das Entstehen relevanter Künstlerviertel benötigt man echten Wildwuchs im unberechenbaren und unüberschaubaren Humus. Das war St. Pauli, aber das haben die Stadtmacher zerstört und verkommen lassen – und genau davon haben wir in Deutschland generell herzlich wenig.

Wenn man bei Paris an das Quartier Latin und den Montmartre denkt, bei London an Soho und bei New York an die Bronx, dann sollte klar werden, dass Künstler keine Reihenhauskolonien und Schlafstädte benötigen sondern wilde Urbanität. Wenn nun Hamburg seine Fährschifffahrt nach England beziehungsweise Harwich an Cuxhaven abtritt und in diesen Tagen ernsthaft über das Ende des legendären Sonntags-Fischmarktes in der Lokalpresse diskutiert wird, weil man ja für die neuen Blaumann-Anzüge der Polizei sparen müsse, dann wird erkennbar, dass diese Stadt das bekam, was sie verdient: einen peinlichen Schill-Senat, dessen Provinzialität nicht mehr zu überbieten ist. Auch Hamburgs Kultursenatorin Dana Horakova hat seit Amtsantritt keine Erklärung über den Zusammenhang von Kultur und Milieu vor Ort zustande gebracht. Wahrscheinlich wartet sie gespannt auf den Tag, an dem sie den endlich antiseptisch-cleanen „Freizeitpark St. Pauli“ eröffnen kann, ohne Sex-Etablissements und Live-Musik, mit kleinen toten Gedenktafeln für die Beatles, die Rattles, Hans Albers, das Salambo, die berühmte Hure Domenica – und ganz vielen tollen Supermärkten.

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