Berlin - Claudia Roth hat sich viel vorgenommen. Die Kulturstaatsministerin sieht Kunst und Kultur auch durch die anhaltende Pandemie bedroht. Dafür will Roth «mit ausgestreckter Hand» streiten - auch gegen Hass und Hetze.
Mit der geplanten Verankerung von Kultur als Staatsziel in der Verfassung sieht Kulturstaatsministerin Claudia Roth auch eine Verpflichtung für Bund, Länder und Gemeinden. «Kultur als Staatsziel im Grundgesetz festzuschreiben, sollte das Interesse aller demokratischen Parteien im Bundestag sein», sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit Blick auf notwendige Stimmen auch aus der Opposition.
«Aber damit verpflichten wir uns dann natürlich zu einer besonderen Förderung der Kultur, auch finanziell.» Roth warnte vor Einsparungen in diesem Bereich, wie sie in einigen Kommunen bereits vorgenommen wurden. «Wir haben durch die Corona-Pandemie viel höhere Belastungen und es kommen weniger Steuern rein. Wo wird gestrichen?» Da sei «die stärkste Lobby überhaupt» für Kunst und Kultur notwendig.
«Wir dürfen in den Kommunen nicht die Förderung der Kultur gegen soziale Verpflichtungen ausspielen. Da wird eine Konfrontation aufgemacht, die absolut falsch ist. Zum Leben, zur Bildung gehören Kunst und Kultur.» Sie kündigte an, «mit ausgestreckter Hand» die Bundesländer zu besuchen. «Nicht als Besserwisserin, sondern als Lernende, die sich kooperativ zeigt.»
Mit Blick auf Pandemie und Folgen will Roth weiter unterstützen. «Wir brauchen die Absicherung während einer Krise, wir brauchen die Fortsetzung von guten Programmen. Wir wollen die Soloselbstständigen stärken, um die soziale Lage jetzt in der Notsituation, aber dann auch dauerhaft zu verbessern.»
Greifen sollen die Hilfen auch jenseits etablierter Einrichtungen. «Wir brauchen eine kulturelle Infrastruktur und das Bewusstsein, dass das jetzt nicht wegbricht.» Das mache ihr wirklich Sorgen. «Die freie Szene gehört genauso dazu wie die sogenannten Etablierten. Wenn die kulturelle Infrastruktur der freien Szene wegbricht, dann verlieren wir alle.» Es gebe kein oben und unten, «sondern das ist auf einer Ebene der kulturellen Vielfalt».
Vor der geplanten Übertragung des Eigentums der als koloniales Raubgut geltenden Benin-Bronzen will Roth alle deutschen Museen mit solchen Objekten an einen Tisch bringen. Dazu habe sie über die bei der Kulturstiftung der Länder angesiedelte Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten für die zweite Januarwoche zu einer gemeinsamen Runde eingeladen.
Etwa 1100 der kunstvollen Bronzen aus dem Palast des damaligen Königreichs Benin, das heute zu Nigeria gehört, sind in rund 20 deutschen Museen zu finden. Die Objekte stammen größtenteils aus den britischen Plünderungen des Jahres 1897. Ziel der Bundesregierung sind auch substanzielle Rückgaben im kommenden Jahr. Vor allem kleinere Museen waren bisher nicht an den Gesprächen beteiligt.
Über die umfangreichsten Sammlungen verfügen das Linden-Museum in Stuttgart, das Museum am Rothenbaum (Hamburg), das Rautenstrauch-Joest-Museum (Köln), das Völkerkundemuseum Dresden/Leipzig sowie das Ethnologische Museum Berlin. Allein das Berliner Museum hat im größten Bestand rund 500 historische Objekte aus dem Königreich Benin, darunter etwa 400 Bronzen. Diese fünf Häuser sind bisher an der geplanten Eigentumsübertragung beteiligt. Mit den Partnern in Nigeria wird aktuell etwa besprochen, welche und wieviele Objekte nicht nur übertragen, sondern auch restituiert werden und was in Deutschland bleiben kann - dann als Leihgabe.
«Es gibt einen weißen Fleck in unserer Erinnerungskultur. Das sind die Themen Kolonialismus und Dekolonialisierung», sagte Roth. «Wir brauchen die Dekolonialisierung unseres Denkens, unserer Sprache, eine Sensibilisierung mit Orten, wo Erinnerungskultur auch in diesem Bereich überhaupt erst mal beginnt. Es gibt bisher keine Räume dafür, sich auseinanderzusetzen mit den Menschen, deren Wurzeln in den Regionen sind dieser Welt, wo auch der deutsche Kolonialismus viele Wunden geschlagen hat, die bis heute offen sind.»
Für Roth gehört dazu auch die Geschichte von Eingewanderten. «Es kommt nicht nur darauf an, wie wir unsere deutsche Geschichte in der Einwanderungsgesellschaft erlebbar machen, sondern auch umgekehrt: Was erweitert sich eigentlich bei uns?» Dazu gehöre koloniale Vergangenheit. «Erinnerung muss Heimat schenken», sagte Roth.
Für die oberste Kulturverantwortliche des Bundes geht es dabei auch um Rückgaben von Kulturgut. «Das Zurückkommen hat auch etwas mit der Heilung von Wunden zu tun. Das muss in unserer Gesellschaft mehr erklärt werden, weil es ein anderer kultureller Kontext ist. Dann kann das auch verstanden werden», sagte Roth. «Viele Menschen haben eigene Verlusterfahrungen in der Familie. Es hat einen heilenden Effekt, wenn Kulturgüter oder Objekte zurückkommen, die geraubt worden sind. Deswegen ist es so wichtig, dass wir da weitermachen bei der Rückgabe von Raubkunst.»
Auch Umwelteinflüsse von Kultur will Roth künftig stärken in den Fokus nehmen. «Bei der Klimapolitik in der Kultur muss noch mehr passieren. Da wollen wir neue Anregungen geben, vernetzen, Best-Practice-Tipps geben, anpassen, helfen und unterstützen», sagte sie. «Wir wollen eine Green Culture für die große wirtschaftliche Bedeutung dieses ganzen Bereichs.»
In der Koalition von SPD, Grünen und FDP sieht Roth eine gute Basis für ihre Arbeit. «Im Koalitionsvertrag sind unsere politischen Schwerpunkte sehr breit abgebildet. Wir sind keine Regierung des kleinsten gemeinsamen Nenners.» Es gehe um einen intensiven Dialog mit der demokratischen Gesellschaft des Landes. «Ich möchte dabei parteiisch sein für die Bedeutung von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft.»
Roth sieht sich dabei in einer authentischen Rolle. «Bei mir schließt sich ein Kreis, weil ich aus dem Theater und aus der Musik komme, aus einem künstlerischen Bereich, der immer sehr stark politisch motiviert war. Mein Herz schlägt für Kunst und Kultur in der Demokratie.» Freiheit der Kultur sei auch ein Gradmesser für die Stärke einer Demokratie. «Wer für die Demokratie eintritt, muss für die Freiheit von Kunst, Kultur, Wissenschaft, Medien eintreten.»
Als langjährige Führungsfigur der Grünen ist Roth immer wieder auch heftigen Angriffen ausgesetzt. Das schreckt sie nicht ab. «Ich werde mich jetzt nicht ändern und glatt gespült allen nach dem Mund reden.» Sie werde weiterhin sagen, was sie denke, und «Licht ins Dunkel und frischen Wind» bringen. «Ich fange nicht an, nicht mehr ich zu sein, nur weil andere sofort wieder angefangen haben mit diesem Hass und dieser Hetze. Die Grüne Claudia Roth ist wahrscheinlich das deutlichste Feindbild, das die Maskulinisten in unserem Land mit starken Frauen haben.» Sie möchte sich «streiten, Räume haben, die Menschen und unterschiedliche Ebenen zusammenbringen. Ich möchte einen ganz aktiven, streitbaren Dialog um den richtigen Weg zu einem gemeinsamen Ziel.»