Wird sie fotografiert, betont sie sogleich, dass es schade um den Film sei. Macht man ein Interview, vergisst sie nicht darauf hinzuweisen, dass man das Band gleich wieder löschen sollte. Ähnlich ist es nach der Aufführung eines ihrer Stücke. Nur zögernd, nach vielen Aufforderungen durch die Interpreten, nähert sie sich dem Podium; mit unverwechselbarer Geste der Hände, die einem Schulungsbuch für angehende Liftboys entnommen sein könnte, lenkt sie den Applaus von sich auf die Musiker zurück. Doch nichts davon wirkt bei Adriana Hölszky aufgesetzt, als Attitüde. Sie ist so – und mit der gleichen Radikalität, mit der sie sich selbst zurücknimmt, äußert sie sich in ihren Kompositionen.
Längst sind die Weingartener Tage für Neue Musik zum Inbegriff für spannende Auseinandersetzung mit zeitgenössischen musikalischen Ansätzen geworden. Die kleine Stadt Weingarten nahe dem Bodensee diente nun schon zum 13. Mal als Begegnungsstätte, auf der man sich über drei Tage mit einem Vortrag, einem Workshop und Konzerten ausschließlich einem Komponisten widmet. Diese Konsequenz macht Weingarten zur gefragten Adresse im zeitgenössischen Musikleben. Mut der Auseinandersetzung paart sich mit Privatheit und Intensität der Nähe, es ist eine glückliche Mischung. Viele Impulse gingen von hier aus und mit berechtigtem Stolz blickt man auf Gäste wie John Cage, Karlheinz Stockhausen, Dieter Schnebel, Helmut Lachenmann, Mauricio Kagel und andere zurück. Diese Jahr stand die rumäniendeutsche Komponistin Adriana Hölszky zur Debatte – sie ist nicht nur durch ihre Opern „Bremer Freiheit" oder „Die Wände" ein Begriff. Wird sie fotografiert, betont sie sogleich, dass es schade um den Film sei. Macht man ein Interview, vergisst sie nicht darauf hinzuweisen, dass man das Band gleich wieder löschen sollte. Ähnlich ist es nach der Aufführung eines ihrer Stücke. Nur zögernd, nach vielen Aufforderungen durch die Interpreten, nähert sie sich dem Podium; mit unverwechselbarer Geste der Hände, die einem Schulungsbuch für angehende Liftboys entnommen sein könnte, lenkt sie den Applaus von sich auf die Musiker zurück. Doch nichts davon wirkt bei Adriana Hölszky aufgesetzt, als Attitüde. Sie ist so – und mit der gleichen Radikalität, mit der sie sich selbst zurücknimmt, äußert sie sich in ihren Kompositionen. Die Konzerte wurden mit Hölszkys Musiktheaterversuch „Tragödia. Der unsichtbare Raum" eröffnet und sprengten mit diesem Stück für 18 Instrumentalisten, Live-Elektronik und Zuspielband fast den Rahmen der Weingartener Tage für Neue Musik (vortrefflich die MusikFabrik NRW unter Johannes Debus). Als Versuch muss man diese Komposition deshalb bezeichnen, weil Hölszky hier die immer gärende Frage nach der musiktheatralen Priorität, also nach Musik oder Sprache, auf kühne Art beantwortet. Denn agierende Personen, gar Text oder Handlung, fehlen ganz. Zwar gibt oder besser gab es einen Text von Thomas Körner, der aber dient dem Stück nur als verschwiegene Folie im Hintergrund. Er ist für die musikalischen Proportionen zuständig, steckt dramatische Konfrontationen ab. Als Resultat blieb aber nur die Musik und gleichsam ihr unsichtbarer theatraler Raum. Bei der Bonner Uraufführung vor zwei Jahren hatte man sich mit einem Bühnenbild beholfen: ein Zimmer, dessen Interieur darauf hinwies, dass etwas Bedrohliches, etwas Schlimmes passiert sein musste. In Weingarten nun verzichtete man ganz auf derartige visuelle Einstimmungen oder Vorprägungen. Die Musik braucht sie auch gar nicht. Disparate Ereignisse laufen ab, Wirkungen ohne klar fixierbare Ursachen und klamme Bedrohungen, die ins Leere stoßen. Die Klänge werden leibhaftig, ihre Farben vollziehen einen wirbelnden Tanz. Das Terrain eines Dramas wird abgesteckt und jede Klanggeste treibt das Geschehen weiter ins Unabsehbare. Musiktheatrale Elemente, in deren Reservoir Hölszky kraftvoll greift, stoßen wild aufeinander. Unruhe, Angst, Tappen im Dunklen, banges Orten und gleichzeitiger Verlust der Orientierung greifen wie ein unüberblickbares Räderwerk ineinander. Bald gibt der Hörer auf, sich ein imaginäres Handlungsgefüge, von dem allenfalls Fetzen wahrnehmbar sind, zu basteln. Dann beginnt man nur noch nervös zu lauschen, was da kommt. Das aber ist eine ideale Art, Musik zu vernehmen. Denn jetzt kommt eine zweite Schicht der Musik Hölszkys zum Tragen: Sie sprüht vor Fantasie, bringt ein Übermaß an fein und genau ausgehörten Klängen, sie ist oft geradezu süffig zu hören. Diese Unruhe durchzieht fast alle Arbeiten von Adriana Hölszky. Sie gehört zu ihrem Wesen, dazu, wie sie das Dasein in seiner beständigen Gefährdung sieht. Befragt über die Sehnsucht nach Ruhe, die in unserer gegenwärtigen Welt immer dominanter wird, antwortet sie lapidar: „Ruhe an sich, die gibt es gar nicht. Wirkliche Ruhe entsteht nur dort, wo die vielen erregten Ereignisse sich auf ein Gleichgewicht untereinander zubewegen." Auf der Suche nach Anregungen ist Hölszky ungemein findig – auch dies ein Ergebnis permanenter innerer Unruhe. So kam ein Violin/Klavier/Synthesizer-Stück mit dem Titel „spin 2" zur Uraufführung, das von Drehrichtungen in Wasserstoffmolekülen inspiriert wurde. Resultat war ein teuflisch heikles Virtuosenstück in sich verschlungener Figuren, die fast ins Delirium trieben. Solche Delirien aber sind Nährboden der Kreativität Hölszkys. Hierin wirbelte auch das Abschlussstück „Message", ebenfalls mit musiktheatralen Implikationen. Es basiert auf Ionescos Text „Die Stühle" und baut eine fragile Klangwelt aus Glas und Wasser, in der ein altersquirliges Ehepaar nur noch eine Hoffnung kennt: die nach der Botschaft eines Menschenretters. Er kommt unter gellendem Jubel der Alten – und hat nichts zu sagen. Dieses Nichts aber, in Konfrontation zur Hyperaktivität der vo-rausgegangen Wort- und Klanghülsen (souverän das Ensemble „EXVOCO") ging existenziell unter die Haut.Hauptrubrik
Ruhe im Verhetzten
Untertitel
Adriana Hölszky in Weingarten
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