Dresden - Opernsänger Georg Zeppenfeld hält nichts davon, wenn Regisseure ein Werk völlig verfremden. «Das Publikum ist froh und dankbar, wenn es ein Stück wiedererkennt. Dann ist es auch sehr liberal, was die Inszenierung anbelangt», sagt der international gefeierte Bass. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht er auch über das Verhältnis von Handwerk und Glück und das Geheimnis einer richtigen Bühnenpräsenz.
Frage: Sie wollten Musiklehrer werden und sind heute ein Opernstar, auch wenn Ihnen der Begriff nicht gefällt. Wie sehen Sie sich selbst?
Antwort: Ich bin ein ganz normaler Mensch. Ich wundere mich immer ein bisschen über den Starkult, der sich um Sänger rankt und was für Blüten er treibt. Ich hatte die Absicht, Lehrer zu werden und wollte ursprünglich gar nicht auf die Bühne. Das ergab sich eher nebenbei. Jetzt bin gern da, wo ich bin und habe den Wunsch, zusammen mit interessanten Leuten meine Arbeit gut zu machen. Mein Privileg ist, das an besonders schönen Orten tun zu können. Klar gibt es Leute, die so sehr eine Marke sind, dass sie den Starkult vielleicht brauchen. Ich gehöre nicht dazu.
Frage: Sie sind mit 51 Jahren nun in der Mitte des Lebens angelangt. Wie fällt der Rückblick aus?
Antwort: Ich bin durch eine Verkettung glücklicher Umstände dahin geraten, wo ich jetzt bin. Es ist in meiner bisherigen Laufbahn Vieles gut gelaufen. Natürlich habe ich hart dafür gearbeitet, aber das allein reicht nicht. Es gibt sehr viele gute Sänger, denen vielleicht das Quäntchen Glück gefehlt hat, weil sie im entscheidenden Moment nicht die richtigen Leute getroffen habe. Bei mir war viel Glück im Spiel.
Frage: Jetzt stapeln Sie aber etwas tief. Wieviel Prozent Handwerk waren bei Ihrer Karriere im Spiel, wieviel Prozent Glück?
Antwort: Wenn man sich verschiedene Karrieren anschaut, ist das ganz unterschiedlich. Man muss Gelegenheiten bekommen, sich zu zeigen und dann imstande sein, dem Druck standzuhalten und sich in diesem Moment zu beweisen. Das Verhältnis zwischen Handwerk, Talent und Glück ist extrem unterschiedlich verteilt. Es gibt Leute, die sehr talentiert sind, aber im Grunde nicht wissen, was sie tun und trotzdem einen Riesenerfolg haben. Bei mir dominiert eher das Handwerk. Ich sehe mich als jemanden, der auch durch glückliche Umstände eine gute Ausbildung genossen hat. Das hat mich relativ weit gebracht.
Frage: Ihnen wird eine große Konstanz auf hohem Niveau und eine sehr gute Bühnenpräsenz nachgesagt. Was ist Ihr Geheimnis?
Antwort: Das Geheimnis von Bühnenpräsenz ist nicht die große Geste, sondern das, was sich bei einem selbst im Kopf abspielt. Man muss Ausdauer haben und auch Vergnügen daran finden, auf der Bühne in jeder Sekunde da zu sein, genau zu wissen, was gerade geschieht, und eine Haltung zu zeigen. Wer das schafft, hat mit mangelnder Bühnenpräsenz kein Problem. Dann muss man nicht herumzappeln, um gesehen zu werden. Es reicht völlig aus, im Geschehen zu bleiben - aber das in jeder Sekunde.
Frage: Manche Regisseure weichen stark vom Werk ab. Ist es ein Problem, eine Szene anders zu spielen als vom Komponisten gemeint?
Antwort: Das ist eindeutig ein Problem. Ich hatte wiederholt damit zu tun. Aber auch damit lernt man umzugehen. Man braucht für sich in einer Opernpartie einen roten Faden. Wenn ein Sänger in einer Situation etwas Befremdliches tun muss, gilt es trotzdem den roten Faden zu behalten. Dann kommt man über solche Hürden hinweg. Außerdem hat man ja auch Loyalitäten gegenüber seinem Arbeitgeber. Dann stellt man sich in den Dienst einer Sache, von der man nicht überzeugt ist. Das kommt hin und wieder vor, aber - Gott sei Dank - sehr selten.
Frage: Sind Sie in solchen Situationen ein streitbarer Partner eines Regisseurs?
Antwort: Ich glaube schon. Ich muss das Gefühl haben, dass es dem Regisseur darum geht, ein Stück zu erzählen. Das Publikum ist froh und dankbar, wenn es ein Stück wiedererkennt. Dann ist es auch sehr liberal, was die Inszenierung anbelangt. Die Oper kann auf dem Mond spielen oder im 18. Jahrhundert mit Perücke, das ist den Zuschauern gar nicht so wichtig. Aber sie wollen ein Stück erzählt bekommen. Es gibt Regisseure, die vielleicht vom herkömmlichen Betrieb übersättigt sind und das Neue suchen. Sie wollen etwas für sich Interessantes entwickeln, verlieren dabei aber die Zuschauer aus dem Auge.
Frage: Haben Sie das schon selbst erlebt?
Antwort: Ich hatte neulich eine Produktion, das sagte der Regisseur ganz am Anfang: «Wir müssen nicht die Geschichte erzählen, das ist banal, das können wir voraussetzen.» Ich halte eine solche Herangehensweise für falsch. Wir spielen nicht für eine kleine Gruppe von Leuten aus dem Elfenbeinturm, sondern für ein breites Publikum. Es kann mir keiner erzählen, dass man heute Opernstoffe nicht mehr auf die Bühne bringen kann, ohne etwas an den Haaren herbeizuziehen.
Frage: Verändert sich die Sicht auf eine Partie mit dem Alter?
Antwort: Es gibt eher neue Vorlieben. Das bezieht sich vor allem auf die musikalische Seite. Mich reizt Vieles an spätromantischer Musik, wovor ich früher etwas Scheu hatte. Bei stark tonal gebundener Musik denke ich jetzt manchmal: Naja, das kennen wir. Die Ausnahme ist Mozart, der bleibt faszinierend. Es gibt viele Stücke, die man über Jahrzehnte spielen kann, ohne dass sie einem zum Hals raushängen. Ich hoffe, irgendwann einen Zugang zu Richard Strauss zu bekommen. Bislang habe ich den Draht zu ihm noch nicht gefunden.
ZUR PERSON: Georg Zeppenfeld (51) gilt international als einer der führenden Sänger seines Stimmfaches Bass. Er ist regelmäßig zu Gast bei den Bayreuther und Salzburger Festspielen sowie den Opernhäusern von Mailand, New York, London, Dresden oder München.