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Steht eine Fusion der beiden SWR-Sinfonieorchester bevor?
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In der letzten Ausgabe der neuen musikzeitung mussten wir noch spekulative Gedanken formulieren, obwohl wir schon genauere Informationen erhalten hatten: „Das seltsam bedrückte Schweigen der Klangkörper“ – so hieß die Überschrift zur aktuellen Situation der Rundfunksinfonieorchester im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Geheimniskrämerei hatte auch einen Grund: Informanten, die mit der Medienöffentlichkeit Kontakt aufnehmen, sind allemal von Abmahnungen bedroht. Soweit sind wir also schon. Das weitere wurde dann schnell offiziell bekannt.

Der Südwestrundfunk (SWR) will sparen und hat dafür auch seine beiden Sinfonieorchester in Baden-Baden/Freiburg und in Stuttgart in die Planungen einbezogen. Eine Unternehmensberatung hat alles durchgerechnet – das kennt man schon: Von der Erstellung von „Kunst“ keine Ahnung, dafür von Planstellen, Einschaltquoten, den Kosten für eine Sendeminute, Alterspyramiden und so fort. Das Ergebnis als Vorschlag: Reduzierung der Mitgliederzahl (Stuttgart 102, Baden-Baden/Freiburg 98) auf circa 70 bis 80 pro Orchester (was zwei mittlere, bestenfalls mittelmäßige Formationen ergeben würde) oder, was SWR-Intendant Peter Boudgoust angeblich bevorzugt, die Fusion der beiden Orchester inklusive Abschmelzungsprozess (bis etwa 2020) auf das Format eines großen Orchesters mit etwas 110/115 Mitgliedern. Dass dabei beide betroffenen Orchester ihre prägnante Individualität einbüßen würden, wird anscheinend achselzuckend zur Kenntnis genommen. Na und? Geradezu zynisch erscheint in diesem Zusammenhang der Versuch, die Rundfunksinfonieorchester in einer eher fragwürdigen Bestenliste der Zeitschrift „Grammophone“ abzuqualifizieren. Unter den ersten Zehn taucht gerade einmal das Bayerische Rundfunksinfonieorchester auf, was im Fall des SWR den Verantwortlichen offensichtlich genügt, die eigenen Klangkörper herablassend als wohl nicht so bedeutend einzustufen. Die dahinterstehende Absicht dürfte klar sein: Man möchte speziell wohl den Rundfunkräten suggerieren, dass nur ein Großorchester geeignet wäre,  größeres Ansehen zu gewinnen. 

In diesem Zusammenhang sei einmal mehr festgestellt, dass es das beste Orchester der Welt nicht gibt. Auch die Spitzenensembles der Berliner oder Wiener Philharmoniker sowie einige der Big Five Amerikas haben Schwächen, besonders, wenn es darum geht, komplexe Partituren der Moderne zu realisieren. Die Messiaen-Einspielungen des SWR-Orchesters Freiburg/Baden-Baden unter Sylvain Cambreling stellen, nur als ein Beispiel, die absolute Spitze vor allen anderen Interpretationen dar. 

Eine etwas seltsame Rolle in dem wirren Quidproquo spielt auch der noch amtierende SWR-Hörfunkdirektor Bernhard Hermann. Kurz vor seiner Pensionierung nimmt er noch die unangenehme Last auf sich, die geplanten Veränderungen allen Beteiligten mitzuteilen, anstatt dieses seinem Nachfolger aus der Popbranche zu überlassen. Tapfer sein, heißt wohl die Devise. Dass Hermann die öffentliche Diskussion nicht gefällt, versteht man: Empfindlichkeit ist das Charakteristikum der Mimosen. Darauf Rücksicht zu nehmen ist fehl am Platz: Es geht um zwei Orchester-Individualitäten, die den Anspruch erheben dürfen, ernsthaft in die Diskussion eingebunden und nicht von einer Unternehmensberatung beurteilt zu werden. Speziell das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg ist unter seinen Chefdirigenten von Hans Rosbaud bis zu Sylvain Cambreling zu einem „Kunstwert“ an sich avanciert, zum Nutzen der Musik, der aktuellen vor allem, als auch des hauseigenen Senders, dessen weltweiten Ruhm sie verbreitet. Hat denn niemand mehr ein Gefühl für die identitätsstiftende

Kraft, die die Rundfunksinfonieorchester ihren Funkhäusern erspielen? Je nach Temperament: Es ist zum wütend werden oder zum Verzweifeln.

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