Zum Jahresbeginn hat Christian Fausch, Geschäftsführer der Jungen Deutschen Philharmonie, zusätzlich dieselbe Position beim Ensemble Modern übernommen. Hans-Jürgen Linke sprach mit dem Musikmanager über Flexibilität, doppelte Belastungen und doppelte Realitäten.
neue musikzeitung: Ihre beiden Klangkörper residieren in derselben Frankfurter Immobilie. Wenn die Geschäftsführungen zusammengelegt werden, um welche Art von Synergie-Effekten geht es da?
Christian Fausch: Zusammengelegt wird nichts. Ensemble Modern und Junge Deutsche Philharmonie bleiben komplett getrennte Institutionen mit unterschiedlicher Ausrichtung: Das Ensemble Modern bleibt das hoch spezialisierte, auf die Neue Musik ausgerichtete Ensemble, die Junge Deutsche Philharmonie der große sinfonische Klangkörper mit einem Fokus auf der Ausbildungssituation. Es gibt also keine Konkurrenzsituation, gleichwohl aber im Bereich der Veranstalterkontakte, der Netzwerke oder der Repräsentation Synergieeffekte für mich als Geschäftsführer beider Institutionen.
nmz: Sie kennen aus Ihrem beruflichen Werdegang sowohl den großen sinfonischen als auch den kleineren zeitgenössischen Musikmarkt. Wie unterschiedlich sind die beiden?
Fausch: Ehrlich gesagt ist es ja so, dass diese neue Situation die beiden Herzen, die in meiner Brust schlagen, sehr schön synchronisiert. Aber die Märkte, ihre Mechanismen und auch die Planungsvorläufe sind für beide Ensembles schon sehr unterschiedlich. Bei der Jungen Deutschen Philharmonie sind wir mit den meisten Projekten im Jahr 2019, mit einigen sogar schon 2020 angelangt. Beim Ensemble Modern sind wir in näheren Zeitregionen unterwegs. Eines meiner wichtigen Vorhaben ist, auch hier mit einem längeren zeitlichen Vorlauf arbeiten zu können.
nmz: Hieße das auch, Chancen für spontanere Projekte preiszugeben?
Fausch: Wir müssen ohnehin mehrgleisig denken. Im Falle der Jungen Deutschen Philharmonie und ihrer großen sinfonischen Projekte muss man etwa dafür sorgen, dass über hundert Musiker unterkommen und verpflegt werden. Das geht nicht ohne langfristige Planungen. Wir müssen aber auch darauf achten, und das gilt für das Ensemble Modern in viel stärkerem Maße, dass man dazwischen Räume für die kleineren Projekte offenhält. Und natürlich ist das Ensemble Modern aus mehreren Gründen flexibler als die Junge Deutsche Philharmonie, schon dadurch, dass die Musiker ständig hier sind. Das heißt aber auch, dass sie ständig arbeiten müssen, weil sie auch ständig bezahlt werden müssen.
nmz: Ihre Stelle als Geschäftsführer bei der Jungen Deutschen Philharmonie war schon eine Vollzeitstelle. Sind Sie jetzt doppelt ausgelastet?
Fausch: Wir sind in einer Übergangsphase, und zurzeit habe ich wohl wirklich zwei Stellen. Wir wollen aber für das Ensemble Modern ein kaufmännisches Management einrichten. Bei der Jungen Deutschen Philharmonie überlegen wir noch, wo wir Verstärkung brauchen.
nmz: Wird sich die Funktion der Deutschen Ensemble Akademie ändern?
Fausch: Die Deutsche Ensemble Akademie ist ja eine Art Förderinstrument und enorm wichtig für beide Ensembles. Vielleicht müssen wir auch diese Struktur neu überdenken und uns fragen, ob die gebündelte Kompetenz und die Ressourcen, die in dieser Organisation versammelt sind, auch anders genutzt werden können. Dazu muss aber zunächst mehr Klarheit über den Charakter und die Aufgaben der Ensemble Akademie geschaffen werden.
nmz: Was wird sich ändern beim Ensemble Modern mit Ihnen als Geschäftsführer?
Fausch: Die 35-jährige Tradition des Ensemble Modern muss weitergeführt werden. Aber wir wollen und müssen zugleich das Ensemble auf die heutigen Zeiten ausrichten, Strukturen überdenken und gegebenenfalls anpassen, inhaltliche Impulse neu setzen. In welchen Bereichen und wie das geschehen wird, darüber sind wir mit dem Vorstand in einem Diskussionsprozess. Was ich sagen kann, ist, dass wir neue und gezielte Partnerschaften mit Komponisten eingehen wollen. Früher gab es ja etliche Komponisten, die man untrennbar mit dem Ensemble Modern in Verbindung gebracht hat. Das ist in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund gerückt. Ich würde aber diesen Faden gern wieder aufnehmen und mit Komponisten der jüngeren Generation gemeinsam etwas aufbauen und entwickeln. Ein anderes Thema ist die Kernkompetenz des Ensembles hinsichtlich genre- und spartenübergreifender Projekte. Grundsätzlich müssen wir uns fragen: Sind wir in einem bestimmten Aktionsradius, weil wir alles abdecken, was wir da abdecken können – oder sind wir da, weil wir nicht ausgebrochen sind? Außer der Vernetzung mit jüngeren Komponisten müssen wir auch über intensivere Vernetzungen mit Veranstaltern nachdenken. Flexibilität ist für uns ein ganz wichtiges Stichwort, nicht nur in planerischer, sondern auch in inhaltlicher und stilistischer Hinsicht. So darf es durchaus auch – wie neulich beim Festival cresc geschehen – einen Rückgriff auf Mozarts Gran Partita geben.
nmz: Der Bedarf des Konzertbetriebs an zeitgenössischer Musik ist heute größer als vor drei Jahrzehnten. Was sonst ist auf der Seite der Veranstalter anders geworden, seit das Ensemble Modern auf die Welt kam?
Fausch: Die Szene hat sich aufgesplittet und differenziert, es gibt mehr kleine Veranstalter für zeitgenössische Musik, und sie haben, genau wie die großen, eine ganz andere Auswahl an Ensembles als früher.
nmz: Heißt das, dass das künstlerische Risiko gesteigert werden muss?
Fausch: Ja, auch. Natürlich müssen wir immer in der Lage sein, einen Steve Reich-Schwerpunkt zu gestalten oder mit Heiner Goebbels neue Projekte zu erarbeiten. Aber wir müssen auch in verschiedenen Richtungen, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und allen Generationen arbeiten können.
nmz: Sie selbst gehören, im Vergleich zur Gründer-Generation des Ensemble Modern, zu einer deutlich jüngeren Generation.
Fausch: Ich sehe darin nichts Besonderes. So wie sich das Ensemble verjüngt, so ist auch die Geschäftsstelle einem kontinuierlichen Wandel unterworfen. Ich nehme im Ensemble eine große Offenheit und Neugierde wahr – die wir auch dringend brauchen. Das Ensemble hat eine ausgeprägte Kommunikations- und Diskussionskultur, die auch mir ein großes Anliegen ist und die sicher für die Diskussionen, die wir führen werden, belastbar genug ist. Und das Ensemble Modern war ja immer auch in der Lage, nach Diskussionen zu guten Ergebnissen zu kommen und die zu einer Angelegenheit aller zu machen. Ich glaube, ich bin da als Schweizer gar nicht so ungeeignet, diese gelebte Demokratie, die das Ensemble prägt, mitzugestalten. Man muss einerseits schauen, dass die einzelnen Mitglieder an den Diskussionsprozessen beteiligt sind, andererseits muss man darauf achten, dass Entscheidungen effizient getroffen werden und eine rasche Handlungsfähigkeit gewährleistet bleibt. Es ist sicherlich ein Balanceakt.
nmz: Wie bekommen Sie Ihre Arbeit für die Junge Deutsche Philharmonie noch im selben Kopf und in der selben Lebenszeit unter?
Fausch: Der Kopf ist nicht das Problem, und an dem Problem mit der Zeit arbeiten wir. Wichtig ist aber, dass das insgesamt nicht mehr kosten darf, um die engen Budgets nicht weiter zu belasten. Eine Herausforderung besteht beim Ensemble Modern ja darin, dass es im Grunde zwei Realitäten gibt: Einerseits wird das Ensemble von außen als fest etablierte, erfolgreiche Institution wahrgenommen, auf der Finanzierungsebene aber funktioniert es als ein Projekt-Ensemble. Es gab wohl Zeiten, wo es etwas einfacher war, Geld zu akquirieren, heute ist das schon eine große Herausforderung.
nmz: Wenn man das Ensemble Modern etwa mit dem öffentlich geförderten Ensemble Intercontemporain oder dem Klangforum Wien vergleicht, sieht man, dass alle drei die gleiche künstlerische Schulterhöhe haben, aber die Förderungs-Hocker, auf denen sie stehen, unterschiedlich hoch sind.
Fausch: Die Struktur des Ensemble Modern ist nun mal so, dass wir eigentlich jedes Mitglied, jede Leistung, die wir erbringen, dem Veranstalter eins zu eins in Rechnung stellen müssen. Wenn es Ensembles gibt, die das nicht müssen, haben wir ein Wettbewerbsproblem. Das ist eine Herausforderung, gerade auch in der gegenwärtigen Situation, wo besonders Stiftungen von den niedrigen Zinsen stark in Mitleidenschaft gezogen sind und zusätzlich durch eine politische Situation aufgefordert sind, auf unterschiedlichsten Gebieten zu unterstützen. Dessen müssen wir uns bewusst sein und müssen zusehen, wie wir die strukturellen Rahmenbedingungen für die eigene Zukunftsfähigkeit optimieren können.