Hauptrubrik
Banner Full-Size

Slowenien - ein europäischer Nachbar voller Widersprüche

Untertitel
Ljubljana: Kulturhauptstadt im zweiten Glied? – Globokars Musiktheater vom Widerstand
Publikationsdatum
Body
Slowenien wurde in der „Agenda 2000“ der EU für seine „florierende Marktwirtschaft“ gelobt – wie auch Estland, Ungarn und Tschechien. Damit hat die „Schweiz“ des ehemaligen Jugoslawien wohl im kommenden Jahrtausend echte Chancen, sich als europawürdiges Musterländle zu präsentieren. Erst seit gut sechs Jahren, seit dem 25. Juni 1991, ist Slowenien zum ersten Mal in seiner Geschichte ein selbständiger Staat; nach einer Volkszählung aus dem gleichen Jahr hat er 1.966.000 Einwohner, für die Hauptstadt Ljubljana schwanken die offiziellen Angaben zwischen 271.000 und 330.000 (was wohl davon abhängt, ob man die eng angrenzenden Ortschaften mitzählt). Der „Europäische Kulturmonat“von Ljubljana, Ausweis der den vorerst nur assoziiertenEU-Ländern zugestandenen zweiten „Kulturhauptstadt Europas“ (1997 neben Thessaloniki), war eine nahezu luxuriös aufgemachte Offerte in eigener Sache; daß diese Visitenkarte mit dem Leitmotiv „Kultur“ versehen ist, verdient Respekt und zeugt davon, daß dieser Begriff noch nicht ausgedient hat, wenn es um die nationale Selbstbehauptung geht. Aber, nicht nur nebenbei gesagt: daß der sympathische Kleinstaat mit den freundlichen, außerhalb der Hauptstadt in die neue Rolle noch nicht vollends hineingewachsenen Bewohnern sich auf der Suche nach seiner Identität nicht wirklich verkauft – an ein längst überholtes Kapitalismus-Modell – bleibt ihm dringend zu wünschen. Denn die Erwerbsgesellschaft mit dem „Mythos der Vollbeschäftigung“ hat ohne Zweifel ausgedient und wäre vielleicht durch eine Gesellschaft der Öffentlichen Arbeit oder Bürgerarbeit zu ersetzen; so jedenfalls kann man’s bei dem Soziologen Ulrich Beck nachlesen, der sowohl Kurt Biedenkopf berät als auch mit Gerhard Schröder diskutiert. In Ljubljana indes hat man den Eindruck, daß ein kapitalistisches „Kleinkind“ übergangslos ins globale Spitzenmanagement aufrücken möchte. Der „Zeitgeist“, kulturell und politisch, tritt in Konkurrenz zu einer traditionell identitätsstiftenden, in Stein gehauenen Macht, der katholischen Kirche. Meine Reise wird zur Erfahrung von Widersprüchen. Der Asket Joze Plecnik (1872-1957), der aus der Tischlerwerkstatt zum Professor aufsteigen konnte, für Tomáš G. Masaryk den Prager Hradschin ausgestaltete, in Ljubljana, „seinem“ Ljubljana, auf deutsch „der Geliebten“ (wie ich mir sagen ließ), „ein Architekt der mitteleuropäischen Moderne“ genannt wird, dieser in der Stadt auf Schritt und Tritt unübersehbare Plecnik wurde für mich zum Synonym der Widersprüche. Und die Musik im „Europäischen Kulturmonat“ ist – mit den Fixpunkten Carlos Kleiber, Vinko Globokar und Luciano Pavarotti – der Ausdruck von alldem. Definitionssache Die Form des Tagebuches, dem Anlaß gemäß erweitert, ist ein Versuch, den inneren Zusammenhang jener Erfahrung aufzuzeigen. Im Flugzeug lese ich eine Geschichte über Radovan Karadzic, den „Schlächter im Glück“ (wie die Kollegen von der Süddeutschen Zeitung titelten), der „Millionengeschäfte macht“. Eine junge, deutsch sprechende Slowenin mir zur Seite sah das: „Der muß weg! Meinen Sie nicht?“ Ich meinte das natürlich auch – und dachte bei mir: Bosnien ist von Slowenien weiter entfernt als von Berlin beispielsweise. Das Land definiert sich westlich; mit der jugoslawischen Vergangenheit hat es nichts zu tun. „Der Krieg“: das waren die zehn oder vierzehn Tage, in denen die Panzer der jugoslawischen Armee im Juni/Juli 1991 die Unabhängigkeit verhindern wollten – vergeblich, wie man weiß. Jetzt sind die Slowenen also in der Europäischen Union angekommen, beinahe. Zu dem geplanten Austausch mit der „ersten“ europäischen Kulturmetropole Thessaloniki kam es indessen nicht. Die Organisatoren in Ljubljana geben der griechischen „Konfusion“ die Schuld, „aber dadurch konnten wir viel besser sein“. In der Tat liest sich das slowenische Programmbuch wie ein hochkarätiges postmodernes Sammelwerk, Rush-hour auf der Designer-Schiene von traditionell bis experimentell, von Pop bis Avantgarde, mit den überlieferten Blöcken Jazz Festival (zum 38. Mal) und Graphik-Biennale (zum 22. Mal); das Schlußkonzert mit Beethovens „Neunter“ eröffnete zugleich das 45. Internationale Sommer Festival, eher volkstümlich getönt, abgestimmt auf den Ort, Krizanke, ein malerisches Sommertheater mit großem Garten, der Umbau eines Klosterkomplexes des Deutschritterordens, Plecniks letztes Werk. Die Kosten des fünfzig Tage dauernden „Kulturmonats“ – umgerechnet fünfeinhalb Millionen Mark – teilten sich Stadt und Staat; die EU gab 200.000 Mark dazu. Viel Geld für einen Traum: daß die Welt aufblicken möge zum Kulturstaat Slowenien. Schwarze Engel Ein amerikanischer Traum: Was sich bei George Crumb, dem amerikanischen Klangfarben-Artisten, nach bloßer Oberfläche anhört, ist häufig die musikalische Ausformulierung von sprachlichen und Zahlen-Symbolen. Der musikalischen Einkleidung – „An Idyll for the Misbegotten“ für elektronisch verstärkte Flöte und drei Perkussionisten, mit Zitaten aus Debussys „Syrinx“ – entspricht eine theatralische Komponente, die sich nur selten mit gleicher Differenzierung mitteilt. Das Frankfurter Mutare-Ensemble hatte Crumb zu Präsentationen in Wiesbaden, Heidelberg und Frankfurt eingeladen; daran schloß sich eine Woche „George Crumb in Ljubljana“ an, als Koproduktion von Festival und Kulturmonat organisiert von der amerikanischen Schlagzeugerin und Musikwissenschaftlerin Amy Lynn Barber, die im Slowenischen Philharmonischen Orchester engagiert ist. Das Finalkonzert, von jungen Musikern exzellent musiziert, begann mit der erwähnten Debussy-Paraphrase und bot als Hauptwerk „Black Angels“, bekannt durch die Einspielung des Kronos Quartet, eine wiederum anspielungsreiche, spirituell aufbereitete „Reise der Seele“ als Auseinandersetzung mit dem Vietnam-Krieg. Die Begrenzungen dieser Musiksprache waren unüberhörbar, doch eine kleine, von Crumb offenbar gut eingestimmte Gemeinde lauschte wie gebannt. Sonntag: Die „Kulturhauptstadt“ schläft – oder besser: Sie hat sich ins Privatleben zurückgezogen. Der Tourismus hält sich in Grenzen. Aber auch die „neuen Slowenen“ – analog zu den „neuen Russen“ in Moskau und St. Petersburg – gibt es (noch?) nicht, jedenfalls nicht in auffälliger Zahl; dazu ist das Land zu klein, zu agrarisch, zu familiär geprägt. Mir blieb an diesem Tag nur das letzte „Promenadenkonzert“ des Kulturmonats am Prešeren Platz (mit dem Denkmal des romantischen Dichters France Prešeren), angesichts der vielbeschriebenen „Drei Brücken“ und der Markthallen Plecniks. Die Blech- und Holzbläser des Videm Krško Wind Orchestra musizierten beachtlich sauber und rhythmisch präzise, was aber mit den schrecklichen Arrangements kaum versöhnen konnte. Dabei handelt es sich um ein bekanntes Problem der Vermittlung von volkstümlicher und „symphonischer“ Blasmusik; die Tradition der Alpenländer – zu denen auch Slowenien noch gehört – trifft auf die amerikanischen und japanischen Universitäts-Blasorchester, ein Thema wohl auch auf der eben stattgefundenen Wasbe-Tagung (World Association for Symphonic Bands and Ensembles) in Schladming/Österreich. Die wenigen Besucher, hauptsächlich solche, die aus der Messe in der Franziskanerkirche kamen, waren von Gedanken dieser Art gewiß unberührt und genossen wie ich das südländische Flair dieses herrlichen Platzes am Ufer der Ljubljanica. Gegen Mitternacht war um Krizanke herum das Leben erwacht: Der Ausklang des dreitägigen Jazz Festivals mobilisierte ein nicht nur junges, zum Teil von weither angereistes Publikum von großer Sachkenntnis. Mein Eindruck nach sechs Tagen und viel Lektüre: Die slowenische Kulturszene ist sowohl konservativ als auch ein wenig „verrückt“. Viele slowenische Künstler wollen sehr schnell sehr viel Geld verdienen. „Wir subventionieren zu viele Experimente“: das habe ich nicht nur einmal gehört. Vor sieben, acht Jahren gab es in Maribor ein „Theaterwunder“, das den Namen des Regisseurs Tomaz Pandur trug; 1996 wurde aus Brüssel und Dresden referiert: „Falsche Gefühle“ – „brachialer Schwulst“ – „Mythenkitsch“. Das Kulturministerium ist zur Zeit in liberaldemokratischer Hand; der Minister Jozef školc war zuvor Präsident der Nationalversammlung. Die Liberaldemokraten, lese ich, seien aus dem früheren kommunistischen Jugendverband hervorgegangen; es sei gut, höre ich, daß sie jetzt Kultur in ihr Programm aufgenommen haben. Der Kulturetat heute liegt bei etwas über einem Prozent des Bruttosozialprodukts; das ist, nicht anders als hierzulande, die Realsituation. „Der Plan ist: 1,5 Prozent“, sagte Marjutka Hafner, Unterstaatssekretärin im Kulturministerium. „Wir kämpfen mit unseren Parlamentariern, aber wir haben fast immer gewonnen.“ Und, sehr aufrichtig: „Wir haben noch keinen Konsens über die nationale Kulturpolitik in Slowenien“. Man blickt fasziniert nach draußen, will fremde Modelle übernehmen. Im Haus des Kulturministers sind Gegenstimmen zu finden; sie plädieren für Selbstverwaltungssysteme, für die Übernahme dessen, was sich in der Vergangenheit als gut bewährt hat. Aber über ein verbindliches „nationales“ Konzept wird vorerst nur beraten; da ist wohl ein Zeitraum von zehn, fünfzehn Jahren realistisch. Der Weltbürger Vinko Globokar ist Sloweniens jenseits der Landesgrenzen bekanntester Komponist; geboren in Frankreich als Sohn slowenischer Eltern, als Jazzmusiker acht Jahre in Ljubljana zu Hause, dann musikalisch geprägt in Paris und Berlin, wo er jetzt wieder lebt und wo die Konzertversion von „L’Armonia Drammatica“ mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France am 11. März 1995 im Rahmen der 15. Musik-Biennale uraufgeführt wurde. Ljubljana hatte – zunächst als Abschluß des „Europäischen Kulturmonats“ – die Szenische Uraufführung des für die Bühne konzipierten Werkes mit einem slowenischen Regisseur geplant, der aber zwei Monate vor der Premiere den Auftrag zurückgab, aus nicht klärbaren Gründen, offenbar verbunden mit überzogenen Geldforderungen. Der Komponist inszenierte jetzt selbst, nicht aus eigenem Antrieb, wie er immer wieder betont; das Ergebnis ist: sichtbar gemachte Musik, nicht Musiktheater, wobei weiterhin offenbleibt, ob der etwas weitschweifige Text von Edoardo Sanguineti dieses möglich macht, gar herausfordert. Das Thema des 1986/89 komponierten Stückes von zirka zweieinhalb Stunden Spieldauer lautet: Widerstand. „Das ist ein Archetyp der Menschheit“ (Globokar). Der oder die einzelne lehnt sich auf gegen die „Masse“, gegen die herrschende „Macht“; ein obsessives Leitmotiv im Denken des Komponisten, für den Ethik und Ästhetik untrennbar sind. Deswegen benutzt er die Tonsprache der Moderne gleichsam funktionell, als expressiv, zuweilen aggressiv die Werkidee ausführende „Rede“. Chor der Vollstrecker Sieben Geschichten verschränken sich bis zur Aufhebung von sprachlicher Semantik, die an die Musik delegiert wird; dort aber entlädt sie sich – da den Personen unterschiedliche harmonische und stilistische Erzählweisen zugeordnet sind – in einer Art Paroxysmus. Der Chor, im ersten Teil Richter, wird im zweiten zum Vollstrecker. Geschildert wird darin eine Exekution von sechs Menschen und eine Niederkunft. Die Schlußworte der Gebärenden (und des Stückes) lauten: „Sterben ist nichts, es ist so. Weit schlimmer ist es dagegen, dem Leben standzuhalten. Geboren zu werden ist ein Horror.“ Das sei nicht Sanguineti, sagt der Komponist, sondern Sokrates. Der Regisseur könne diesem Satz mit seiner Bildvorstellung widersprechen. Kein Fatalismus, sondern im Gegenteil ein Appell, Widerstand zu leisten – doch der Komponist, als Dirigent von eindrucksvoller Kompetenz, konnte naturgemäß nicht Widerstand leisten gegen die eigene musikalisch-szenische Konzeption. Das durchaus eindrucksvolle Ergebnis war den Umständen abgetrotzt. Gehört das Stück in ein Opernhaus? Die Frage blieb unbeantwortet. Das eher intime 650-Plätze-Theater, 1892 erbaut, offensichtlich vor kurzem mit frischer Farbe versehen, inmitten sorgsam gepflegter Rasenflächen und Beete mit Skulpturen bedeutender Persönlichkeiten, bot ein museal-gepflegtes Ambiente, gegenbildlich zu einem dramaturgisch ungelösten Musiktheater-Entwurf von antikisierendem Zuschnitt. Die soghafte „Gewalt“ des Stückes, dessen emotionaler Kern die Vielsprachigkeit im weitesten Wortsinn ist, bleibt noch zu entdecken. Neben technischen und gestischen Unzulänglichkeiten setzte sich der im Umgang mit Neuer Musik „jungfräuliche“ Elan der Mitwirkenden dennoch durch, auf geheime und ungeplante Weise der Situation des Landes entsprechend. Mönchische Lebensart Ein Archaiker auf den Spuren Gottfried Sempers, den er verehrte, dessen Theorie er in sich aufsog, war Joze Plecnik. Mit ihm rundet sich das Bild, der bei flüchtiger Hinsicht erfahrbare Geist, aber auch die Bildmusik von Ljubljana. Aufstieg zur Burg: Die vorjährige Prager Ausstellung „Joze Plecnik-Architektur für die neue Demokratie“ wurde vom „Europäischen Kulturmonat“ in seine Heimatstadt übernommen. Plecnik, in seinem Kunstwollen von der Wiener Moderne Otto Wagners geprägt, ein mönchischer, bedürfnisloser Mann bis ins hohe Alter, wurde nach seinem Tode zum Anreger der Postmoderne; Architekten aus aller Welt „pilgerten“ um 1980 nach Ljubljana. Er stieg an der Hand der semperschen Theorien hinab zu den Müttern, hat den antiken Mythos in die Gegenwart weitergedacht, neu in Stein „übersetzt“. In der hier einzigen von ihm vollständig eingerichteten Wohnung, lichtdurchflutet, einem Museum für den täglichen Gebrauch, ist der Kunsthistoriker Damjan Prelovšek zu Hause, dessen Großvater als Direktor des Städtischen Bauamtes dem berühmtesten Sohn der Stadt freie Hand gelassen hatte; Dr. Prelovšek, der die Prager Ausstellung modifiziert in das Schloß von Ljubljana übertragen hat, gab mir in makellosem, wienerisch gefärbtem Deutsch Einblick in ein Denken zwischen gestern und morgen – eine Begegnung der unvergeßlichen Art. „Plecnik wollte die Kunstidentität des slowenischen Volkes an der Antike ausbilden. Die Architektur sollte eine erzieherische Wirkung haben.“ Eine erratische Figur, dieser Plecnik; ein Geistes-Mensch aus der „Provinz“, nicht zu vereinnahmen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!