Seit Anfang des Jahres hat das netzwerk junge ohren (njo) eine neue Geschäftsführerin. Lydia Grün, die zuvor die Musikland Niedersachsen gGmbH Hannover als Geschäftsführerin leitete, übernahm das Amt, das zuvor Ingrid Allwardt fünf Jahre lang innehatte. Juan Martin Koch sprach mit der Kulturmanagerin über die Ziele und Perspektiven des Musikvermittlungs-Netzwerks.
neue musikzeitung: Was hat Sie bewogen, vom Musikland Niedersachsen zum netzwerk junge ohren zu wechseln?
Lydia Grün: Grundsätzlich interessieren mich Orte, an denen sich etwas bewegt. Das habe ich in Niedersachsen erlebt, zunächst an der Uni Oldenburg am Institut für Musik und Medien, dann im Ministerium für Wissenschaft und Kultur, wo wir mit dem Musikalisierungsprogramm, „Musik 21“ oder „klangpol“ neue Förderformate entwickelt haben, und dann mit der zentralen Aufbauphase von Musikland Niedersachsen bis hin zur Gründung der GmbH im vergangenen Jahr. Zum Wechsel nach Berlin habe ich Ja gesagt, weil das netzwerk junge ohren sich in einer sehr spannenden Phase befindet. Fünf Jahre nach der Gründung geht es darum zu überlegen, wie es weitergeht, was man verbessern kann, wie stark die Innendynamik ist, wo man gestalten kann. Für mich bedeutet es eine Fortsetzung meiner bisherigen Tätigkeit auf Bundesebene.
nmz: Sie kannten das njo von außen, wie sehen Sie es jetzt aus der neuen Perspektive von innen heraus?
Grün: Im Moment befinde ich mich in einer Phase des Sortierens. Das schließt die gesamte Arbeit ein bis hin zur Personalsituation. Neben den zentralen Projekten in diesem Jahr – der junge ohren preis und der YEAH! Young EARopean Award – interessieren mich da vor allem die Perspektiven, die das Netzwerk selbst als Ort der Ideen für eine moderne Musikkultur mit Leben füllen.
Kompetenzbüro
nmz: Welches sind diese Perspektiven aus Ihrer Sicht?
Grün: Wir haben im Moment etwas über 200 Teilnehmer aus ganz unterschiedlichen Segmenten, und das Netzwerk ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. Aber wir können mehr werden, wir müssen mehr werden. Hier geht es darum, über die Binnenkommunikation und die Dynamik unseres Netzwerks nachzudenken. Die Wettbewerbe sind aus meiner Sicht riesige Schätze. Wir haben durch die vielen Bewerbungen eine große Menge Material, das man dringend zugänglich machen muss. Denn das sind gerade die Anfragen, die uns erreichen: Wisst ihr da jemand, der das und das kann? Als netzwerk junge ohren ist eine unserer zentralen Aufgaben, Veranstalter und Künstler zusammenzubringen, als Kompetenzbüro zu fungieren. Bei sehr stark partizipativen und prozesshaften Projekten funktioniert das natürlich nicht so einfach. Aber oft werden ja nicht „Einkaufsformate“ gesucht, sondern Ideen, was man selbst entwickeln könnte und wen man als Ensemble oder Workshopleiter gewinnen und einbinden kann.
nmz: Wem wollen Sie die möglicherweise aus den Bewerbungen gewonnenen Daten zur Verfügung stellen?
Grün: Diese wertvollen Informationen sind natürlich vor allem für die Netzwerkteilnehmer gedacht. Netzwerk heißt ja Geben und Nehmen von allen Seiten.
nmz: Wissen Sie denn so genau, was die Mitglieder nehmen wollen und zu geben bereit sind?
Grün: Wir werden in den nächsten Wochen versuchen, alle unsere Teilnehmer persönlich zu erreichen, um sie zu fragen: Wobei können wir euch helfen? Mit wem können wir euch in Verbindung bringen? Im Augenblick verbindet sich mit der Teilnahme im netzwerk junge ohren die Möglichkeit, die eigenen Veranstaltungen unter anderem via Kulturkurier gut verbreiten zu können. Das sind funktionierende, sehr zielgerichtete mediale Kanäle, aber wir haben noch mehr Potenzial. Es liegt natürlich immer auch an beiden Seiten, also daran, wie stark man sich als Teilnehmer einbringt.
Akustische Stolpersteine
nmz: Welche Baustellen sind Ihnen beim Sortieren noch aufgefallen?
Grün: Eine große Frage ist folgende: In welchen Bereichen kann das Netzwerk Dach für etwas sein? Wir probieren das gerade mit der Produktion von „80vontausend“ aus. Das ist ein partizipatives Hörprojekt, das einen starken politischen und soziokulturellen Hintergrund hat. Hier geht es um akustische „Stolpersteine“ als klangliche Interventionen im öffentlichen Raum. Die werden von verschiedenen Gruppen in Eisenach und Berlin als musikalisch-künstlerische Statements zum Gedenkjahr 2013 produziert. Wir kooperieren als Träger mit dem Klangkünstler und Journalisten Hans Ferenz. Das kann ich mir mit anderen Projekten gerade auch außerhalb großer Städte vorstellen: das Netzwerk als eine Art Gefäß, eine solide Struktur für kreative Köpfe und „Einzelkämpfer“. Auch das ist ein Potenzial, das das Netzwerk noch hat.
nmz: Sie haben eingangs die europäische Perspektive angesprochen …
Grün: Das netzwerk junge ohren wird sich in näherer Zukunft noch stärker mit Partnern in der Schweiz und Österreich verbinden. Außerdem gibt uns die Ausrichtung des YEAH! die Möglichkeit, länderübergreifend zu schauen, wo welche Ideen für eine neue musikalische Willkommenskultur entwickelt werden. Gerade den Blick auf andere Kulturen, andere Orte und Formen von Begegnungen brauchen wir in einer sich immer weiter verändernden Gesellschaft. Das fängt bei der Auswahl musikalischer Werke an, führt über die Art und Weise von musikalischer Präsentation bis hin zum Kennenlernen von Musikinstrumenten.
nmz: Zentrale Anlaufstelle für alle Interessierten ist die Webseite: Inwiefern kann sie das abdecken, was das njo sein kann, sein möchte?
Grün: Im Augenblick bildet die Webseite die Community ab, also das, was unsere Teilnehmer einstellen. Womit wir sehr gute Erfahrung gemacht haben, ist das Einbinden von social media, wo wir gerade bei Facebook und You Tube in zunehmendem Maß wahrgenommen werden und worauf wir verstärkt setzen werden. Aber auch hierzu werden wir die Teilnehmer fragen, welche Funktion zum Beispiel das Netzmagazin noch erfüllen kann und wo sie Verbesserungspotenzial sehen.
nmz: Wie steht es mit dem Vorhaben, eine Datenbank im Bereich Notenmaterial zur Musikvermittlung aufzubauen?
Grün: Das wird weiterverfolgt. Anfang des Jahres haben wir das zusammen mit dem Musikverleger-Verband als einem unserer Träger besprochen. Technisch ist die Datenbank schon sehr weit entwickelt. Es gibt aber einen neuen Partner, sodass wir im Moment klären, ob wir eine noch umfangreichere Lösung hinbekommen. Ein genauer Termin, wann das online gehen wird, steht noch nicht fest, aber es wird in diesem Jahr sein.
jop und YEAH! – die Preise
nmz: Wie finanziert sich das Netzwerk?
Grün: Die Grundfinanzierung steht auf drei Säulen: Da sind zum einen die an den junge ohren preis gekoppelten Mittel des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und zum Teil auch des Amtes des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), zum zweiten die Förderung durch die Stiftung Georgsmarienhütte für den YEAH! und zum dritten die Mitglieds- und Teilnehmerbeiträge. Jeder dieser Geldgeber fördert uns mit der Erwartung, dass wir weitere Projektgelder akquirieren, und das tun wir auch. Ein Beispiel wäre das genannte Vorhaben „80vontausend“, das vom BKM und vier weiteren Partnern finanziert wird.
nmz: Die Preise jop und YEAH! sind die zentralen Aushängeschilder des Netzwerks, wie grenzen sich beide voneinander ab?
Grün: Der jop ist klar verortet im deutschsprachigen Raum und wendet sich damit natürlich an die Klientel unseres Netzwerks selbst. Er hat damit auch den Anstrich einer Jahreskonferenz, und deshalb finde ich Ingrid Allwardts Ansatz gut, wie im vergangenen Jahr in Hamburg, die Preisverleihung mit einer fachspezifischen Tagung zu verbinden. Das soll der Ort sein, wo nicht nur Produktionen gezeigt werden und der Preis in einem festlichen Rahmen verliehen wird, sondern wo auch ein fachlicher Austausch stattfindet. Der YEAH! ist ganz klar international ausgelegt, das hat auch die letzte Bewerbungsphase gezeigt. Wir können über ganz Europa eine Topografie der Musikvermittlung legen. In der Juryarbeit war es spannend, die unterschiedlichen Herangehensweisen zu sehen. In Osnabrück kommt daneben mit der Präsentation spannender Produktionen der Festivalcharakter zur Geltung.
nmz: Wie haben Sie den ersten YEAH!-Durchgang vor zwei Jahren erlebt?
Grün: Dieses Kennenlernen der nominierten Projekte in Form der „Börse“ über einen ganzen Tag fand ich extrem anregend. Osnabrück ist eine wunderbare Gastgeberstadt. Wir arbeiten aber noch stärker daran, mit den Institutionen vor Ort zu kooperieren.
Osnabrück und Leipzig
nmz: Wird der zeitliche Ablauf heuer vom 10. bis 14. September ähnlich sein?
Grün: Wir werden den Ablauf zeitlich etwas straffen, aber das Grundprinzip bleibt erhalten: Es gibt das Festival unter der Woche und die Preisverleihung mit Börse und ein, zwei kleineren Konferenzformaten. Vorgeschaltet ist als neues Element das YEAH!-Camp, eine Art Experimentallabor, in dem sich zwei Nominierte künstlerisch begegnen werden. Diese gestalten dann auch gemeinsam das Eröffnungskonzert.
nmz: Wo und wie wird der junge ohren preis in diesem Jahr vergeben?
Grün: Wir haben wieder eine zweitägige Veranstaltung, diesmal in Leipzig, mit dem Gewandhaus als Partner. Am 21. November wird dort der Preis verliehen, am folgenden Tag kombiniert mit einer Konferenz zum Thema Musik und Medien. Dort wollen wir unter anderem veränderte Wahrnehmungsmöglichkeiten von Kindern untersuchen, verbunden mit der Frage, wie wir mit neuen musikalischen Formaten darauf reagieren können. Beispiele aus der Praxis sollen dieses Nachdenken konkretisieren. Eingebunden ist das in ein begleitendes Konzertprogramm des Gewandhauses. Als nächste interessante Orte stehen wir übrigens mit Stuttgart, Erfurt und mittelfristig auch der Schweiz in Kontakt.
Offene Verbandsohren
nmz: Wie gestaltet sich der Austausch mit den über die Trägerschaft involvierten Verbänden?
Grün: Die Kontaktintensität ist natürlich unterschiedlich. Zur Deutschen Orchestervereinigung haben wir gerade jetzt in der Anfangsphase eine ganz enge Verbindung, ebenso zum Verband der Musikindustrie und zur Jeunesses Musicales. Am 3. Juni haben wir unsere Mitgliederversammlung, da wird sich das noch intensiver entwickeln. Vieles ist natürlich auch projektspezifisch; mit dem Musikverleger-Verband etwa sind wir im Zuge der Datenbank in intensivem Austausch. Mit jedem Verband haben wir gemeinsame Themen, gemeinsame Motivationen, ähnlich ist es mit den Mitgliedern des Fachbeirates, die vom Netzwerk aus je nach Fragestellung ganz unterschiedlich angefragt und angesprochen werden. Ich fühle mich, ehrlich gesagt, sehr willkommen und treffe im kritischen Gespräch, das ich sehr schätze, auf offene Ohren.
Das YEAH! Festival mit Preisverleihung findet vom 10. bis 14. September in Osnabrück statt, die Veranstaltung zum junge ohren preis vom 21. bis 22. November in Leipzig.