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Spardebatten statt Profilbildung

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Baden-Württemberg lässt grüßen: Den beiden Orchestern von Radio France droht die Fusion
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Die Funkstille ist beendet, Radio France ist wieder auf Sendung. Seit dem 19. März war das anders. Dudelfunk und jede Viertelstunde eine Durchsage – so sahen die Tage mit dem größten Sender des Landes aus. Das nervte nicht nur die Zuhörer, sondern zunehmend auch die Politik. Vor einigen Tagen nun ist der längste Streik in der Geschichte der Sendeanstalt zu Ende gegangen.

Radio France erreicht mit seinen sieben Sendern (darunter France Bleu, unter dessen Dach 44 Lokalsender vereint sind, France Inter, France Culture und France Musique) rund 14 Millionen Hörer. Dafür ist der öffentlich-rechtliche Medienriese mit einem Budget ausgestattet, das sich 2013 auf 641 Millionen Euro bezifferte, von denen 90 Prozent aus Gebühren, der Rest aus Werbeeinnahmen stammen. Trotzdem droht im Haushalt für 2015 ein Defizit in Höhe von gut 21 Millionen Euro. Das Direktorium unter Führung von Generaldirektor Mathieu Gallet bastelt deshalb seit einigen Monaten an einem Sanierungsplan. 50 Millionen will er bis 2019 sparen. Was durchsickerte, ließ bei der Belegschaft die Alarmglocken klingeln. Vor allem ein möglicher Personalabbau – die Rede ist von 200 bis 300 Stellen – sorgte für Unruhe, obwohl die Direktion betonte, man denke nur über freiwilligen Austritt älterer Arbeitnehmer nach.

Fünf Gewerkschaften riefen deshalb am 19. März zu einem unbefris-teten Streik auf. Neben Stellenabbau befürchtete man verdichtete Produktionsabläufe, Outsourcing redaktioneller Tätigkeiten, das Ende von Mittel- und Langwellenausstrahlung, die Einrichtung von Webradios sowie die Zusammenlegung der beiden Orchester oder die Herauslösung eines der beiden Klangkörper aus der Radio-France-Gruppe. Von einem flächendeckenden Streik konnte jedoch nie die Rede sein. Nur 7 Prozent der rund 4.600 Personen umfassenden Belegschaft legte die Arbeit nieder, darunter allerdings viele Techniker. Das reichte, um den Betrieb für insgesamt 27 Tage lahm zu legen. Dass sich bei Radio France etwas ändern muss, forderte jüngst auch der französische Rechnungshof. Als Gründe für die Krise nannte er: Rückgang der Gebühreneinnahmen, Explosion der Kosten für die enorm aufwändige Grundsanierung des Hauses, zu hohe Personalkosten. Zudem habe es an einer „strengen Führung“ gefehlt, was Gallet, vor allem aber seinen Vorgängern ein schlechtes Zeugnis ausstellt. Seinen Bericht beendete der Rechnungshof mit diversen Empfehlungen, darunter die Fusion der Redaktionen von France Musique und France Culture sowie die Zusammenlegung der beiden Orchester. 

Zwei Orchester bei Radio France sind eines zuviel – das hat auch Mathieu Gallet bereits deutlich gemacht. Sein Haus habe nicht die finanziellen Mittel, um jährliche Kosten von 60 Millionen für zwei Orchester, einen Chor und einen Kinderchor aufzubringen, wenn nur zwei Millionen durch Eintrittskarten wieder hereinkämen, sagte er in einem Interview mit der Zeitung „Le Monde“. Kulturministerin Fleur Pellerin ist anderer Meinung. Sie hat sich für den Erhalt von zwei Orches-tern ausgesprochen. Eine Reduzierung von Stellen ist damit aber noch nicht vom Tisch.

Das 1934 gegründete „Orchestre National de France“ (Ltg. Daniele Gatti) widmet sich vor allem dem sinfonischen Standard-Repertoire, das 1975 etablierte „Orchestre Philharmonique de Radio France“ (Myung-Whun Chung), kurz „Philhar“, ist hingegen variabler ausgerichtet, spielt Werke mit kleinerer Besetzung und vor allem auch Uraufführungen. Diese ursprünglich angestrebte Komplementarität wandelte sich aber bald in Rivalität. Das „Philhar“ wilderte immer öfter im sinfonischen Garten des „National“, die Programme wurden zunehmend ähnlicher.

Die Verbitterung über die Sparvorschläge ist groß unter den Musikern, zumal sich Mathieu Gallet bei seinem Amtsantritt im Mai 2014 als „Melomane“, also als „Musikfreund“ vorgestellt hat. Auch Philharmoniker traten in den Ausstand, so dass zahlreiche Konzerte gestrichen werden mussten. Enttäuschung auch, weil die Musiker im November 2014 noch eine rosige Zukunft heraufleuchten sahen. Damals wurde in der Maison de la Radio France ein nagelneues Auditorium eröffnet: 1.400 Plätze, feinste Akustik. Endlich, jubelte man, kehrten die Orchester – bisher sowohl für Proben wie für Konzerte in anderen Pariser Sälen untergebracht – in ihre Heimstätte zurück. Und endlich könne jedes Ensemble sein eigenes Profil entwickeln. Solche feinsinnigen Überlegungen dürften im Zuge der Spardebatte wohl kaum Gehör finden. Bei einer Diskussion zeigten die Musiker dennoch Selbstbewusstsein. Auf die Frage, warum zwei Orchester nötig seien, antwortete eine Geigerin: „Weil wir uns drei nicht leis­ten können!“ Nach knapp vier Wochen brach die Streikfront zusammen. Die Probleme aber, finanzielle wie strukturelle, bleiben. Wege zur Lösung sollen nun mit dem von der Kulturminis­terin eingesetzten Schlichter gefunden werden.

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