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Felix Falk. Foto: Dirk Mathesius
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Spielerei? Die Chancen von Videospielen und Musik

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Felix Falk, Geschäftsführer game – Verband der deutschen Games-Branche e. V.
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2018 fusionierten die beiden Verbände Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) und GAME – Bundesverband der deutschen Games-Branche zum game – Verband der deutschen Games-Branche. Felix Falk ist Geschäftsführer des Verbandes und Saxophonist. Wie es um die deutsche Spieleindustrie steht und warum das Genre auch für Musikschaffende relevant ist, erläutert Felix Falk im Gespräch mit Mathis Ubben.

neue musikzeitung: Sind Sie selbst Videospiel-Enthusiast?

Felix Falk: Ich bin großer Spiele-Fan. Gerade die ganz unterschiedlichen Facetten und darin kombinierten Kunstformen von Grafik und Storytelling über Musik und Technologie bis hin zum sozialen Aspekt machen Games unglaublich spannend. Einer meiner aktuellen Favoriten ist „It Takes Two“. Das ist ein fantastisches kooperatives Spiel, das man gemeinsam mit jemandem spielen muss – quasi ein Räuberleiterspiel. Da konnte ich sogar diejenigen in meiner Familie fesseln, die sonst eher nur am Handy mal spielen.

nmz: Was sind Hauptaufgaben vom game – Verband der deutschen Games-Branche. Was macht er eigentlich?

Falk: Unser Ziel ist ganz klar: Wir wollen Deutschland zum besten Games-Standort machen! Das klingt vielleicht erstmal sehr groß, denn der Abstand zu den führenden Ländern wie Kanada, USA oder China ist noch beachtlich. Aber unsere Erfolge aus den vergangenen Jahren zeigen auch, dass wir unserer Vision näherkommen. Mit dem Zusammenschluss der beiden Games-Verbände zum game im Jahr 2018 sowie dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der gamescom und mit der Games-Förderung auf Bundesebene sind uns wichtige Meilensteine auf dem Weg zum besten Games-Standort innerhalb weniger Jahre gelungen.

Wir sind aber nicht nur politisch aktiv und versuchen, die Rahmenbedingungen für Games und Games-Unternehmen kontinuierlich weiter zu verbessern. Wir sind auch Mitveranstalter der gamescom. An dieser Stelle sind wir in Deutschland schon Weltklasse, denn die gamescom in Köln ist tatsächlich das weltgrößte Games-Event. Damit haben wir nicht nur ein einmaliges Aushängeschild für die deutsche Games-Branche geschaffen, sondern auch eine wichtige Plattform, um mit der Politik über unsere Themen zu sprechen. Das hat uns bei den Erfolgen in den vergangenen Jahren sehr geholfen.

Daneben engagieren wir uns über unsere vier Tochtergesellschaften in vielen unterschiedlichen Bereichen: Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle – kurz USK – dürfte Vielen ein Begriff sein. Sie kümmert sich um den Jugendschutz bei Games in Deutschland und ist für viele Eltern eine wichtige Orientierungshilfe. Die Stiftung Digitale Spie­lekultur baut zahlreiche Brücken zwischen der Games-Branche und anderen Bereichen wie Bildung, Wissenschaft und Gesellschaft. Sie zeigt mit ihren Projekten mit zahlreichen Bundesministerien und Stiftungen auf, welchen Mehrwert Games beispielsweise in der Schulbildung oder der Erinnerungskultur leisten können. Die devcom ist die Konferenz für alle Spiele-Entwicklerinnen und -Entwickler, die jedes Jahr direkt zur gamescom stattfindet und das ganze Jahr über online zahlreiche Events rund um die Spiele-Entwicklung anbietet. Und die esports player foundation unterstützt junge E-Sportlerinnen und E-Sportler bei ihrem Weg an die Welt­spitze. Man sieht: Die Aufgaben im und um den game sind genauso vielfältig wie das Medium Games selbst.

nmz: Derzeit taumeln Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von einer Krise in die nächste. Laut einer Ihrer Mitgliederbefragungen wollen mehr als die Hälfte der Branchen-Firmen 2023 ihr Personal aufstocken. Warum? Wie sieht die Gaming-Branche in die Zukunft?

Falk: Die Games-Branche ist ein sehr zukunftsorientierter Wirtschaftszweig. Und sie wächst seit Jahren sehr stark. Mittlerweile erreicht die Branche in Deutschland einen Umsatz von rund 10 Milliarden Euro und ist damit allen anderen Medien- und Kreativbranchen enteilt. In Deutschland spielen 6 von 10 Deutschen, egal ob jung oder alt, ob Frau oder Mann. Das ist einerseits sehr beeindruckend, andererseits bietet es noch jede Menge Wachstumsmöglichkeiten. Das hat man auch während der Corona-Pandemie sehen können, in der Games als einziges Kulturgut, das von Anfang an digital war, ihre Dynamik und kreative Innovationskraft ausspielen konnten. Das und die stärkere Unterstützung der Games-Branche durch die Politik in Deutschland stimmen die Games-Unternehmen optimistisch.

nmz: Wie sind Ihre Prognosen: Werden auch mehr Aufträge an Musikschaffende gehen?

Falk: Derzeit gibt es regelrecht einen Boom in der deutschen Games-Branche. Innerhalb von zwei Jahren ist die Anzahl der Games-Unternehmen in Deutschland um über 25 Prozent gewachsen. Auch die Anzahl der Mitarbeitenden konnte ordentlich zulegen. Das ist auch für alle Musikschaffenden eine hervorragende Nachricht. Denn kaum ein Game kommt ohne guten Sound und die passende Musik aus. Sie verstärken die Atmosphäre und steigern die Immersion und Spannung eines Titels. Daher kann nicht nur die Games-Branche positiv in die Zukunft schauen, sondern das gesamte Games-Ökosystem, zu dem natürlich auch Musikschaffende und Sound-Designende gehören.

nmz: Welches Profil und welche Ausbildung haben die Menschen hinter den Soundtracks?

Falk: Das ist sehr unterschiedlich. Ein Großteil dürfte in Deutschland aber eher freiberuflich tätig sein. Denn: Bisher haben wir vor allem viele kleinere und mittelgroße Games-Unternehmen in Deutschland. Hier wird häufig sehr projektbasiert gearbeitet. Es gibt also ein festes Kernteam in der Entwicklung. Viele Gewerke werden dann von Freiberuflerinnen und -beruflern geschaffen. Die ganz großen Spiele-Produktionen, bei denen auch zahlreiche Composer und Sound-Designende fest angestellt sind, fehlen uns im internationalen Vergleich noch. Denn bis zum Start der Games-Förderung auf Bundesebene waren die Bedingungen für die Spiele-Produktionen in Deutschland international kaum konkurrenzfähig. Das ändert sich gerade und darum hoffen wir natürlich, dass in Zukunft auch noch mehr größere AAA-Spieleproduktionen entstehen.

nmz: Sie bemängeln eine unzureichende Förderung von Spieleentwicklung in Deutschland. Welche besonderen kulturpolitischen Herausforderungen liegen vor Ihnen?

Falk: Bis 2019 gab es keinerlei Games-Förderung auf Bundesebene. Die Folge waren deutlich höhere Kosten für die Spieleproduktion in Deutschland. Im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Kanada war die Entwicklung eines Spiels in Deutschland bis zu 30 Prozent teurer. Der Grund lag darin, dass diese Länder die Games-Produktion gefördert haben und Deutschland nicht. Wenn man bedenkt, dass große Titel heute auch mal dreistellige Millionenbeträge kosten, wird schnell deutlich, dass ein Unternehmen in Deutschland dadurch kaum konkurrenzfähig war. Das hat zum Glück auch die Politik erkannt. Parteiübergreifend gibt es mittlerweile einen starken Konsens, dass Deutschland bei der Spiele-Produktion international erfolgreicher werden soll. Darum wurde die Games-Förderung mit einem Volumen von 50 Millionen Euro jährlich eingeführt. Ein riesiger Erfolg, der allerdings auch schnell von der Wirklichkeit eingeholt wurde. Denn das Förderprogramm wird – im Gegensatz zu vielen anderen Unterstützungen – so gut angenommen, dass Ende 2022 die Fördermittel aufgebraucht waren. Und zwar nicht nur für das laufende, sondern auch das kommende Jahr. Das war eine richtige Schreckensnachricht. Passenderweise kam die Botschaft aus dem Bundeswirtschaftsministerium an Halloween. Über Nacht bot Deutschland wieder Rahmenbedingungen wie vor der Einführung der Games-Förderung. Doch der Haushaltsausschuss des Bundestages hat die Notlage erkannt und für 2023 weitere 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das hilft erstmal weiter; das grundlegende Problem der zu geringen Fördermittel besteht allerdings weiterhin. Wenn wir das große Potenzial der Games-Branche auch in Deutschland nutzen wollen und die eben erst gestartete Aufholjagd nicht direkt nach dem Start wieder abbrechen möchten, müssen die Fördermittel auf 100 Millionen Euro jährlich angehoben werden. Ansonsten droht bei dem aktuellen Erfolg der Games-Förderung der nächste Förderstopp nur eine Frage der Zeit zu sein. Und diese Unverlässlichkeit bei den Planungen kann sich Deutschland im internationalen Wettbewerb schlicht nicht leisten.

nmz: Es gibt Videospielmusik in renommierten Konzertsälen und Live-Konzerte beziehungsweise -Streams in Online-Videospielen. Gibt es auch Projekte, die Interaktionen zwischen Spiel und Musik ermöglichen? Kommt das Gamen ins Konzert?

Falk: In der aktuellen Medienrealität sehen wir schon seit Jahren, dass Medienformen gerade im Digitalen immer stärker zusammenwachsen. Games sind dafür prädestiniert. Schon lange gibt es das Buch zum Spiel, den Soundtrack und das Konzert zum Spiel oder sogar die Mode zum Spiel. Und auch andersherum etablieren sich die Verknüpfungen. Das haben wir beispielsweise während der Corona-Pandemie gesehen, bei der Konzerte, Theater- oder Sportveranstaltungen in Games umgesetzt wurden.

nmz: Für Viele stehen Videospiele dabei in Konkurrenz zum ambitionierten Erlernen eines Instrumentes. In Ihrer Person verbinden Sie beides: Was entgegnen Sie der Angst, das eine schade dem anderen?

Falk: Ich denke, das Gegenteil ist der Fall. Generell befähigt einen die Beschäftigung mit möglichst unterschiedlichen Dingen, bei der motorisch und geistig ganz verschiedene Bereiche angesprochen werden, besonders gut. Und bei allen Unterschieden verbindet allein der Begriff des Spielerischen Games mit Musik. Viele Kompetenzen habe ich in beiden Bereichen erlernen und trainieren können. Egal ob am Instrument, bei Konzerten, mit Bands und allem was organisatorisch dazu gehört oder beim Gaming, bei dem Teilhaben an Games-Kultur und der Arbeit mit den Unternehmen der Branche: Das Improvisieren, Kommunikation, Verständnis für Kunst und Kultur, das handwerkliche Meistern, Disziplin und Kontinuität und vor allem Kreativität – das allein sind einige Beispiele für solche Fähigkeiten, die ich in beiden Bereichen brauche. Deshalb kann ich Kindern, Jugendlichen aber auch Erwachsenen nur empfehlen, am bes­ten sowohl am Instrument als auch am Computer spielerisch kreativ zu werden.

nmz: Nach einer Umfrage Ihres Verbandes halten sich immer mehr Menschen mit auf Bewegung spezialisierten Videospielen körperlich fit. Gibt es vergleichbare Chancen oder Trends der Gamification auch für das Musizieren und dessen Vermittlung?

Falk: Auf jeden Fall! Viele Musiklern-Apps setzen auf Gamification. Darunter versteht man den Einsatz von Spielmechaniken in Games-fremden Kontexten. Das steigert die Motivation, weil man den eigenen Fortschritt oder den von Freunden sieht, und damit auch den Lernerfolg. Eines der größten Games-Unternehmen aus Europa, Ubisoft, hat mit „Rocksmith“ beispielsweise eine eigene Anwendung geschaffen, mit der man Gitarre und Bass spielen lernen kann. Ich denke, dass wir in Zukunft noch mehr solcher Anwendungen sehen werden.

nmz: Gibt es ein Spiel, das Sie besonders wegen seines Soundtracks empfehlen können? 

Falk: Gutes Sound-Design ist enorm wichtig. Die richtige Verbindung von Story, Spielewelt, Gameplay durch Sound und Musik schafft eine einzigartige Immersion. Ein gutes Beispiel hierfür ist „Tetris Effect“. Der Spiele-Klassiker wurde vor einigen Jahren neu aufgelegt und um eine sehr spannende Musik-Komponente erweitert. Hier erkennt man direkt die Handschrift vom Game-Designer Tetsuya Mizuguchi, der zuvor auch schon das Spiel „Rez“ mitentwickelt hat, das ebenfalls schon eine einmalige Verbindung von Musik und Gameplay geschaffen hat. Das sollte man unbedingt ausprobieren – nicht nur als Games-Fan, sondern auch als Musikerin und Musiker!

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