Hamburg - Vor 175 Jahren feierte das «Lied der Deutschen» Uraufführung in Hamburg. Auch dessen Dichter Hoffmann von Fallersleben war am 5. Oktober 1841 auf dem Jungfernstieg dabei. Das Lied wurde von den Nazis missbraucht, heute ist es die dritte Strophe Nationalhymne.
Es ist eine besondere Uraufführung am 5. Oktober vor 175 Jahren am Hamburger Jungfernstieg: Im Schein brennender Fackeln erklingt am späten Abend erstmals das «Lied der Deutschen» - dessen dritte Strophe heute die Nationalhymne ist. Mitglieder der Hamburger Liedertafel von 1823 und der Hamburger Turnerschaft von 1816 singen auf dem Bürgersteig vor dem damaligen Streit's Hotel zu Ehren des liberalen badischen Politikers Karl Theodor Welcker, der Gast in dem Hotel ist. Auch Lied-Autor August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) ist bei der Premiere anwesend.
«Welcker war damals sehr bekannt, so dass die Menschen geströmt sind - sie standen bis zum Gänsemarkt, Jungfernstieg - überall Schulter an Schulter, um dabei zu sein», sagt der Historiker und Buchautor Hubertus Godeysen. «Es war eine Stimmung voller Sehnsucht. Der Wunsch nach einem geeinigten Deutschland lag in der Luft, aber es sollte noch 30 Jahre dauern, bis er sich endlich erfüllte.»
Die Premiere in Hamburg, das als liberal galt, sei auch eine Demonstration für Freiheit und dem Verlangen nach einer deutschen Verfassung gewesen, betont Godeysen. «Eine Abordnung des Hamburger Senats überreichte Welcker ein Prachtexemplar des Liedes eingebunden mit Leder mit den deutschen Farben Schwarz, Rot, Gold geschmückt.»
Der geschichtliche Hintergrund: Es waren unruhige Zeiten vor der Revolution 1848/49, als Welcker 1841 in Hamburg weilte. «Er war der Führer der liberalen Opposition und - wie Hoffmann - ein beeindruckender Redner», erklärt Gabriele Henkel vom Hoffmann-von-Fallersleben-Museum in Wolfsburg. «Welcker und Hoffmann von Fallersleben vertraten das Ideal eines einigen deutschen Vaterlandes.» Die dritte Strophe des «Lieds der Deutschen» drücke Hoffmanns politisches Ideal von einem geeinten fortschrittlichen Nationalstaat aus, der die Menschen- und Bürgerrechte garantiert.
Deutschland war damals in 39 Einzelstaaten zersplittert. «Deutschland, Deutschland über alles» - so erklang die erste Strophe am Jungfernstieg. «Dieses «Deutschland über alles» - das sollte über diesen 39 Einzelstaaten stehen, das war ganz klar nach innen gerichtet», erklärt der Historiker Thomas Schuler aus Ulm (Baden-Württemberg). «Und nicht, wie es dann später missbraucht wurde, sowohl im Wilhelminischen Kaiserreich und noch viel mehr im Dritten Reich, als dass Deutschland jetzt über anderen Ländern und über der Welt stehen solle.»
Offiziell zur Hymne wurde das Lied erst 1922 ernannt. Die Nationalsozialisten strichen schließlich die zweite und die dritte Strophe und kombinierten die erste mit dem Horst-Wessel-Lied, der NSDAP-Parteihymne. Seit Anfang der 50er Jahre ertönt bei offiziellen Anlässen wieder die unverfängliche dritte Strophe.
Knapp sechs Wochen vor der Uraufführung in der Hansestadt hatte der Germanistikprofessor Hoffmann von Fallersleben das Lied auf der zu dieser Zeit britischen Insel Helgoland geschrieben. Bei der Musik griff er auf die Melodie von Joseph Haydn zurück. Die Entstehung des Werks vor 175 Jahren feierte die Hochseeinsel am 26. August mit einem Festakt. Dort sagte der frühere SPD-Vorsitzende Björn Engholm in seiner Rede: «Bis heute hat das Lied als einigendes Staatssymbol nicht den Rang erlangt, den es besitzen sollte und könnte.»
Godeysen bezeichnet die Hymne als «norddeutsche Erfolgsgeschichte». «Der Dichter kommt aus Fallersleben, heute ein Ortsteil von Wolfsburg. Er dichtete auf Helgoland», erklärt der 67-Jährige. «Der Hamburger Verleger Campe kaufte und veröffentlichte das Lied, und die Uraufführung fand am Jungfernstieg in der Hansestadt statt.»
Vor einigen Wochen erklang das «Lied der Deutschen» erneut am Jungfernstieg. Der Männerchor Hamburger Liedertafel, ältester Chor der Hansestadt, sang es für Filmaufnahmen. «Es war ergreifend, ein solch historisches Erbe weiterzutragen», sagte der Vereinsvorsitzende Gerhard Pfeiffer anschließend. Sein Chor trug das Lied danach noch einmal bei einem Senatsempfang zum 200. Geburtstag der Hamburger Turnerschaft vor. Ein Feier zum Jubiläum der Uraufführung gibt es in Hamburg laut Behörden aber nicht.