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Streit um die Berliner Volksbühne - Neustart oder Erbhof?

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Berlin - Ganz klar: Die Fronten sind verhärtet. In offenen Briefen tragen Künstler derzeit den Konflikt um die Zukunft der Berliner Volksbühne aus. Der Mann im Auge des Orkans heißt Chris Dercon - und bleibt ganz ruhig. Schließlich übernimmt der 57-jährige Belgier seinen Posten als umstrittener Nachfolger von Volksbühnen-Intendant Frank Castorf (64) erst im Sommer 2017.

Normal wäre es, dass man dem Neuen Zeit für die Ausarbeitung seiner Pläne lässt, die er dann frühestens im Frühjahr nächsten Jahres vorstellen würde. Im Sommer 2017 wird es übrigens auch am traditionsreichen Berliner Ensemble einen ebenfalls einschneidenden personellen Wechsel geben: Dort tritt Theaterpatriarch Claus Peymann (79) ab und macht Platz für Oliver Reese (52) - von Aufstand aber keine Rede. Dafür mischte Peymann schon gewaltig in der Dercon-Debatte mit und mahnte früh, die ein Vierteljahrhundert lang von Castorf geführte Anarcho-Bühne dürfe nach dem Antritt Dercons auf keinen Fall eine Event-Bude werden.

Schon seit Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) im vergangenen Jahr die Personalie Dercon bekannt gab, gärt es in der Kulturszene. Es stimmt: Dercon ist kein Theatermann, sondern ein international vernetzter Museumsmacher und Kulturmanager. Zuletzt war er Direktor des Londoner Museums Tate Modern und von 2003 bis 2011 Direktor am Haus der Kunst München, wo er unter anderem mit Christoph Schlingensief und Ai Weiwei zusammenarbeitete.

Viele Volksbühnen-Mitarbeiter - darunter Schauspielstars wie Sophie Rois, Matthias Wuttke und Birgit Minichmayr - sehen dem Intendantenwechsel mit großer Sorge entgegen. «Dieser Intendantenwechsel ist keine freundliche Übernahme», heißt es in dem jüngst veröffentlichten offenen Brief der Theaterleute. «Er ist eine irreversible Zäsur und ein Bruch in der jüngeren Theatergeschichte, während der die Volksbühne vor der Umwidmung in ein Tanz- und Festspielhaus bewahrt werden konnte.» Die Dercon-Gegner befürchten für die Volksbühne eine «historische Nivellierung und Schleifung von Identität.»

Am Wochenende machten dann Dercons Museumsfreunde sowie zahlreiche internationale Künstler mobil und stärkten dem künftigen Volksbühnenchef in einem offenen Brief den Rücken. Berlin sei zu seiner kühnen und inspirierten Wahl zu beglückwünschen», heißt es in dem unter anderem von Okwui Enwezor, dem Direktor des Münchner Hauses der Kunst, den Architekten David Chipperfield und Rem Koolhaas, der Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker sowie Filmemacher Alexander Kluge unterzeichneten Schreiben. «Indem wir Chris Dercon unterstützen, hoffen wir, dass die Vernunft über alarmistischen Sensationalismus siegt», so die Unterzeichner.

«Der Zeitplan sieht weiter vor, dass Herr Dercon im Frühjahr 2017 sein Programm vorstellen wird», teilte ein Sprecher der Kulturverwaltung am Montag mit. «Man muss Chris Dercon und das Vorbereitungsteam jetzt in Ruhe arbeiten lassen.» Derzeit führe Dercon auch weiter Personalgespräche.

«Es ist ein ganz normaler Vorgang, dass bei Intendantenwechseln bei künstlerischen Beschäftigten nach dem sogenannten NV-Bühne-Vertrag sogenannte Nicht-Verlängerungsgespräche geführt und Nicht-Verlängerungsverfahren eingeleitet werden. Nach derzeitigem Stand gibt es 20 bis 25 Nichtverlängerungsverfahren. Beim nicht-künstlerischen Personal sind aus heutiger Sicht keine Kündigungen möglich oder geplant», sagte der Sprecher. Darüber hatte die «Berliner Zeitung» berichtet.

Bei Franz Wille vom Fachmagazin «Theater heute» stößt die heftig geführte Debatte um Dercon auf Unverständnis. Es sei vollkommen üblich, dass zwei Drittel bis drei Viertel des Schauspieler- und künstlerischen Apparates ausgetauscht würden. «Es ist ein richtiger Neustart, das soll auch so sein.» Die Stadttheater sollten so davor bewahrt werden, Erbhöfe zu werden. Und: «Fairerweise muss man jetzt erst Herrn Dercon die Möglichkeit geben, sein Programm vorzustellen und anzufangen. Man kann ja nicht in die Tonne treten, was man noch gar nicht kennt.»

 

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