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Studie: Klassische Musik ist blind für Zukunftssorgen

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Friedrichshafen - Das alternde Klassik-Publikum stirbt bald aus, doch Feuilleton-Journalisten wie auch Intendanten, Operndirektoren und Kulturpolitiker sehen über das Problem einfach hinweg. Zu diesem Schluss kommen Kulturforscher der Zeppelin Universität in ihrer Analyse der Klassik-Berichterstattung in den Medien. "Die Klassik-Branche ist in ihrer Zuversicht scheinbar blind für Zukunftssorgen. Das Thema Publikumsschwund wird verdrängt, verdeckt oder einfach verschwiegen", so Studienautor Markus Rhomberg im pressetext-Interview.

Probleme haben nur andere

Der Hauptautor der Studie, Martin Tröndle, hat bereits im Vorjahr mit seinem Buch "Das Konzert" die Klassikwelt in Aufruhr gebracht. Seine Prophezeiung eines dramatischen Niedergangs der Opern- und Konzerthäuser rief zahlreiche Berichte und Interviews über die Problematik hervor. "Wir haben analysiert, wie sich die Akteure verhalten, die zu Klassikthemen in den Medien auftreten - also vor allem die Intendanten und Kulturjournalisten", berichtet Rhomberg.

Wie ein roter Faden durchzogen drei Strategien die Stellungnahmen. "Viele verdrängen das Thema, indem sie sagen: 'Das Problem gibt es zwar in anderen Häusern, bei uns jedoch nicht.' Oftmals übersehen sie dabei, dass die gesamte Besucherzahl zwar konstant ist, jene der Jungen jedoch nicht - denn demografische Erhebungen werden kaum gemacht." Ein zweiter Ansatz sei jener der Verdeckung, da sich Kulturschaffende nicht um ihre öffentlichen Förderungen bringen wollen, ein dritter jener der Negierung des Problems.

Konzert als Ritual hat ausgedient

Dagegen spricht allerdings, dass das Durchschnittsalter des Konzertpublikums schon heute bei 55 bis 60 Jahren liegt und seit 1990 um elf Jahre - dreimal schneller als das Durchschnittsalter der Bevölkerung - stieg. "Die Liebe zur Klassik ist keine Alterserscheinung. Beschränken sich Aufführungsstätten in ihrer Jugendarbeit darauf, das Publikum zu vorhandenen Konzert- und Inszenierungsformen heranzuführen, so schaffen es am Ende vielleicht einige Jugendliche, eine 'Zauberflöte' durchzustehen. Es gelingt aber kaum, dass das Angebot gerne und freiwillig angenommen wird", so Rhomberg.

Damit dieses Ziel erreicht werde, seien Schritte von beiden Seiten nötig, betont der Forscher. "Das klassische Konzert muss sich neu erfinden - so wie es das in der Geschichte schon oft getan hat. Die Allgegenwart der neuen Medien ist etwa noch kaum im Konzert angekommen, zudem muss man auf die geringere Aufmerksamkeitsspanne der Jugend reagieren. Heute ist man an Unterhaltungsclips gewohnt, die drei bis fünf Minuten dauern. Das Ritual des Konzerts schreckt hingegen viele ab", so Rhomberg. Kontraproduktiv sei auch das oft von Feuilletons gepflegte elitäre Klassik-Verständnis.

Kulturförderung steht auf dem Spiel

Die Suche nach der Zukunftsstrategie für klassische Musik ist ein hochpolitisches Thema - gehen doch rund 30 Prozent der Kulturausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden an die Musikförderung. "Auffallend wenige Politiker haben sich bisher geäußert. Denn würden sie sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen, wären sie gefordert, die Maßstäbe der öffentlichen Kulturförderung zu hinterfragen", so der Forscher. Der historische Vergleich zeige allerdings, dass meist private Akteure abseits öffentlicher Kulturförderung die wegweisenden Innovationen entwickelt haben.

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