München - Nur wenige neue Opern können sich durchsetzen, die meisten verschwinden schnell wieder in der Versenkung. Wenn die Bayerische Staatsoper eine brandneue Oper herausbringt, lässt sich das Theater nicht lumpen. Besetzung, Regisseur, Dirigent - für die am Sonntag (31.1.) vorgesehene Uraufführung von «South Pole», der ersten abendfüllenden Oper des tschechischen Komponisten Miroslav Srnka, ist alles vom Feinsten.
Je weniger prominent der Komponist oder das Werk sind, desto mehr Aufwand braucht die künstlerische und mediale Realisierung. Das ist so etwas wie ein Grundgesetz, wenn es um neue Opern geht. Schließlich wollen Kritiker angelockt und die mehrheitlich eher konservativen Abonnenten angesprochen werden. Doch oft verpufft das Ergebnis dann wieder ziemlich schnell.
Viele aufwendig produzierte Auftragswerke verschwinden schon nach dem Uraufführungszyklus und vielleicht einer oder zwei Wiederaufnahmen in der Versenkung. Echte Durchläufer, gar Welterfolge, sind selten geworden.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das noch anders. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Komponisten wie Richard Strauss, Erich Wolfgang Korngold, Franz Schreker oder Alban Berg die Avantgarde. Viele ihrer oft szenisch wie musikalisch gewagten Opern gingen in Windeseile durch die deutschsprachigen Länder und sogar um die Welt. Nach dem Krieg gelang etwa Benjamin Britten mit «Peter Grimes» noch einmal ein solcher Renner, eingeschränkt gilt das auch für Aribert Reimanns «Lear» oder Bernd Alois Zimmermanns «Die Soldaten».
In neuester Zeit kann man es schon als durchschlagenden Erfolg verbuchen, wenn ein Werk noch in einer Handvoll weiterer europäischer Häuser gezeigt wird. Doch selbst die Stars unter den Neutönern wie Luigi Nono, Hans Werner Henze und Wolfgang Rihm haben es nicht wirklich ins Repertoire geschafft, das seit Jahrzehnten wie in Stein gemeißelt von Mozarts «Zauberflöte» als meist gespielter Oper überhaupt angeführt wird - gefolgt von Engelbert Humperdincks «Hänsel und Gretel» sowie Verdis «La Traviata».
Unter den 50 Opern mit den höchsten Aufführungszahlen listet die aktuelle Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins kein einziges zeitgenössisches Musiktheaterstück auf. Woran liegt das? «Schwere Frage», meint Bernhard Pfau, Leiter der Bühnen- und Konzertabteilung beim renommierten Schott-Musikverlag in Mainz - schließlich führen solcherlei ästhetische Fragen schnell aufs populistische Glatteis.
Liegt es an der schweren Verständlichkeit der aktuellen Musiksprache? An allzu abstrakten Libretti, die keine Geschichten mehr zu erzählen wissen? Pfau widerspricht der gängigen Einschätzung und verweist auf die Erfolge von durchaus sperrigen Werken wie Zimmermanns «Soldaten», jüngst in München mit überwältigendem Publikumserfolg aufgeführt, oder Helmut Lachenmanns «Das Mädchen mit den Schwefelhölzern».
Pfau sieht den Hauptgrund in den heutigen Produktionsverhältnissen. Zum einen stünden generell viel weniger unterschiedliche Werke auf den Spielplänen als früher. «Da bleibt neben dem Kern-Repertoire, das für volle Häuser sorgen muss, wenig Platz für Neues.» Und wenn man denn etwas Zeitgenössisches auf den Spielplan hebe, müsse das oft schon eine Uraufführung sein, die sich auch gut vermarkten lasse.
Die Bayerische Staatsoper in München hebt neben den eigenen Uraufführungen auch an anderen Häusern entstandene Auftragswerke ins Programm. Dass die modernen Werke es schwerer ins breite Repertoire schaffen als in früheren Epochen, mag Intendant Nikolaus Bachler nicht gelten lassen. «Herausragendes wurde damals wie heute komponiert. Die Zeit wird zeigen, welche dieser Werke uns wieder begegnen werden.» Auch zu Mozarts Zeiten hätten die Opern nach den Premieren oft einige Jahre in der Schublade gelegen und seien dann Schritt für Schritt zu einem fixen Bestandteil des Kanons geworden - oder auch nicht.
Dass die Opernhäuser hierzulande keine Lust aufs Neue hätten, kann man nicht sagen. So wurden in der Saison 2013/2014 im deutschsprachigen Raum immerhin 85 zeitgenössische Opern herausgebracht, nur drei weniger als in der Saison zuvor. Aber es scheint sich eben trotz aller Anstrengungen kein echter Kanon neuer Werke herauszubilden.
Interview von Georg Etscheit, dpa:
Bachler: «Herausragendes gab es damals wie heute»
München - Neue Opern haben es oft schwer. Warum viele nur wenige Male aufgeführt werden und ob es dennoch herausragende zeitgenössische Komponisten gibt, erläutert Nikolaus Bachler, der Intendant der Bayerischen Staatsoper in München, der Deutschen Presse-Agentur.
Frage: Es scheint, als wenn die allermeisten Uraufführungen neuer Opern nach der ersten oder zweiten Aufführungsserie wieder in der Versenkung verschwinden und nicht mehr oder nur selten noch einmal aufgeführt werden. Stimmt dieser Eindruck?
Antwort: Ein großes Haus wie die Bayerische Staatsoper hat die Pflicht, lebende Komponisten mit Kompositionsaufträgen zu unterstützen. Die Bayerische Staatsoper präsentiert übrigens auch abseits der großen Uraufführungen im Nationaltheater jedes Jahr mindestens zwei weitere neue Werke, wie zum Beispiel in dieser Saison «Tonguecat» (Saskia Bladt/Thorsten Herrmann) oder «Mauerschau» von Hauke Berheide.
Frage: Schaffen es heute Opern generell schwerer ins Repertoire als in früheren Epochen?
Antwort: Es gibt hier wenig Unterschied zu Opern aus dem klassischen Repertoire, der Ablauf ist derselbe: Eine Oper feierte auch zu Zeiten Mozarts Premiere, wurde ein Erfolg oder Misserfolg, wurde eventuell bearbeitet, lag einige Jahre in der Schublade und wurde dann Schritt für Schritt zu einem fixen Bestandteil des Opernkanons - oder eben nicht.
Frage: Würde die Bayerische Staatsoper an anderen Häusern entstandene Auftragswerke gegebenenfalls übernehmen? Oder verspricht man sich nur von Uraufführungen die entsprechende Aufmerksamkeit?
Antwort: Nur zwei Beispiele: Die Bayerische Staatsoper hat im Sommer 2013 George Benjamins «Written on Skin» aus Aix-en-Provence übernommen, zu den Festspielen 2015 stand Poul Ruders' «Selma Jezkova» in einer Neuinszenierung auf dem Programm.
Frage: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es viele brandneue Opern, die sehr schnell zu Welterfolgen wurden. Wäre so etwas heute noch möglich?
Antwort: Davon bin ich überzeugt. Herausragendes wurde damals wie heute komponiert. Die Zeit wird zeigen, welche dieser Werke uns wieder begegnen werden. Darüber zu spekulieren, wäre zu früh.
ZUR PERSON: Nikolaus Bachler leitet seit September 2008 als Intendant die Bayerische Staatsoper. Sein Vertrag wurde im vergangenen Herbst bis ins Jahr 2021 verlängert. Viele Kulturfreunde freute diese Nachricht: Gemeinsam mit Chefdirigent Kirill Petrenko verhalf Bachler der Staatsoper zu zahlreichen gefeierten Inszenierungen.