Seit bald acht Jahren leitet Oliver Reese das Schauspiel Frankfurt. Wenn er geht, kommt die Baustelle. Damit wird dann sein Nachfolger klarkommen müssen.
Wenn Oliver Reese am Ende der Spielzeit auf seine Frankfurter Jahre zurückblickt, dann ohne Zorn. „Es wird eine glückliche Theaterzeit gewesen sein“, sagt der scheidende Intendant, der im Sommer nach Berlin wechselt. „Die Frankfurter unterschätzen sich gern. Dabei sind sie, entgegen aller Warnungen, ein offenes Publikum mit großer Liebesfähigkeit für Schauspieler. Ganz wunderbar.“
Seinem Nachfolger Anselm Weber wünscht er gute Nerven. Der übernimmt ein künstlerisch sehr erfolgreiches, aber baulich völlig marodes Haus. Ein erstes Gutachten hat gezeigt, dass die Lage viel schlimmer ist als bis dahin bekannt. Die Sanierung der Doppelanlage am Willy-Brandt-Platz, die sich Schauspiel und Oper teilen, könnte bis zu 300 Millionen Euro kosten. Eine zweite Studie soll 2017 aufzeigen, welche Möglichkeiten für eine Sanierung es gibt. „Das wird noch schwieriger, als es nach den ersten Stürmen inklusive Abrissforderungen und dem sofortigen Bürgerprotest dagegen aussieht“, sagt Reese. „Es wird einfach sehr teuer. Aber man darf es glauben: die Sanierung muss sein. Und zwar am Willy-Brandt-Platz.“
Seinen Abschied denkt sich Reese als einen leisen. Einen prächtigen Bildband mit den Highlights seiner Arbeit wird es nicht geben. „Das dient nur der Selbstbeweihräucherung.“ Wenn er sich am Ende dieser Spielzeit aus Hessen verabschiedet, dann mit einer Party. „One for the Road“ wird der Abend heißen, mit dem der scheidende Intendant am 24. Juni seinen Ausstand gibt.
Seine Wege führen ihn zurück nach Berlin, wo er Claus Peymann als Intendant des Berliner Ensembles beerbt. Aus Berlin war Reese 2009 nach Frankfurt gekommen. Der gebürtige Paderborner war dort Chefdramaturg am Maxim-Gorki-Theater, dann wechselte er ans Deutsche Theater, wo er erst Chefdramaturg und später Intendant war.
In Frankfurt gab es viel zu tun. Das von vielen als kopflastig empfundene Theater mit seinen Experimenten und Debatten, das er von seiner Vorgängerin Elisabeth Schweeger übernahm, war in der Stadt nie gut gelitten. „Reese hat den Frankfurtern ihr Theater zurückgegeben“, sagte der damalige Kulturdezernent Felix Semmelroth (CDU), als Reese seinen letzten Frankfurter Spielplan vorstellte. Endlich hatte die Stadt wieder ein festes Ensemble mit Namen und Gesichtern.
Im Juni 2017 schließt sich der Kreis. Dann wird die inzwischen legendäre „Ödipus“-Inszenierung von Michael Thalheimer, mit der Reese 2009 seine erste Spielzeit eröffnete, zum Abschied erneut aufgeführt – Open-Air am Mainufer. Viel Antike war zu sehen in diesen acht Jahren, aber auch viel Neues und Gewagtes: Er brachte „Das weiße Album“ von den Beatles als Theaterstück auf die Bühne, baute die Grass'sche „Blechtrommel“ zum Ein-Personen-Stück um, ließ die Band Tiger Lillies live die Döblin'sche „Geschichte von Franz Biberkopf“ interpretieren.
Das Politische kam über dem Literarischen nicht zu kurz. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise stampfte das Schauspiel ein „Festival Fluchtpunkt Frankfurt“ von, mit und für Schutzsuchende aus dem Boden.
Reese bewies bei der Stück-Auswahl einen guten Riecher – zum Beispiel mit „Terror“ von Ferdinand von Schirach, einem Stück mit zwei verschiedenen Enden, bei dem das Publikum abstimmen musste, welches Ende gespielt wurde.
In der vergangenen Spielzeit lag die Auslastung laut Pressesprecher Martin Windolph bei 88,6 Prozent. Im Vergleich zu der Zeit vor Reeses Amtsantritt habe man die Einnahmen verdoppelt, die Besucherzahl um 50 und die Abonnentenzahl um über 175 Prozent steigern können.
„Ich liebe diesen Beruf, aber er ist irrsinnig anstrengend“, schrieb Reese im Herbst in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Er hinterlässt in Frankfurt Spuren: Im Foyer baute er ein Miniaturtheater mit 66 Plätzen namens „Box“ für Experimentelles auf kleinstem Raum. Er gründete drei „Studios“ für Nachwuchs-Schauspieler, -Regisseure und -Autoren, quasi eine hauseigene Talentschmiede.
Dass Frankfurt nun wieder etwas Neues bevorsteht, findet Reese nicht schlimm: „Das Theater braucht Wechsel und Erneuerung, es geht um öffentliche Einrichtungen und nicht um Erbpachthöfe.“