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Tiefreligiöser Prophet mit Hollywood-Glamour

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Ein Bericht über das siebte Kurt-Weill-Fest in Dessau
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Seit 1993 veranstaltet die Bauhaus-Stadt jährlich das zehntägige Kurt-Weill-Fest. Das hat sich durch konsequente Programmpolitik mittlerweile zum „wichtigsten Festival für Musik des 20. Jahrhunderts in Mitteldeutschland“ (so Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner) gemausert. Nun wurde es Zeit, daß der kleine Organisations-Stab aufgestockt wird. Ab dem nächsten Jahr liegt die künstlerische Gesamtleitung in den Händen des Schweden Patrik Ringborg. Nachdem 1998 die Zeit der Weimarer Republik im Mittelpunkt stand, wehte in diesem Jahr ein Hauch von Broadway durch die beschauliche Mulden-Stadt. Mit dem Schwerpunkt auf dem „amerikanischen“ Weill wollten die Veranstalter hierzulande Unbekanntes ins Licht rücken. Der 99er Jahrgang des Festivals war so der bisher programmatisch interessanteste. Nicht nur zahlreiche Opern, Musicals und Shows wurden gespielt, sondern auch der vierte Akt „Propheten“ des Bibelspiels „The Eternal Road“ („Der Weg der Verheißung“). Es gibt noch viel zu entdecken an Kurt Weill. Andreas Altenhof, derzeit noch künstlerischer Leiter des Festivals, beschreibt den Ansatz so: „Wir wollen zeigen, daß er kein Bindestrich-Komponist war.“ Denn vereinnahmen läßt er sich wirklich nicht. Da sind auf der einen Seite die tief religiösen „Propheten“, auf der anderen Seite die glamourösen Shows. Links die tragische Oper, rechts ein Buffo-Stück. Das alles ist Weill, und in dieser Breite kann man seine Musik nur in Dessau erleben. Auch nach drei Jahren gehört „Silbersee“ immer noch zu den Dauerbrennern des Festivals. „Ein Wintermärchen“ nannte der Librettist Georg Kaiser das Stück. Helmut Straßburger versteht es, das Märchenhafte ebenso einzufangen wie die Parallelen zur Wirklichkeit von Arbeits- und Obdachlosigkeit. Die Zuschauer sitzen auf der Bühne, während der Saal zum Silbersee wird, der mitten im Frühling eine Eisdecke bekommt, damit sich die beiden Helden nicht ertränken können: der Not und der Armut kann man sich nicht einfach durch Selbstmord entziehen. Spannend war auch die erste diesjährige Premiere: Die Verbindung des tragischen Einakters „Der Diktator“ von Ernst Krenek mit Weills „Der Zar läßt sich photographieren“ liegt nahe. Beide Kurzopern handeln von der Einsamkeit der Herrschenden, deren Privatleben nie verborgen bleibt. „Diktatur der Öffentlichkeit“ nannte dies Freo Majer, der mit dem Programm seine Diplom-Inszenierung an der Berliner Musikhochschule vorlegte. Der Seitenblick auf Bill und Monica war nicht zu übersehen, doch das allein macht noch keine Inszenierung. Da wurde im „Diktator“ in alle nur erdenklichen Richtungen gedacht, Figuren hüpften über die Bühne, während die Hauptfigur zumeist im dunklen Hintergrund sang. Nebulös blieben auch die Figurenkonstellationen und die unfreiwillige Komik von Weills Buffo-Oper. Schade: Denn was Ringborg am Pult dem Deutschen Filmorchester entlockte, läßt hoffen. Wühlte er schon im „Diktator“ konsequent in den untersten Schichten der zwischen Wagner und Puccini anzusiedelnden Partitur, so kehrte er im Weill-Stück mit beeindruckender Konsequenz den feinsinnigen Humor heraus. Überraschend fand sich auf dem Programm auch eine neue „Dreigroschenoper“. Denn erst im vorigen Jahr hatte der Dauerbrenner Premiere. Doch weil die biedere Produktion damals durchfiel, wurde sie abgesetzt und zum diesjährigen Kurt-Weill-Fest durch eine völlig neue Inszenierung ersetzt. Das Regieteam Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering näherte sich dem Stoff nun weniger huldvoll als ihr Vorgänger. Dirigent Karl-Heinz Zettl zeigte von Beginn an mit flotten Tempi, daß die Komposition mehr als nur Schauspielmusik ist. Wie locker man sich selbst in Dessau Weills Werk nähert, zeigt die freizügige Besetzung. Im Programmheft war die Berliner Sängerin Pascal von Wroblewsky lediglich als Moritatensängerin angekündigt. So sang sie zunächst das Lied vom Haifisch, der Zähne hat: mit einer gehörig individuellen Note und reichlich dunklem und warmem Timbre. Doch dann trat sie immer wieder auch zwischendurch auf und bot nahezu alle Frauen-Songs. Währenddessen blieben die eigentlichen Protagonisten im Hintergrund stehen. Eine interessante Idee, da bei den Songs die Handlung sowieso meist am Ort tritt. Man kann darüber diskutieren, ob sich die Musik derart vom Schauspiel trennen läßt, wie es da vorgeführt wurde. Doch dem Regie-Team ist damit etwas Erstaunliches gelungen: Eine Weill-Interpretin singt einen Großteil der Songs und dennoch ist die Inszenierung kein Pascal-von-Wroblewsky-Liederabend geworden. Wenn beim Dessauer Kurt-Weill-Fest auch in Zukunft solche frischen Inszenierungen zu erleben sind, können die Veranstalter zuversichtlich in die Zukunft schauen

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