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Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Uli Kostenbader. Foto: privat
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Über den Fluch, nützlich sein zu müssen

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Nur das Beste darf gut genug sein: Uli Kostenbader zum Thema „Deutscher Musikrat 2012 – Pläne und Visionen“
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Es tut sich Wundersames im Deutschen Musikrat: Selbstbewusst regt er sich, lebendig wirkt er allenthalben, Strategiekommissionen und Fachausschüsse, Beiräte und spontane Arbeitsgruppen produzieren am laufenden Band. Und nicht zu schlecht. Über Musikpolitik wird disputiert, über den Wert der Kreativität und über kulturelle Vielfalt, über Zivilgesellschaft und ihre Anforderungen, ja selbst über Kampagnenmöglichkeiten.

Der Außenstehende dürfte sich die Augen reiben: Berliner Appelle postulieren Vernetzung zu anderen Kulturbereichen, sie fordern transkulturellen Dialog als Querschnittsaufgabe musikalischer Bildung, eine Sonderhäuser Erklärung unterstreicht und belegt die Bedeutung des Ehrenamtes und die Rolle des Föderalismus. Zur musikalischen Bildung liegen gleich eine ganze Reihe von Resolutionen und Memoranden vor, von Musik in der Ganztagsschule bis zu Fragen der Ausbildung in musikpädagogischen Berufen. Es sprießt, es knospt, es entstehen Resolutionen (Laienmusizieren in Deutschland), Positionierungen und Forderungen (Rheinsberger Erklärung zur Zukunft der Musikberufe; Wiesbadener Erklärung zum Musizieren im Alter). Sogar bundesweite Tage der Musik werden – für das erste Mal durchaus erfolgreich – beharrlich umgesetzt.

Strategische Planung? Zielorientiertes Handeln? Führungskompetenz an der Spitze? Eher ist es der Zufall eines „jetzt erst recht“, eine Art musikpolitische Graswurzeldemokratie. Sie imponiert, oft wider Willen. Ihre Erfolge sind leider aber wehmutbehaftet genug, um dem Lob einen Schatten von Wahrheit zu geben. Denn:

Es fehlt an Autorität. Gerüstet wird stattdessen zur derzeit letzten Kunst: der Auflösung. Denn im Herbst wird gewählt im Deutschen Musikrat. Das Interesse richtet sich auf das Präsidentenamt. Strategiediskussionen sind da wohl am falschen Platz. Auch an der Spitze. Top down bleiben so die Fragen unbeantwortet, wie denn das Musikleben dieses Landes künftig effektiv zu unterstützen sei, mit welchen Strategien man seine Zukunft wie auch die des Deutschen Musikrates sichern wolle, wie in finanziell kärglichen Zeiten zu agieren sei, wie organisatorische Strukturen in unserer musikalischen Landschaft weiter zu entwickeln seien. Gipfelleistungen und Visionen sind derzeit jedenfalls nicht in Sicht und auf Matadoren-Ebene liegt die Erkenntnis nahe, suchend den Gral wohl niemals finden zu können. In umgekehrter Richtung aber, von unten in der Hierarchie nach oben, wird eifrig disputiert, nicht nur aus der Mitte des Präsidiums heraus, sondern auch in Mitgliedsverbänden und Landesmusikräten, autoritätskritisch, selbstbewusst und unabhängig, wenn auch häufig mit federleichter Ironie. Gerade auch die Konferenz der Landesmusikräte propagiert heute Reiz und Notwendigkeit unabhängiger Musikpolitik und fordert unter anderem, dem Wirken vieler tausend Ehrenamtlicher im Lande endlich das nötige Gewicht zu verleihen.
In dieser Situation dominiert aber vielerorts der unfröhliche Zweifel, man erlebe einerseits zu viel und dann doch nicht genug. Es fehle die Vision, die dem Führen Autorität verleihen könne. Nicht dass es dort einen Mangel an Geschäftigkeit gebe. Wer aber überall sei, sei nirgendwo. Auch im übertragenen Sinne: Handlungsbezüge zu übergeordneten Zielen wären wenig erkennbar. Weil Intuition kein Ersatz für strategische Planung sei, gelte der Schrecken der Beliebigkeit. Man wird – im neuen Präsidium – dann wohl dem Eindruck entgegen treten müssen, dass ein höchstes Amt zum Selbstläufer kritischer Distanzierung wird.

Unbeschadet dessen leisten sie fleißig und engagiert Beachtliches, die Ehrenämtler in Präsidium und Beiräten, Fachausschüssen und Kommissionen. Häufig mit dem Mut der Verzweiflung, so ist zu befürchten, aber immerhin. Und auch die hauptamtlichen Mitarbeiter realisieren tagtäglich das Beste, was ihnen begrenzte Ressourcen erlauben. Die Wunder werden wohl am meisten geschätzt, die sich alle Tage ereignen. Es ist viel stumme Einsicht zu vermuten, dass man – wo Ambivalenz spürbar ist – doch wenigstens sein Handwerk zu beherrschen habe. Kultiviert wird so jedoch die Kunst des Nachgeschmacks mit ihrer eigenen, oft bitter-süßen Wahrheit ...

Der Wahrheit beispielsweise, dass es Situationen gibt, in denen die Mühe des Ordnunghaltens  eben das durcheinander zu bringen droht, was sie zu bewirken versucht. Oder die Sorge, dass abzusehen sei, wie die künftige Ordnung des Musikrates dem Zufall ministerialbürokratischer Langeweile in der einen oder anderen Amtsstube anheim zu fallen droht. Weiß man doch, wie gern der Zufall Schicksal spielt. Oder, dass es der Bonner Projektgesellschaft des DMR derzeit verwehrt ist, ihr Eigenkapital zu erhöhen und man – weil staatliche Bürokratie dies zu verhindern sucht – Glücksritterstrukturen zu Lasten des Steuerzahlers wird pflegen müssen. Oder, dass eine Reflexion der Kernaufgaben des Musikrates zwar auf vielen Ebenen dieser Institution betrieben wird, nicht aber in Form von Zielvereinbarungen mit den Zuwendungsgebern. Ganz zu schweigen von der Wahrheit, dass das große Ziel einer Fusion des Vereins Deutscher Musikrat mit seiner Projektgesellschaft fürs Erste wohl verspielt worden ist. Auch dieser Traum hätte wahr werden können, hätte es an der Spitze Konsequenz und Mut gegeben, ihm beharrlich genug zu folgen.

Wichtig wird daher künftig sein: Keineswegs darf ein Präsidentenamt nur Scheinanforderungen genügen. Derzeit läuft es Gefahr, mit einem Transmissionsriemen des Verwaltungsdenkens verwechselt zu werden. Interessensvertretung für Musik darf niemals um sich selbst kreisen, kann doch auch Tätigkeit zur schlechten Gewohnheit werden. Nicht weiter hilft es da, dies tapfer und aus Gewissenhaftigkeit zu leugnen. Die Freude über die vielen erfolgreichen Projekte des Musikrates in Bonn und Berlin wäre sonst zwiespältig. Für den Musikrat jedenfalls ist auf Dauer nur das Beste genug. Und das Beste ist die Wahrheit auch des Hier und Jetzt. Trösten wir uns: Nichts ist definitiv in der Welt der Kunst, alles ist nur Vorbereitung auf höhere Stufen der Entwicklung. Es gibt eben keinen Augenblick wie den der Neige.

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