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Übergang zur Moderne

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Zum 10. Internationalen Lübecker Kammermusikfest
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nmz 2000/10 | Seite 51
49. Jahrgang | Oktober

Oper & Konzert

Übergang zur Moderne

Zum 10. Internationalen Lübecker Kammermusikfest

Jubiläen können angenehme Feiern sein. Zumal beim unprätentiösen Umgang mit deren Anlässen. Davon gab es Anfang Juni in Lübeck zwei zugleich: den 10. Geburtstag des Kammermusikfests und den 150. Geburtstag eines seiner Patrone, des Pianisten und Komponisten Xaver Scharwenka (1850–1924). Dessen Lebensdaten bilden auch die ungefähre Zeitklammer für Konzept und Programm des dreitägigen Festivals. Nämlich anderswo nicht beachtete Musik-Merkposten diverser Schichten und Niveaus von der Romantik bis zum Übergang zur Moderne von namhaften Solisten und Ensembles sowie begabten Talenten zu präsentieren. Ein exzentrischer Mix, der das Prestige dieser Konzerte insofern beförderte, als sie, aus internationaler Szene besetzt und dort auch rezipiert, ziemlich konstant vor jedesmal vollem Saal stattfanden.

Zu den Favoriten gehörten im Jubiläumsjahr die drei Meister-Solisten von „The Romantic Chamber Group of London“, die mit Philip Scharwenkas Klaviertrio G-Dur opus 112 einen Überraschungscoup landeten: Denn diese Musik ist völlig bei sich, sie breitet sich in notierten Glücksmomenten aus. Und dann Eduard Brunner, der mit seiner Klarinette und dem Vlach- Quartett aus Prag das empfindsame, im Andante elegische opus 102 von Eduard Fuchs aufführte. Geschrieben 1914 ist dies ein Werk ohne Ahnung vom nahenden Krieg, die allerdings in den vier Stücken für Klarinette und Klavier opus 5 von Alban Berg aus dem Jahr zuvor zumindest in beklemmender Unruhe zu spüren ist. Wobei der perfekte Klavierpart von der künstlerischen Leiterin des Festivals, Prof. Evelinde Trenkner, daran erheblichen Anteil hatte. Im Übrigen war Bergs Musik zu Fuchs‘ spätromantischer Tonsprache ein expressiver Kontrast, der nochmals mit Strawinskys drei Stücken für Klarinette Solo und dem von Brunner 1995 entdeckten „Pour Pablo Picasso“ gebrochen wurde. So bündelte er höchst anspruchsvoll die Zeitlinien des Festivals in kleinsten Einheiten.

Weniger anspruchsvoll, aber mit vereinnahmendem Charme erwies die Grand Dame der Renaissance von Xaver Scharwenkas Musik, Seta Tanyel, dem ehemaligen Grandseigneur des Pianos die Reverenz. Mit rasanter Virtuosität widmete sie sich seinem „Polnischen Tanz“ opus 3 und anderen Werken opulenter Klavierklänge. Diese Tendenz zeigte sich auch in der unvermeidlichen Verbeugung zum 250. Geburtstag von Johann Sebastian Bach: Bearbeitungen der „Toccata & Fuge d-Moll“ und des „Brandenburgischen Konzerts Nr. 3“ von Max Reger stellte das renommierte Klavierduo Sontraud Speidel/Evelinde Trenkner in Richtung weisenden Interpretationen vor. Zugängliche Arrangements im Vergleich zu Prokofieffs Sonate für Violine und Klavier Nr. 1, die voller düsterer Passionen und leichenblassem Gewebe ist. Geneviève Laurenceau, eine Schülerin des schon legendären Violinlehrers Zakhar Bron, hatte sich mit ihrem Partner Thomas Preuß erstaunlich sicher in dieser sperrigen Komposition bewegt. Die Kunst von Keisuke Okasaki, der ebenfalls bei Bron Unterricht hat, ist bereits als genial, zumindest als überragend zu bezeichnen. Denn seine Darbietungen der Brahms-Sonate d-Moll opus 108 und der verschlungenen Arabesken des „Tzigane“ von Maurice Ravel waren schlicht perfekt und atemberaubend. Für die angemessene Zuordnung der Posten und Personen dieses Festivals sorgte Hermann Boie, dessen mit vielen Anekdoten geschmückte Moderation ein weiteres Merkmal dieses kleinen Festivals mit großem Format ist.

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