Komponistinnen zu entdecken und zu fördern, ihre Werke zu archivieren und für Aufführungen zugänglich zu machen, ist das erklärte Ziel von musica femina in München und dem Archiv Frau und Musik in Frankfurt/Main. Eine Kooperation beider Organisationen mit dem Orff-Zentrum München ermöglichte die Ausrichtung der 2. Konferenz „Diversity in Music – Komponistinnen und Dirigentinnen im Musikleben heute“. Ein vielfältiges Tagungsprogramm mit Vorträgen, Podiumsdiskussionen, Workshops und Konzerten gab Einblick in professionelles Musizieren von Frauen.
Der Komponist Carl Orff wurde zum Namensgeber des Orff-Schulwerks, des Orff-Instrumentariums und des Orff-Zentrums München. Dessen Direktor Thomas Bösch erläuterte jedoch in seiner Begrüßungsrede, dass die Komponistin Gunild Keetman inhaltlich und organisatorisch maßgeblich an der Entwicklung seines künstlerischen und pädagogischen Werkes beteiligt war. Cornelia Fischer schilderte in ihrem sich anschließenden Vortrag das Leben und Wirken einer Frau, deren Position „nicht hinter, sondern neben Carl Orff“ anzusiedeln sei. Der Vortrag erfüllte beispielhaft die wichtige Aufgabe, die vielfach hinter männlichen Namen verborgene Autorinnenschaft von Frauen kenntlich zu machen. Ebenso relevant ist es jedoch, zunehmend auch diejenigen Frauen zu entdecken, die ohne Assoziation zu einem Mann allein aufgrund ihrer Identität und der Qualität ihrer Werke Aufmerksamkeit verdienen.
Die Welt größer machen
Dies leistet unter anderem die Forschungsstelle Musik & Gender an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, deren Leiterin Susanne Rode-Breymann die dort angestrebte Verbindung von musikwissenschaftlicher Genderforschung, Musikvermittlung und Konzertpraxis vorstellte. Um „die Welt größer zu machen“ wird hier nicht nur das kompositorische Wirken von Frauen erfasst, sondern die Summe allen kulturellen Handelns: Auch, wer Kompositionen sammelt und ediert, wer Hauskonzerte ausrichtet und Räume der Begegnung und des Austauschs für Künstler*innen öffnet, schafft und ermöglicht Kultur. Aus hochschulpolitischer Sicht warnte Rode-Breymann vor einem „Roll-Back“ in der Genderforschung; auch angesichts sinkender öffentlicher Mittel und neuer gesellschaftlicher Herausforderungen müsse die wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung mit den Werken von Frauen kontinuierlich weiter betrieben werden.
Eine wichtige Grundlage dafür legte in einem weiteren Vortrag die Dirigentin Mary Ellen Kitchens, indem sie den Teilnehmer*innen der Konferenz eine umfangreiche Liste mit Datenbanken zur Recherche nach Kompositionen von Frauen vorstellte. Die Composer Diversity Database und die Présence compositrices zeigen ebenso wie die Repertoirelisten des Archivs Frau und Musik und die auf Musik und Gender im Internet zu findenden Biografien von Musikerinnen, dass das Argument, es gebe kaum Komponistinnen, hinfällig ist: Nicht die Abwesenheit weiblicher Kreativität ist das Problem, sondern die ihr fehlende Wahrnehmung durch den klassischen Kulturbetrieb. Um hier ein Umdenken zu ermöglichen, werden im Frankfurter Archiv auch musikpädagogische Materialien angeboten. Das von Jelena Rothermel präsentierte „Bildungspaket Komponistinnen im Schulunterricht“ stellt Lehrenden Materialien zur Verfügung, mittels derer zum Beispiel die Komponistin Louise Farrenc zum Unterrichtsthema werden kann.
Wahrnehmung und Anerkennung
So vielfältig wie die Werke komponierender Frauen waren auch die Inhalte der von Kristin Amme vom Bayerischen Rundfunk und Ulrike Keil von musica femina moderierten Podiumsdiskussion, an der sich am zweiten Konferenztag die Präsident*innen der Hochschulen München und Hannover, Bernd Redmann und Susanne Rode-Breymann, die Komponistinnen Charlotte Seither und Brigitta Muntendorf, der Sänger Christian Meister und Marie Luise Maintz vom Bärenreiter Verlag beteiligten. Thematisiert wurden der Gender-Pay-Gap im Kulturmarkt, die Notwendigkeit der Einrichtung und Pflege lebendiger Netzwerke und Kooperationen, denn „gute Musik braucht gute Voraussetzungen“ (Ulrike Keil), die Problematik der Erschaffung von Nischen und der Wunsch nach gesamtgesellschaftlicher Wahrnehmung und Anerkennung. Wiederholt und kontrovers wurde über Vor- und Nachteile von Quotierungen debattiert, diese wären finanziell durch gendersensible Zuteilung von öffentlichen Fördermitteln, inhaltlich durch curriculare Vorgaben in künstlerischen Studiengängen oder zeitlich für die Sendeminuten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten denkbar. „Quotenfrau“ wurde hier umgedeutet zu einem positiven Begriff: zur Bezeichnung für eine Frau, die in ein System eintritt, darin Verantwortung übernimmt und dazu beiträgt, es zu verändern.
Gelegenheiten, musizierende Frauen und ihre Werke zu hören, bot die Konferenz mittels eines von der Komponistin Laura Konjetzky geleiteten Kompositions-Workshops für Schülerinnen und durch zwei Konzerte, in denen Werke von Elizabeth Maconchy, Caroline Shaw und Jessie Montgomery, gespielt vom Noreia-Streichquartett, sowie Kompositionen von Dorothee Eberhardt, Gunild Keetman, Manuela Kerer und Dorothea Hofmann, gespielt vom Rainbow Sound Orchestra Munich unter Leitung von Mary Ellen Kitchens und Alexander Strauch, erklangen. Unbedingt hörenswert war auch der Podcast „A Genius Apart“, in dem Komponistinnen zu den Bedingungen und Gestaltungsräumen ihrer Kreativität befragt wurden.
In allen musikalischen Beiträgen zeigte sich, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Anlass für Diskriminierung und dem Werk einer diskriminierten Person gibt: Die zu hörende Musik war interessant, lebendig, kraftvoll, vielfältig, filigran, einfallsreich, humorvoll, traditionell, ungewöhnlich, komplex, mutig, neuartig, elegant, energiegeladen, eingängig, repetitiv, ausdrucksstark. Nur eines war sie nicht: erkennbar weiblich.